Die Heimkehr des «Blues-Professors»
Film & Multimedia
Der Fliz-Filmclub Zug zeigt Reto Camenischs Dokumentarfilm «Heicho» im Kino Gotthard.
Zug – «Heute habe ich den Blues», schnappt man gelegentlich als Redewendung auf. Wer dies äussert, ist seelisch bedrückt, traurig gestimmt. Angesichts dessen, dass der Blues von der gemeinen Gesellschaft als unterhaltsame Musikform wahrgenommen wird, welche man mit lässig wippender Hüfte als leichte Ohrkost konsumieren kann, verweist die Redewendung auf die eigentliche Seele des Blues. Dieser um die Jahrhundertwende entstandene Musikstil geht auf die unterdrückte schwarze Bevölkerung in den US-Südstaaten zurück. Durch den Blues als eine Art Klagegesang verliehen die Menschen ihrem Leid Ausdruck. Der Schweizer Fotograf und Filmemacher Reto Camenisch rückt den Blues ins Zentrum seiner Dokumentation «Heicho».
Getrieben von einer Idee, den Blues in seiner gesamten Tiefe zu ergründen, wandert der Stadtberner Sekundarlehrer und Musiker Walter «Wale» Liniger (*1949) anno 1982 in den Süden der Vereinigten Staaten aus. 37 Jahre lang beschäftigt er sich ausgiebig mit dem Musikstil, arbeitet im Blues-Archiv der Universität von Mississippi, doziert Musik und Literatur an der Universität von South Carolina, sucht laufend die akademische Betrachtung des Blues und findet den Ausgleich zum Wissenschaftlichen, indem er die Musik auch stets selbst spielt und lebt.
Wale muss im Laufe der Jahre feststellen, dass sich bei der Ergründung des Blues ganz andere Dimensionen auftun als erwartet. Die Wahrheit dahinter ist keine leichte Kost. Aus einer gewissen Loyalität dem Blues gegenüber entscheidet sich der musikalisch selbst hochbegabte Berner, keine Musikkarriere damit anzustreben. Schmerzhafte menschliche Erfahrungen in den USA in Zusammenhang mit seiner Suche nach dem Wesen des Blues haben ihn nachhaltig geprägt.
Ein desillusionierter Rückkehrer
2019 trifft Wale Liniger den Entscheid, in seine Schweizer Heimat zurückzukehren. Auf seine US-Zeit zurückblickend, zieht er ein ernüchterndes persönliches Fazit. Er habe hinter dem Blues immer mehr oder anderes gesucht, als da wirklich ist. Er sei einer Illusion nachgerannt und froh, dass das nun zu Ende sei. Dass dieser Schluss aber nicht etwa gegen die Tiefgründigkeit des Blues spricht, sondern von ganz anderer Tragweite ist, kommt im Dokumentarfilm «Heicho» von 2020 schliesslich zur Geltung. Reto Camenisch hat Wale Liniger über zwei Jahre hinweg begleitet – in seiner bernischen Heimat und auf einer Rückkehr ans Mississippi-Delta. Im knapp 60-minütigen Film, der mit einer Fülle an Blues-Musik aus Linigers Hand untermalt ist, kommen neben dem Hauptprotagonisten mehrere Personen zu Wort, die dem «Blues-Professor» einst begegnet sind; ehemalige Schülerinnen, Lehrpersonen, Musiker, Journalisten ... Sie und Liniger selbst kommentieren Wales «Blues».
Fliz-Film zeigt die klangvolle Dokumentation Reto Camenischs über den zurückgekehrten Berner am 13. September, ab 20 Uhr, im Kino Gotthard. Details unter www.fliz.ch. (Andreas Faessler)