Was Westen und Osten verbindet

Kunst & Baukultur

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Das Kunsthaus Zug richtet seinen Blick nach Osteuropa und wieder zurück: In der aktuellen Ausstellung, welche nun coronabedingt bis August verlängert wird, geht es um Freiheit und Toleranz.

  • Architekturentwürfe und Stoffmuster: Eine umfangreiche Werkgruppe der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Zug kommt vom bedeutenden Wiener Architekten und Designer Josef Hoffmann (1870–1856). (Bild Matthias Jurt)
    Architekturentwürfe und Stoffmuster: Eine umfangreiche Werkgruppe der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Zug kommt vom bedeutenden Wiener Architekten und Designer Josef Hoffmann (1870–1856). (Bild Matthias Jurt)

Zug – Wo beginnt eigentlich der Osten? «Die Antwort ist nicht einfach. Früher reichte der westliche Kulturraum bis nach Mähren, nach dem Kalten Krieg begann er hinter Wien», sagt Marco Obrist, Sammlungskurator, bei der Führung durch die aktuelle Ausstellung «ZuZug aus Osteuropa». Die Euphorie nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Mauer sei inzwischen verflogen. Viele Kunstschaffende erlebten Umwälzungen wie beim Prager Frühling hautnah mit und wurden zur Flucht gezwungen, beispielsweise in die Schweiz. Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn und Russland liegen zwar geografisch nahe, doch der gegenwärtige Abbau der demokratischen Rechte lösen vielerorts Proteste aus. Obrist: «Darum bleiben Themen wie Freiheit und Flucht weiterhin schmerzlich aktuell.»

Während die letzte Ausstellung «ZuZug» die Sicht nach innen thematisiert hat, richtet die von Direktor Matthias Haldemann und Nina Schweizer kuratierte neue Sammlungsausstellung den Blick in die Fremde. Zum ersten Mal werden im Haus grössere Werkgruppen mittel- und osteuropäischer Kunstschaffender mehrerer Generationen gezeigt. Doch es wird nicht nur nach Kontrasten gesucht, sondern auch das Verbindende.

Wiederbegegnung diesmal anders

Die Künstler sind in den vergangenen Jahren im Kunsthaus schon einzeln ausgestellt worden, aber noch nie in diesem Kontext. Da jedem ein eigener Raum gewidmet ist, kann sich der Besucher intensiv mit den Exponaten von der Wiener Moderne bis zum zeitgenössischen Schaffen befassen. Dazu gehören Zeichnungen, Malereien, Foto- und Videoarbeiten. Ein Bereich ist dem zeichnerischen Schaffen des österreichischen Architekten und Designers Josef Hoffmann (1870–1956) gewidmet. Vom Mitbegründer der Wiener Werkstätte sind rund 100 Zeichnungen und Entwürfe von Gebäuden und Stoffmustern zu sehen. «Auch für mich sind einige Blätter neu, sie wurden noch nicht gezeigt und stammen zum Teil aus dem Nachlass Kamm», so Marco Obrist.

Noch immer eindrücklich sind von Pravoslav Sovak (*1926), der nach dem Prager Frühling 1968 in die Schweiz kam, die Radierungen der damaligen Demonstrationen, seine Hommagen an Dubcek und Kafka sowie die düstereren, menschenleeren Stadtutopien. Vom Künstler, der heute in Hergiswil lebt, sind auch die grafischen Serien mit in monochromen Farblicht getauchten Wüstenlandschaften und farbenfrohen Strandszenen aus den USA.

Mit Sovak kamen damals auch Jan Jedlicka und Tomas Kratky (1961–1988) in die Schweiz. Vom früh verstorbenen Kratky sind die Porträts auf Zeichnungen und expressiv gemalten Gemälden in einer symbolisch verdichteten Bildsprache dargestellt. Auf den letzten Arbeiten verlieren die Figuren ihre festen Konturen, was auf seine Auseinandersetzung mit Leben und Tod verweist. «Die Werke haben wir aus dem Nachlass als Leihgabe erhalten», sagt Obrist.

Als Kontrast von West zu Ost sind die analogen Aufnahmen vom Fotografen und Konzeptkünstler Jan Jedlicka (*1944) zu sehen. Darauf hat er westliche Künstler wie Gerhard Richter und andere im Winterthurer Kunstmuseum fotografiert – trotz wenig Licht sind Tiefenschärfe und Lichtspiel perfekt. Und als Beispiel für den Perspektivenwechsel steht die Serie des Engadiners Guido Baselgia (*1953), der mit seiner Kamera den russischen Künstler Pavel Pepperstein und dessen Freunde bei Gesprächen und Aktionen im Kunsthaus 1998 fotografisch begleitete.

Der Appenzeller Künstler Roman Signer (*1938), der die «Seesicht» in Zug kreiert hat, studierte in den 1970er-Jahren in Warschau Kunst, wo er die Künstlerin Aleksandra (*1948) heiratete. Beide sind hier mit Werken vertreten: Während Roman Signer eine raumfüllende Installation mit einem Piaggio zeigt, den er sogar zum Schweben bringt, zeigt seine Frau Videos von den Reisen durch die DDR und der Ukraine.

Zum Nachdenken anregende Bilder

Fast apokalyptisch wirken die Aufnahmen aus Prag von Annelies Strba (*1947). Düster und gespenstisch, der Verfall ist überall spürbar, so ihre Szenen aus der DDR, aus Tschernobyl und Auschwitz. An die slawischen Wurzeln der Familie erinnert sie dagegen mit farbenfrohen, verfremdeten Ikonensujets.

Eine tiefsinnige Ausdrucksform wählte der Ungar Peter ­Nadas (*1942), als er in einer ­Rekonvaleszenz zu allen Jahreszeiten einen Birnbaum fotografierte. Marco Obrist ist überzeugt, dass er damals durch die Naturbeobachtung zurück ins Leben fand. Und die Fotos vom Himmel hätten vielleicht mit dem Thema Freiheit und Vergänglichkeit zu tun. Als raum­füllende Videoinstallation beschliesst das «unendliche Gespräch» mit den Künstlern Ilya Kabakov, Boris Groys und Pavel Pepperstein aus der ehemaligen Sowjetunion den Rundgang. (Monika Wegmann)

Hinweis
Das Kunsthaus Zug ist derzeit noch geschlossen, es finden keine Veranstaltungen statt. Die digitalen Formate sind aufgeschaltet unter www.kunsthauszug.ch