Ein frühsommerliches Erwachen

Musik

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Der erste lauwarme Frühsommerabend, seit langem das erste Konzert mit Publikumsbeteiligung. Bei der Zuger Sinfonietta tut sich einiges – vor und hinter den Kulissen.

  • Konzert der Zuger Sinfonietta mit Solistin Beatrice Berrut. (Bild Christian Herbert Hildebrand)
    Konzert der Zuger Sinfonietta mit Solistin Beatrice Berrut. (Bild Christian Herbert Hildebrand)

Cham – Johann Sebastian Bach vor und nach Dmitri Schostakowitsch bildeten ein kontrastreiches Programm. Der für diesmal ausschliesslich aus Streichern gebildete Klangkörper bedeutete in dem Sinn ein Glücksfall, als man sich im Chamer Lorzensaal nicht mit den noch rigoroseren Corona-Einschränkungen für Bläser herumschlagen musste. Eine weitere Herausforderung war die Interpretation der für Cembalo geschriebenen Bach-Konzerte auf einem modernen Konzertflügel. Diese Situation wurde von der Solistin Beatrice Berrut unter der Leitung von Daniel Huppert souverän gemeistert.

Das Hammerklavier, welches später zum modernen Tasteninstrument führte, war zwar zu Bachs Lebzeiten knapp erfunden; aber der Thomaskantor bevorzugte zeitlebens das Cembalo. Von den überlieferten Klavier- oder Cembalo-Konzerten (BWV 1052-1059) ist kein einziges eine Originalkomposition; Johann Sebastian Bach hat alle acht aus andern oft sehr weit zurückliegenden Kompositionen zusammengestellt. Umso erstaunlicher erscheint unter kundiger Interpretation ihre formale Geschlossenheit.

Pausenloses Spiel entlockt Publikum Applaus

In beiden interpretierten Werken (BWV 1056 in f-Moll und BWV 1052 in d-Moll) überzeugten das sichere Zusammenspiel und ein ausgewogenes klang­liches Gleichgewicht. Obwohl Beatrice Berrut vor allem als Interpretin der grossen Romantiker von Schumann bis Liszt bekannt ist, hielt sie sich voll an barocke Stilprinzipien: alle Virtuosität in der Fingergeläufigkeit unter Verzicht auf die «schwingenden Arme», sehr sparsamer Pedalgebrauch, Bevorzugung der gerade bei Bach so wichtigen Detailstruktur gegenüber einer extremen Dynamik. Im Gegensatz zu den klassischen und romantischen Klavierkonzerten gab es keine Unterbrüche für Orchester-Zwischenspiele; die Solistin stand von der ersten bis zur letzten Note pausenlos im Einsatz. Dies hinderte sie nicht daran, den erfreulich kräftigen Applaus der erlaubten 50 Anwesenden mit einer Zugabe zu verdanken (Siciliano aus einem Orgelkonzert von Bach).

Neben der Begleitung gestaltete die Zuger Sinfonietta die 1960 entstandene Kammersinfonie Opus 110a, auch das eine Bearbeitung, nämlich aus dem fast gleichzeitig entstandenen Streichquartett Opus 110. Romantisch und harmonisch gut nachvollziehbar wirkten die langsamen Ecksätze. Abrupt erfolgte der Übergang ins ausdrucksstarke Allegro molto mit erweiterter Tonalität. Eigenartig auch die Überleitung zum Schluss: Die lang gehaltenen Töne der Soloviolinistin (Irina Dimitrova) lagen oft um mehrere Oktaven tiefer als die Passagen des Cellosolisten Jonas Iten. Wie weit die plötzlich einfachen Strukturen aus schöpferischer Kraft entstanden sind und wie weit es sich dabei um Konzes­sionen an den von Stalin befohlenen «sozialistischen Realismus» handelte, wird wohl für immer das Geheimnis des Komponisten bleiben.

Von Bach zur Volksweise: Abschied für Simon Müller

Zum letzten Mal war Intendant Simon Müller für die organisatorische Vorbereitung eines Sinfonietta-Konzerts verantwortlich. Nach acht Jahren verlässt er diese Anstellung. Dass dies offensichtlich in gegenseitiger Übereinkunft geschah, bewies eine weitere Zugabe des Orchesters: Die wohlbekannten Eingangs­akkorde des Bach-Airs verfremdeten sich allmählich zur Volksweise «Im Aargöi si zwöi Liebi», womit auch der neue Arbeitsort des scheidenden Mitarbeiters angedeutet wurde.

Die Wahl des Nachfolgers Lion Gallusser war keine Überraschung: Ihn kennen die ausführenden Musiker und das Publikum bereits von verschiedenen Konzerteinführungen. Der kräftige Applaus der Anwesenden wurde auch für das immer zahlreichere Livestream-Publikum übertragen. Nach dem ­ausgezeichneten Konzert bleibt nur der Wunsch für möglichst baldige Aufführungen mit voller Publikumspräsenz. (Jürg Röthlisberger)