Es trendet in der Chollerhalle

Literatur & Gesellschaft, Musik

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Megatrends sind ein komplexes Feld. Doch genau da setzt die Chollerhalle mit ihrer Veranstaltungsreihe an, die nun in den verschobenen Eröffnungsabend geht. Mit Gender Shift und Jodel.

  • Alles eingerichtet für gute Ideen über die Zukunft. (Bild: zvg)
    Alles eingerichtet für gute Ideen über die Zukunft. (Bild: zvg)
  • Auf dem Einhorn sitzen und über Megatrends diskutieren. (Bild:zvg)
    Auf dem Einhorn sitzen und über Megatrends diskutieren. (Bild:zvg)
Zug – Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

In der einen Ecke stehen ein paar Biedermeierstühle, daneben aufblasbare Flamingos. Die ­Bestuhlung für die neue Veranstaltungsreihe «mittendrin» in der Chollerhalle lässt erahnen, dass es hier mehrschichtig werden soll. Und zwar in fünf Abenden, die sich mit den Megatrends unserer Zeit beschäftigen.
Megatrends. Wir haben bestimmt schon davon gehört, doch alle zwölf bekannten Megatrends aufzuzählen, tatsächlich zu benennen, worum es sich dabei dreht, das wird schwierig. Ein ­Besuch in der Chollerhalle könnte da Abhilfe schaffen.

Schwere Themen mit Spass behandeln
Hier werden diese Themen künstlerisch und unterhaltsam thematisiert. «Wir wollten unserem neuen, hauseigenen Kulturprogramm einen roten Faden geben, aber doch die Möglichkeit haben, unterschiedliche Themen zu thematisieren», sagt die Projektleiterin Laura Hürlimann. «Und wir wollten dabei weg vom klassischen Konzertsetting kommen.»
Für das nicht gerade einfach Thema Megatrends haben sich Hürlimann und das Team der Chollerhalle entschieden, da Megatrends nicht nur einzelne Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft, sondern langsam und stetig, aber grundlegend ­ganze Gesellschaften umformen. Megatrends benennen und beschreiben eine ganze Reihe komplexer Dynamiken im Wandel unserer Welt.  Zwölf Megatrends werden aktuell weltweit beobachtet. Dazu gehören Entwicklungen wie die Globalisierung, die Individualisierung, die Neo-Ökologie, New Work oder die Digitalisierung. Es geht um die Bedeutung von Geschlechterrollen, um globale Krise und um Selbstent­faltung. «Diese Themen betreffen uns alle, ob wir darum wissen, ob wir uns damit beschäftigen oder nicht», betont Laura Hürlimann.
Oft fehle uns die aktive Auseinandersetzung mit solchen theoretischen Ansätzen, ist sie überzeugt. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, diese fehlende Auseinandersetzung möglichst unverkrampft anzugehen, etwa mit Musik, Film oder Tanz. «Schwierige und aktuelle Themen über Kunst zu verhandeln», das sei das Ziel, so Hürlimann.
 
A cappella und Feminismus
Der zweite «mittendrin»-Abend findet am Freitag 21. Januar 2022 statt, auftreten wird dabei Famm. Eine Gruppe aus vier Luzerner Sängerinnen, die mit ihrem abendfüllenden Kleinkunstabend all das kombinieren, was Hürlimann sich konzeptschaffend vorstellte.
Der Megatrend des Abends, erst mal zur Information, ist «Gender Shift». Das bedeutet, dass die sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, stetig an Verbindlichkeit verlieren. Das Geschlecht verliert immer mehr seine schicksalhafte Bedeutung und bestimmt nicht mehr über den Verlauf unserer individuellen Biografien.
«Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer neuen Kultur des Pluralismus», heisst es ganz offiziell formuliert. Und was sich erst mal ziemlich komplex anhört, werde von Famm spielerisch und für alle verständlich umgesetzt. Famm verbinde zudem ganz unterschiedliche Zielgruppen, betont Hürlimann – dem Konzertlokal Chollerhalle nähere, und solche, die vielleicht bisher noch keinen Fuss über die Schwelle gesetzt haben.
«Famm ist A cappella, doch sie interpretieren auch altes und bekanntes Schweizer Liedgut und verbinden das Ganze mit einem Blick auf die Frau der Gegenwart.» Zudem ­haben sie mit ihrem Liederprogramm über s’Babeli, s’Liseli und andere starke Frauen einen Abend geschaffen, der weit über das Konzert ­hinausgeht. Es wird gejodelt und über das Anstehen beim Toilettengang sinniert. «Sie sind musikalisch top und gehen aber auch ins Thea­trale rein», so Hürlimann. Unterbrochen durch Fragen, ergänzt durch szenische Einlagen, stösst Famm Gedanken an und wird zu einem ­interdisziplinären Gesamterlebnis.

Plaudern mit Screens
Nicht nur spartenübergreifend sollten die ­Abende werden, sondern auch interaktiv. «Wir wollten eine Veranstaltung schaffen, bei welcher das Publikum einbezogen werden kann», so Hürlimann, «wir wollen Meinungen und Fragen abholen, nicht bloss einen Vortrag halten.»
Interaktiv gestalten sich die «mittendrin»-Abende durch drei Screens, auf welchen Stimmen miteinander und auf eine spielerische Art und Weise mit dem Publikum kommunizieren. Sie werfen Fragen auf und spinnen die Themen des Abends weiter. Jedoch nicht alleine. Das ­Publikum kann während der Veranstaltung über das Handy mit den drei Screens Kontakt aufnehmen und per Nachrichten auch selbst Ideen, Gedanken und Meinungen zum Einfluss dieser Trends bringen, die direkt aufgenommen und eingebaut werden. Auch im Vorfeld der jewei­ligen Auftritte an den «mittendrin»-Abenden kann das Publikum in der Chollerhalle bereits einiges über die Megatrends erfahren.

Im einsamen Orbit
Der erste Abend, der im September stattfand, verband auch gleich mehrere Megatrends. Eröffnet werden hätte die Reihe bereits im vergangenen März sollen – von Famm. Doch aus allerseits bekannten Gründen verschob sich das erste «mittendrin» – und fand als Kurzfilmabend im Herbst statt, in Zusammenarbeit mit den Zuger Filmtagen.
«Dabei haben wir sieben Kurzfilme ausgewählt, die ein paar dieser zwölf Megatrends veranschaulichen», so Hürlimann. Unter den Kurz­filmen war beispielsweise die Science-Fiction-Animation «The Lonely Orbit» von Frederic Siegel aus Cham oder der Comedy-Fantasy-Thriller «Phlegm» des Thurgauer Regisseurs Jan-David Bolt. Auch der vielbesprochene Kreuzfahrt-Dokumentarfilm «All inclusive» der Luzerner Filmemacherin Corina Schwingruber-Ilić wurde gezeigt.
Hürlimann war, trotz all der Stolpersteine vor dem Beginn der Reihe, mit dem ersten Abend sehr zufrieden: «Die Rückmeldungen waren super, aus dem Publikum sagten auch einige, Neues gelernt zu haben.» Und das mit einem ­erfrischenden Getränk auf einem aufblasbaren Flamingo liegend, Kultur konsumierend.

Hier gehts zur Veranstaltung: zugkultur.ch/v7PhkY

(Text: Jana Avanzini)