Die Unternehmerin und tanzende Bilder

Film & Multimedia, Brauchtum & Geschichte

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Veronika Hürlimann-Schweikher (1891–1975) war eine aussergewöhnliche Kinobetreiberin. Die «starke Zuger Frau» setzte sich mit ihren Lichtspielsälen gegen die Konkurrenz, die Zensur und schliesslich gegen die Vorurteile durch.

  •  Das heutige Kino Gotthard in den Anfängen: Es glich einem griechischen Tempel. (Bild Omlin 1992)
    Das heutige Kino Gotthard in den Anfängen: Es glich einem griechischen Tempel. (Bild Omlin 1992)
  • Die technische Equipe des neuen Kino Seehofs: alles Männer – aber die Chefin war eine Frau. (Bild Industriepfad Lorze)
    Die technische Equipe des neuen Kino Seehofs: alles Männer – aber die Chefin war eine Frau. (Bild Industriepfad Lorze)
  • Sie setzte sich auch gegen die Zensurkommission durch: Veronika Hürlimann-Schweikher. (Bild Omlin 1992)
    Sie setzte sich auch gegen die Zensurkommission durch: Veronika Hürlimann-Schweikher. (Bild Omlin 1992)

Zug – Der siebte und letzte Teil unserer Serie «Starke Frauen» widmet sich nochmals einer sehr bemerkenswerten Frau. Ihr Leben lässt sich, thematisch passend, als Film erzählen. Im Trailer sehen wir eine Auswärtige in Zug, die ein geächtetes Gewerbe betreibt, als Protestantin einer gesellschaftlichen Minderheit angehört und als Frau in der Unternehmerwelt die absolute Ausnahme ist. Der Trailer macht neugierig.

Der Film setzt 1891 im Baden-Württembergischen Marktdorf ein, wo Veronika Schweikher zur Welt kommt. Wir sehen, wie die Kleine in dem Wanderkino auf einem Jahrmarkt staunt. Schon als Fünfjährige beschliesst Veronika, einst als Kinoschaustellerin durch die Welt zu ziehen. (Eine Zwischenbemerkung des Historikers: Das ist sehr bemerkenswert: Denn erst 1895 erlebte der Kinematograf der Gebrüder Lumière in Paris mit dem ersten Film seine Welturaufführung, und ein Jahr später soll die kleine Veronika schon genau gewusst haben, was sie wollte? Egal, so genau nimmt es ein Film nie!)

Richterswil im Jahr 1905

Die nächste Drehepisode zeigt das Dorf Richterswil im Jahre 1905. Damals kommt Veronika, gerade 14-jährig, als Vollwaise zu ihrer Tante in die Schweiz – die Faszination fürs Kino ist geblieben. Am Zürichsee lernt sie den Direktorensohn Albert Hürlimann kennen, den sie später heiratet. Im Film würde das ausgiebig gezeigt. Das junge Paar zieht nach Baden, wo sie einen Kinobetrieb aufziehen wollen. Das Vorhaben zerschlägt sich, weshalb Hürlimann-Schweikher nach einem anderen Ort Ausschau hält. Lenzburg und Zug kommen in die engere Wahl. Schliesslich gibt ein Grundstück den Ausschlag.

Der Film zeigt nun ein Stück Brachland, das mit Rüeblis bepflanzt ist. Es liegt gleich neben dem Bahnhof Zug, auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerks. Veronika Hürlimann-Schweikher kauft es 1923, um dort das erste fix installierte Kino von Zug zu gründen. Sie engagiert die zur damaligen Zeit besten Zuger Architekten, nämlich Dagobert Keiser und Richard Bracher. Diese errichten das Kinogebäude an der Gotthardstrasse.

Der Film zoomt den Eingangsbereich heran, der mit seinen toskanischen Säulen aussieht wie ein griechischer Tempel. Hürlimann nennt das Kino «Grand Cinema Zug», der Saal hat 278 Sitzplätze und auf der Galerie nochmals 98. Der erste Film, den das neue Kino zeigt, ist eine Dokumentation über die Elektrifizierung der Gotthardbahn. Einen Ausschnitt würde der Film auch darbieten.

Zug im Jahr 1925

Unternehmerin Hürlimann würde dann in unserem Film schwarze Trauerkleider tragen, weil sie verwitwet ist. Im katholischen Städtchen Zug wird sie nicht mit offenen Armen empfangen. Kinos haben damals einen schlechten Ruf. Man lerne dort Sinnlichkeit statt Sittlichkeit, dort werde Kriminalität gefördert, indem man Diebstahl, Mord und Unzucht zeige. Zudem lasse es den Geist erschlaffen, weil sich das Publikum willenlos der Bilderflut hingäbe.

Unsere Protagonistin ist mit diesen Vorurteilen direkt konfrontiert. Zum einen wollen die Banken nur zögernd Kredite gewähren; so steht stets der Name ihres verstorbenen Mannes in den Verträgen. Die Korrespondenz trägt häufig die Anschrift: «Herr Veronika Hürlimann».

Zum anderen sitzt Hürlimann die neu gegründete Kinokommission, eine lästige Zensurbehörde, im Nacken. Sie legt das Mindestalter für den Kinobesuch auf 18 Jahre fest, besteht gerade mal aus drei Personen und prüft alle Filme vor ihrer Aufführung. Unsere hypothetische Filmserie würde Hürlimann mit Filmrollen von «Atlantis» zeigen, den sie im «Grand Cinema» aufführen will. Doch die Zensur verlangt das Herausschneiden von Passagen, was Hürlimann zusammen mit ihrem Operateur bewerkstelligt.

In der Folge zeigt der Film Veronika Hürlimann als Kämpferin, sie liefert etliche Scharmützel mit der Aufsichtskommission. Als sie den Film «Moulin rouge» nicht ganz so beschneidet, wie es die Kommission gewünscht hat, bekommt sich am Silvestertag 1928 eine Busse aufgebrummt – eine Busse von zehn Franken ... Sie wird es mit Fassung ertragen haben.

Obwohl sich Veronika Hürlimann, wie sie später bemerkte, als Mensch dritter Klasse vorkommt, lässt sie sich nicht unterkriegen. Sie weitet das Angebot sogar aus: Sie reaktiviert in den späten 1920er-Jahren den eingeschlafenen Filmspielort Hotel Ochsen in Zug und zeigt dort Westernfilme. Weil sich beim Saal ein Pferdestall befindet, stimmt das Ambiente für die «Revolverküche».

Zudem investiert sie 1930 im «Grand Cinema» 45000 Franken für den Tonfilm, ein für damalige Verhältnisse grosses Vermögen – der leicht scheppernde Klang der damaligen Lautsprecher ist im Film zu hören. Die Investition zahlt sich aus, und Hürlimann kann 1938 das Kino Gotthard umbauen und vergrössern. Nach und nach arrangieren sich Kino und Zensurbehörde und mit grosser Genugtuung heisst es 1939 im Protokollbuch, dass Veronika Hürlimann einen «freiwilligen Beitrag» in der Höhe von 500 Franken der Zensurbehörde überwiesen habe. In der Folge erlebt das Zuger Kino in den 1940er- und 1950er-Jahren seine Blütezeit.

Baar im Jahr 1956

Veronika Hürlimann reagiert auf die gestiegene Nachfrage als findige Unternehmerin: Sie eröffnet 1947 das Kino Seehof in Zug und 1956 das Kino Lux in Baar. Dabei ist ihr keine Aufgabe zu beschwerlich: Sie programmiert, verhandelt und visioniert, sie sitzt an der Kasse, verkauft Glacé und Getränke, sie besorgt die Administration, die Personalbetreuung und die Buchhaltung. Und sie überlebt die kantonale Kinozensur, die bis 1972 besteht.

Veronika Hürlimann-Schweikher ist auch noch 1975 im Einsatz, im Alter von 85 Jahren. Am 10. Dezember will sie ihren Angestellten die Weihnachtsgratifikation überbringen, fühlt sich aber unwohl und stirbt. Das lange Leben einer starken Frau geht damit zu Ende.

Im Abspann des Filmes dankt sie all jenen, die ihr Steine in den Weg gelegt haben; denn diese haben sie so stark gemacht, damit sie alle Steine aus dem Weg räumen konnte. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Dies war der siebte und letzte Teil der Serie «Starke Zuger Frauen», für die der Historiker und Schriftsteller Dr. Michael van Orsouw bemerkenswerte Frauen aus der Zuger Geschichte darstellte.