König Louis-Philippe in Zug auf der Flucht

Brauchtum & Geschichte

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1793 versteckte sich der blaublütige Herzog von Orléans in der Stadt Zug, weil er sich hier in Sicherheit wähnte. Doch ausgerechnet in Zug wurde ein Attentat auf ihn verübt.

Zug – An der Zugerbergstrasse befindet sich ein Unikum der Zuger Strassenkunde: Dort gibt es den Abzweiger Blumenhofweg, doch nur Haus Nr. 7 trägt den Namen Blumenhofweg als Adresse. Dafür hat der namensgebende Blumenhof eine spannende royale Geschichte, auch wenn er heute ganz bürgerlich-demokratisch die Adresse Zugerbergstrasse 28b trägt.

In diesem etwas verborgen gelegenen Barockhof versteckt sich der spätere Franzosenkönig Louis-Philippe (1773–1850) im Jahre 1793. Der adelige junge Mann hat bei der Französischen Revolution mit den Idealen «Liberté, Fraternité et Egalité» sympathisiert, war dabei als blaublütiger Herzog von Orléans zwischen die Fronten geraten, sodass er in Frankreich um sein Leben fürchten musste. Also flieht er ins Ausland – und kommt am 26. April 1793 in die Schweiz. In Schaffhausen trifft er seine Schwester Adélaide d’Orleans (1777–1847) und deren Erzieherin Gräfin Stéphanie-Félicité de Genlis (1746–1830); ein kleiner Teil der versprengten Familie findet so wieder zusammen. «Unbeschreiblich war meine Freude, mich in einem neutralen Lande zu befinden», schreibt die Gräfin. Das prominente Trio ist in der Schweiz zwar ausser Lebensgefahr, aber es bleibt auf der Flucht. Louis-Philippe, seine Schwester Adélaide und Erzieherin de Genlis reisen am 6. Mai weiter nach Zürich. Sie wohnen im Gasthaus Zum Schwert, an einer der besten Adressen im damaligen Zürich (heute Weinplatz 10).

Zu dieser Zeit tummeln sich in Zürich viele Franzosen, die nach der Revolution ausser Lande fliehen mussten. Solche französische Emigranten erkennen die damals berühmten Leute Louis-Philippe und Adélaide d’Orleans auf der Strasse. Einer streckt absichtlich seinen spitzigen Sporn in Richtung Herzogin und zerreisst damit einen Teil ihres Gazerockes. Zu Tode erschrocken, weil bei einem nächsten Mal nicht nur das Kleid kaputt gehen könnte, planen Louis-Philippe, Adélaide und die Gräfin sofort ihre Abreise. Sie fühlen sich in Zürich inmitten der vielen Landsleute nicht mehr sicher.

Das angebliche «Haus am Seeufer»

Der nächste Ort ihrer Flucht ist das Städtchen Zug, in dem sie am 14. Mai ankommen. Sie beziehen dort – in den Worten von Gräfin de Genlis – «ein kleines, einsam stehendes Haus am Seeufer, unweit der Stadt». Das ist ziemlich ungenau: Sie meint das herrschaftliche Haus Tschuepis am Abhang des Zugerbergs, ein paar hundert Meter vom Seeufer entfernt (später Blumenhof, heute Zugerbergstrasse 28b).

Louis-Philippe, Adélaide und die Gräfin verbringen ihre Tage im Zuger Exil mit Spazieren und Kirchgängen, sie sprechen manchmal mit Bauern, denen sie gelegentlich ein Trinkgeld zustecken. Die Zugerinnen und Zuger nehmen die neuen Bewohner zwar wahr, halten die französischen Flüchtlinge jedoch irrtümlicherweise für eine Familie aus Irland.

Den adeligen Franzosen soll es recht sein, sie werden in Ruhe gelassen. Nur der tatendurstige Louis-Philippe lässt es sich nicht nehmen, immer mal wieder im Hotel Ochsen am Kolinplatz zu dinieren oder sich dort abends einen «Schoppen» zu genehmigen. Doch auch in Zug verkehren andere Exilfranzosen. So dauert es nicht lange, bis Herzog Louis-Philippe erneut von einem Landsmann erkannt wird.

Ein feiger Anschlag

Sogleich erfährt tout Zug, welch prominenter Besuch sich im Städtchen versteckt. Sogar deutsche Zeitungen erfahren davon und schreiben darüber. Die Zuger Regierung fühlt sich angesichts des adeligen Besuchs unwohl, fürchtet sie doch gewalttätige Übergriffe. Der Zuger Ammann und ehemalige Söldner Franz Joseph Andermatt (1739–1795) ersucht Herzog Louis-Philippe, Herzogin Adélaide und die Gräfin de Genlis, sich doch bitte einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. Die Franzosen nehmen die wohl allzu förmlich vorgetragene Bitte nicht sehr ernst und lassen sich immerhin 14 Tage Zeit, um dem Ansinnen nachzukommen. Vor der Abreise aus Zug häufen sich die Probleme. Das Geld reicht nicht, um die aufgelaufenen Rechnungen zu bezahlen. Die Erzieherin Stéphanie-Félicité de Genlis muss aushelfen und ihr Erspartes einschiessen. Nachdem diese Hürde genommen ist, wird es richtig bedrohlich: Am 26. Juni, abends um 22.15 Uhr, kommt ein faustgrosser Stein durch die Fensterscheibe geflogen! Er trifft zum Glück nur den Hut von Herzogin Adélaide. Eine halbe Minute später kommen nochmals mehrere Steine geflogen. Ein Stein zerschmettert sogar eine Ofenplatte – zum Glück hat Adélaide d’Orleans kurz zuvor das Zimmer verlassen. Am nächsten Morgen entdeckt man zudem, dass zwei Pferdegeschirre, die Louis-Philippe gehören, in kleine Stücke zerschnitten wurden, «eine wahrhaft grässliche Bosheit», kommentiert die Gräfin.

Sind es Streiche von Zuger Lausbuben? Die Grösse der Steine und ihre hohe Anzahl deuten eher auf verfeindete Franzosen hin, die ihren Revolutionskampf hier in der Schweiz im Kleinen fortsetzen.

Wie auch immer: So kann es nicht weitergehen! Louis-Philippe und seine Begleiterinnen reisen ab, der Prinz versteckt sich im Bündnerland, wo er die Internatsköchin Marianne Banzori schwängert und Hals über Kopf abreisen muss. Er legt einen Zwischenhalt in Bremgarten ein und nennt sich «Adjudant Corby». Um aus der Schweiz auszureisen, benötigt er Reisepapiere. Weil das Freiamt damals von der Stadt Zug verwaltet wird, wendet sich Louis-Philippe an den Zuger Landschreiber der Oberen Freien Ämter, Franz Josef Müller (1769–1839). Damit der Adelige unbehelligt reisen kann, stellt ihm Müller einen falschen Pass aus. Weil dem Landschreiber beim Fälschen kein anderer Name einfällt, wählt er seinen eigenen Namen «Franz Josef Müller» aus. Louis-Philippe reist deshalb als «Franz Josef Müller» nach Hamburg und von dort ins finnische Lappland.

Louis-Philippe lebt nun in einem Pfarrhaus und behält den unverfänglichen Decknamen «Müller» bei. Aber auch dort bändelt er wieder mit weiblichem Personal an. Diesmal geht er eine Liebesbeziehung mit der Haushälterin des Pfarrhauses ein, die bald schwanger ist.

Noch bevor das Baby zur Welt kommt, ist Louis-Philippe bereits wieder weg. Er flieht weiter nach England, wo er sich in Stellung bringt. Und 1830 schafft er es, König von Frankreich zu werden. Klugerweise nennt er sich «König der Franzosen». Er will als König des Volks gelten, eben als «Bürgerkönig», und wird nicht zuletzt deshalb populär.

Zwei edle Geschenke

Auch wenn Louis-Philippe sich politisch nicht auffallend schweizfreundlich gebärdet – seine Jahre in der Schweiz hat er doch nicht ganz vergessen. Auf privater Ebene zeigt er sich dankbar. Der Zuger Alois Damian Bossard, der Wirt des Hotel Ochsen in Zug, in dem der Bürgerkönig gelegentlich dinierte, bekommt ein vornehmes Tafel-Service aus der königlichen Porzellanfabrik geschenkt, versehen mit den königlichen Initialen «L. Ph.». (Es ist heute in den Beständen des Museum Burg Zug.)

Und was geschah mit dem Zuger Passfälscher? Franz Josef Müller wurde nie angeklagt oder verurteilt. Vielmehr bekam er 1836 von König Louis-Philippe das «Ehrenlegionskreuz» und eine mit Diamanten verzierte goldene Tabakdose mit dem Bild des Königs, gefüllt mit französischen Goldstücken. Das zeigt: Nicht jeder Amtsmissbrauch hat schlechte Folgen. (Michael van Orsouw)

Hinweis

Der Zuger Autor und Historiker Dr. phil.I Michael van Orsouw (Bild) hat das Buch «Blaues Blut. Royale Geschichten aus der Schweiz» verfasst. Für eine Serie der «Zuger Zeitung» hat er nun Geschichten mit Zuger Bezügen herausgearbeitet, die im Buch nicht oder nur am Rande vorkommen. Die nächste Folge erscheint im August und handelt von Queen Victoria, die in Zug etwas verwechselte.