Kunsthaus Zug in der Krise: «Es geht um alles»

Kunst & Baukultur

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Die Freistellung von Direktor Matthias Haldemann markiert den vorläufigen Höhepunkt interner Querelen am Kunsthaus Zug. Aus der Stiftung und der Kunstgesellschaft kommen besorgte Stimmen. Nun äussert sich Haldemann in einem offenen Brief.

  • Mit aufsehenerregenden Ausstellungen (im Bild «Us, You, Me») hat sich das Kunsthaus Zug über Jahrzehnte seine Reputation erarbeitet.Bild: Stefan Kaiser (Zug, 22. 2. 2024)
    Mit aufsehenerregenden Ausstellungen (im Bild «Us, You, Me») hat sich das Kunsthaus Zug über Jahrzehnte seine Reputation erarbeitet.Bild: Stefan Kaiser (Zug, 22. 2. 2024)

Zug – Es kam für ihn wie aus heiterem Himmel: Am 15. April wurde Matthias Haldemann per sofort von seinem Amt als Direktor des Kunsthauses Zug «beurlaubt», wie der Vorstand der Zuger Kunstgesellschaft – sie betreibt das Kunsthaus – in einer Mitteilung publik machte. Wie zutreffend der Begriff «Beurlaubung» ist, darf man sich fragen angesichts der Tatsache, dass Haldemann seinen Arbeitsplatz unter Aufsicht räumen sowie den Hausschlüssel abgeben musste und sein Zugang zum geschäftlichen E-Mail-Account gekappt wurde. Faktisch war es eine Freistellung. Sie sollte bis Ende Mai dauern, doch Haldemann, der in drei Jahren pensioniert würde, bleibt nun doch weiterhin freigestellt, wie der Vorstand vor wenigen Tagen kommuniziert hat.

Als Grund für die «Beurlaubung» gab der Vorstand «seit Längerem bestehende Differenzen zwischen Direktion, Personal sowie den Gremien des Hauses» an. Über weitere Details hüllt man sich bis dato auf Nachfrage in Schweigen. Was jedoch schon feststeht: Die im Herbst geplante Ausstellung «Adolf Loos – Private Räume» ist annulliert.

Matthias Haldemann selbst äusserte gegenüber unserer Zeitung im April, er wisse nicht, warum dieser Schritt erfolgt sei. Dass hinter den Kulissen des Kunsthauses Zug ordentlich was im Argen liegt, zeigt nicht zuletzt auch, dass der Präsident der Zuger Kunstgesellschaft, Reto Fetz, praktisch zur selben Zeit von seinem Amt zurückgetreten ist. Dass es gewisse Unstimmigkeiten gegeben hat, dafür gab es freilich das eine oder andere Anzeichen. Darunter fällt etwa die Trennung von Kunstvermittlerin Sandra Winiger, über deren Gründe nur spekuliert werden kann. Trotzdem: Mit einer sofortigen Freistellung des langjährigen Direktors als Konsequenz hätte wohl niemand gerechnet.

«Das ist nun kaputt»

Wie geht’s jetzt weiter im Kunsthaus Zug, das national und darüber hinaus ein respektables Renommee geniesst, zumal hier die bedeutendste Sammlung von Werken der Wiener Moderne ausserhalb der österreichischen Hauptstadt untergebracht ist?

Aus dem Verein Zuger Kunstgesellschaft erreicht unsere Zeitung eine Stimme, namentlich diejenige von Mitglied Laurent Burst. Der Zuger sorgt sich um den Fortbestand und die Reputation des Kunsthauses. Matthias Haldemann habe das Haus in 35 Jahren von einem regionalen Kunstraum zu einem innovativen Haus mit einer hochkarätigen Sammlung entwickelt, sagt er. Und dank der ihm anvertrauten Sammlung Kamm könne es weltweit Werke ausleihen und habe dadurch für eigene Ausstellungen ebenfalls international Zugang zu Schlüsselwerken. «Das funktioniert nur mit langjährigen Beziehungen und Vertrauen. Und das ist nun kaputt.»

Aus internen Kreisen wisse Laurent Burst, dass es im April offenbar zu betrieblichen Spannungen gekommen sei. Mitarbeitende hätten mehr Kompetenzen verlangt und mit Kündigungen gedroht, worauf es zum Rücktritt der Präsidenten der Zuger Kunstgesellschaft wie auch desjenigen der Stiftung der Freunde Kunsthaus Zug gekommen sei. «Der offensichtlich überforderte Vorstand konnte mit dem Konflikt nicht umgehen und kam tatsächlich zum Schluss, dass es eine gute Idee sei, ausgerechnet Haldemann ohne Vorwarnung und Absprache zu beurlauben und öffentlich anzuprangern», kritisiert Burst.

Kann der Standard gewährleistet werden?

Höchste Besorgnis hinsichtlich der unwürdigen Zustände im Kunsthaus Zug wird auch in einem Schreiben aus dem Vorstand der Stiftung Sammlung Kamm laut, welche die einzigartige Sammlung mit Werken der Wiener Moderne dem Kunsthaus als Dauerleihgabe zur Verfügung stellt. Der Brief liegt unserer Zeitung vor. Der Stiftungsrat äussert darin ebenfalls höchstes Unverständnis über diesen «unnachvollziehbaren» Schritt des Vorstandes. «Die ihr seitens der verantwortlichen Gremien mitgeteilten Gründe decken sich nicht mit den Erfahrungen, welche die Stiftung in den vergangenen Jahrzehnten der Zusammenarbeit mit Herrn Haldemann gemacht hat», schreibt Stiftungsratspräsident Alexander Jolles und hebt dessen Fachkompetenz und «vorbehaltsloses Engagement für die Kunst» hervor, womit der freigestellte Direktor es geschafft habe, das Kunsthaus Zug «in diese Liga zu führen».

Im weiteren Wortlaut wird Jolles unmissverständlich, wie er die Zukunft des Hauses und der Sammlung im Lichte der aktuellen Umstände sieht: «Sollte die Beurlaubung von Herrn Haldemann zu seinem Ausscheiden aus der Direktion des Kunsthauses führen, würde dies die Stiftung Sammlung Kamm mit grösster Sorge erfüllen. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Organisation, das Programm und die Reputation des Kunsthauses, würde sich die Frage stellen, ob der über Jahre aufgebaute hohe Standard noch gewährleistet werden kann.»

Weiter hält der Verfasser fest, dass der Umgang mit Matthias Haldemann durch den Vorstand ungerechtfertigt, unverhältnismässig und ent­würdigend sei. «Es entspricht nicht dem Stil, den die Stiftung von ihren Vertragspartnern erwartet.»

In einem weiteren Schreiben, das unserer Zeitung ebenfalls vorliegt, ergreift auch Heinz Hertach, Ehrenmitglied der Zuger Kunstgesellschaft, Partei für den beurlaubten Direktor, dessen Ruf er durch das Heraustragen interner Unstimmigkeiten an die Öffentlichkeit «nachhaltig geschädigt» sieht. Zudem prangert er nachdrücklich die «menschenverachtende Behandlung» Haldemanns an.

Und schliesslich sei nun auch die Reputation des Kunsthauses angeschlagen und genauso nachhaltig geschädigt. Hertach sieht gar die Unterstützung durch Gönner, die jährliche Subvention des Betriebs und nicht zuletzt die Pläne für den Erweiterungsbau des Kunsthauses in Gefahr, welche durch den jahrelangen Einsatz Haldemanns erst konkret geworden seien.

Der Freigestellte meldet sich zu Wort

Gestern hat Matthias Haldemann per offenem Brief erstmals ausführlich Stellung genommen zu den jüngsten Vorkommnissen, sprich seiner Freistellung und zur aktuellen Situation. «Die sofortige Beurlaubung traf mich wie ein Blitz», schreibt er und betont, dass vieles für ihn bis zum jetzigen Zeitpunkt «ungeklärt und schmerzhaft unverständlich» sei. Auf eine ausführliche Begründung seitens Vorstand warte er bis heute vergebens. Er sei «schockiert und traurig über diese erzwungene Entwicklung».

Doch sorgt sich Matthias Haldemann in seinem Schreiben nicht primär um sich selbst und was ihm persönlich widerfahren ist. Vielmehr äussert er höchste Bedenken, wie es um die Zukunft des Kunsthauses Zug bestellt sein wird, welches «an einem Wendepunkt steht». Haldemann hebt die Bedeutung der Kunsthauserweiterung für die nationale und internationale Wahrnehmung der Institution hervor, um der hochkarätigen Sammlung einen würdigen Raum zu geben und zugleich den Ansprüchen des Publikums gerecht zu werden.

«Die Zukunft des Kunsthauses Zug ist freilich nicht an meine Person gebunden», merkt Haldemann dazu an. Es müsse aber klar sein, dass der Erweiterungsbau eines Kunstmuseums hohen Massstäben zu genügen habe und folglich viel auf dem Spiel stehe, was die Zukunft des Kunsthauses Zug angehe. «Im besten Fall entwickelt es sich weiter in Richtung eines weit sichtbaren Leuchtturms zur Vermittlung von Kunst – oder es verschwindet in der lokalen Bedeutungslosigkeit.»

Eklat erreicht die politische Ebene

Die Gefahr von Letzterem ist auch für Kunstgesellschafts-Mitglied Laurent Burst gross. Er befürchtet gar, dass kein Geld mehr fliessen werde, ehe nicht ein kompetenter Vorstand gebildet sei, welcher den aktuellen ersetze. Erste Finanzierungsanfragen seien bereits abgelehnt worden, weiss Burst. Für ihn liegen die Konsequenzen auf der Hand: «Ohne Geld der Stiftung Sammlung Kamm kein Erweiterungsbau. Ohne Erweiterungsbau keine Sammlung Kamm. Es geht um alles.»

Die unselige Situation, in der sich das Kunsthaus Zug befindet, beschäftigt mittlerweile auch die Politik. Die Kantonsratsmitglieder Patrick Röösli und Corina Kremmel (Mitte) sowie Joëlle Gautier (GLP) haben Anfang Woche dazu einen Vorstoss platziert. Hintergrund ist vor allem die Leistungsvereinbarung, welche der Kanton Zug mit dem Kunsthaus abgeschlossen hat – das Kunsthaus wird jährlich mit 750’000 Franken unterstützt.

Die Abgeordneten fordern vom Regierungsrat Auskunft darüber, ob und wie der Kanton die Einhaltung der Subventionsvereinbarung überprüft. Zudem möchten sie wissen, ob Zahlungen gekürzt oder gestrichen werden können, sollte das Kunsthaus seine Leistungen nicht vollumfänglich erbringen. Schliesslich interessieren die Parlamentarier auch die Hintergründe von Matthias Haldemanns Freistellung.

Ob diese Hintergründe an der bevorstehenden Generalversammlung vom 17. Juni aufs Tapet gebracht werden, wenn es unter anderem um die Neuaufstellung des Vorstandes geht und sich Interimspräsidentin Silvia Graemiger als Präsidentin zur Wahl stellen will? Ja, ist es überhaupt sinnvoll, diese Versammlung abzuhalten, bevor nicht eine wirklich tragfähige Lösung der aktuellen Situation gefunden ist? Dies zumindest fragt Heinz Hertach in seinem Schreiben an den Vorstand der Kunstgesellschaft abschliessend. Er befürchtet im öffentlichen Teil der Versammlung eine Diskussion um die Personalie Haldemann, durch welche die Reputation des Kunsthauses Zug noch weiter geschädigt werden könne, als sie es ohnehin schon sei.

Hinweis

Matthias Haldemanns offener Brief ist im Wortlaut aufgeschaltet innerhalb der Onlineversion dieses Artikels.


(Text: Andreas Faessler)