Sommerliche Leiden und Leidenschaften

Musik

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Für die Sonntagsmatinee «Sommer am See» hat sich das Stadtorchester mit dem Chor Cantori Contenti zusammengetan. Davide Fior und Joonas Pitkänen dirigierten, Serafina Giannoni führte mit ihrer Stimme durch Meeres- und Traumtiefen.

  • Im ersten Teil des Konzerts interpretierte das Stadtorchester Zug amerikanische Orchesterwerke. Für den Gesangspart konnte die Sopranistin Serafina Giannoni gewonnen werden. (Bild Matthias Jurt)
    Im ersten Teil des Konzerts interpretierte das Stadtorchester Zug amerikanische Orchesterwerke. Für den Gesangspart konnte die Sopranistin Serafina Giannoni gewonnen werden. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Eindeutig zweiteilig – zuerst instrumental, dann vokal – gestaltete sich dieses Mal das Sommerkonzert des Stadtorchesters Zug, das am Sonntagmorgen im fast gefüllten Grossen Saal des Theater Casinos stattfand. Und sich den Hochsommer zum Thema nahm – mit seinen Facetten von bleierner Mittagshitze, süssen Abendklängen und Siestas voll schwerer Träume. Ganz tief in unbewusste heisse und kühle Gefühle tauchte das Konzert aber mit dem vertonten Märchen von der Kleinen Meerjungfrau.

Was Sommer und Hitze bei uns Heutigen auch evozieren – nämlich Klimawandel und Naturzerstörung –, fand Eingang ins Programm in Form von «Magic Songs», die zur «akustischen Ökologie» des kanadischen Komponisten Schafer gehören und Rituale sein wollen, die das Ökosystem wieder ins Gleichgewicht bringen.

Amerikanische Klänge voraus

Aber von vorn. Die erste Hälfte vor der Pause wurde vom Stadtorchester bestritten, das unter dem Dirigat von Joonas Pitkänen vier Stücke amerikanischer Programmmusik aus dem 20. Jahrhundert zum Besten gab. Von Aaron Copland erklang «Quiet City», in welchem ein Englischhorn und eine Trompete (virtuos und gefühlvoll; Maiorano Kelsey und Kitade Keita) von Streicherklängen begleitet die flimmernde Hitze und das Somnambule eines städtischen «High noon» in Musik umsetzten.

«Lyric for Strings», eine der frühesten Kompositionen von George Walker, liess es dann hellen Abend werden, mit zartem, sich hochschwingendem und schliesslich sanft ausklingendem Streicher-Samt. Dem schloss sich nächtlicher Tanz an, nochmals von Copland. Der amerikanische Komponist, der vor allem mit seiner stimmungsmalenden Filmmusik bekannt wurde, verfasste «Hoe-Down» für sein «Rodeo»-Ballett. Der volkstümlich wirkende Hüpf-Tanz wurde durch Dirigent Pitkänen mit energischer Gestik vorangetrieben und liess so manchen Fuss im Zuschauerraum wippen.

Die hinzugeladene junge Sopranistin Serafina Giannoni prägte Samuel Barbers «Knoxville: Summer of 1915». Das mehrseitige Gedicht von James Agee aus dem Jahre 1938 schildert in traumartigen Sequenzen das Zusammensein des Schriftstellers mit seiner Familie, ein Jahr bevor sein Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Erinnerungsfetzen, welche sinnliche Eindrücke und Gefühle von Geborgenheit und Wärme rondoartig aneinanderreihen, drückten sich in musikalischen Konsonanzen und Dissonanzen in der Orchesterbegleitung aus; aber auch in Giannonis Stimme und Mimik, die das Urvertrauen einer familiären Mittagsszene auf einem ausgebreiteten Quilt ebenso zeichnen konnten wie die Vorahnung eines Ereignisses, das abrupt in eine behütete Kindheit einbrechen sollte.

Eine Story, die unter die Haut geht

Die bemerkenswerte Natürlichkeit der Sängerin und ihrer expressiven Stimme begleiteten auch das Highlight des zweiten Teils, den der Chor Cantori Contenti unter seinem Dirigenten Davide Fior bestritt. Mit «The Little Mermaid» des dänischen Komponisten John Høybye wurde dem Publikum ein szenisches Erlebnis geboten: Die Geschichte der Meerjungfrau, die aus Liebe zu einem menschlichen Prinzen ihren Fischschwanz ablegt und dafür einen hohen Preis zahlt. Ihre Vertonung erklang als Abfolge von Chor-Songs und orchestralen Übergängen mit den Mitteln von Jazz und neuer Musik; Giannoni aber, im meergrünen langen Kleid, mimte die Protagonistin mit Solopartien und indem sie die Story in Ich-Form und Dialekt erzählte. Dies ging unter die Haut.

Eingeleitet worden war die Erzählung aus dem ozeanischen Muschelpalast durch die erwähnten «Magic Songs» von Raymond Murray Schafer, der als Umweltschützer daran glaubte, dass Musik zur Heilung der Natur beitragen kann. Mit drei indianisch klingenden «Chants» beschwor der Chor unter dem innigen, bis ins Motorisch-Muskuläre ausdrucksstarken Dirigat von Davide Fior die Rückkehr der Wölfe, quellfrisches Wasser und die magische Bewahrung der Lebensgrundlagen.

Das Seefahrts-Lied «Så länge skutan kann gå» (Solange das Schiff fahren kann) des schwedischen Dichters und Liedermachers Evert Taube setzte den Schlusspunkt des Konzerts, dem das Publikum einen langen, liebevollen Applaus spendete. (Text von Dorotea Bitterli)