«Orchestrale» Kammermusik

Musik

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Das Neujahrskonzert des Collegium musicum am 2. Januar brachte in der reformierten Kirche Zug zwei Streichquintette. Ein weiteres Mal überzeugten sowohl Vorbereitung als auch Interpretation.

  • Ausnahmsweise verlegte das Collegium musicum sein Neujahrskonzert in die Reformierte Kirche Zug. (Bild Jakob Ineichen)
    Ausnahmsweise verlegte das Collegium musicum sein Neujahrskonzert in die Reformierte Kirche Zug. (Bild Jakob Ineichen)

Zug – Neben dem nimmermüden in unserem Kanton seit Jahrzehnten aktiven Primgeiger Albor Rosenfeld präsentierten sich weitere dem Publikum meist bekannte Leute: die Violinistin Reiko Kai, die beiden Bratschisten Alexander Besa und Bernd Haag (der Zweite kurzfristig eingesprungen für Alessandro d’Amico) sowie die Cellistin Anne-Christine Vandewalle. Die beiden Quintette von Mendelssohn und Dvořák hatten gemeinsam, dass sie etwas im Schatten von viel bekannteren Nachbarwerken stehen. Beide imponierten aber in gleicher Weise mit der kompositorischen Substanz wie durch die Qualitäten der Interpretation.

Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb sein Streichquintett Opus 87 anno 1845, knapp zwei Jahre vor seinem frühen Tod, für den gleichen Violinsolisten Ferdinand David, dem er vorher sein viel bekannteres Violinkonzert Opus 64 gewidmet hatte. Der Solist wünschte auch für die Kammermusik ausdrücklich «in stilo moltissimo concertissimo».

Vom Barock geleitet

Mit der Verdoppelung der Bratschenstimmen und der damit verbundenen reicheren Harmonie entstanden fast von selbst auch orchestrale Elemente. Besonders im zweiten Satz spürte man einige Strukturprinzipien des Barocks, der historischen Stilrichtung, mit welcher sich der Komponist zeitlebens theoretisch und praktisch intensiv auseinandergesetzt hatte. Viele Eigenheiten des ruhigen dritten Satzes gehören zum Schönsten, was Mendelssohn je an Kammermusik komponiert hatte. Wie der Komponist selbstkritisch feststellte, wirkten die Fugati des Finales daneben etwas oberflächlich; aber die geplante Neufassung kam nicht mehr zu Stande.

Für kurze Zeit rückte der winzige Ort Spillville (Iowa/USA) ins musikalische Interesse der Weltöffentlichkeit: In der dortigen böhmischen Auswandererkolonie schrieb Antonín Dvořák nach der weltbekannten 9. Sinfonie auch das «Amerikanische» Streichquartett Opus 96 sowie das wiederum weniger bekannte Streichquintett Opus 97. Erneut mischten sich in die kammermusikalische Grundstruktur vor allem durch die Oktavparallelen Überleitungen zum Orchesterklang. Neben der Verdoppelung der Violastimme dürften dem Quintett für häufigere Aufführungen vor allem die bei Streichern gefürchteten Tonarten H-Dur und as-Moll im Wege stehen. Spezialkompliment an alle fünf Mitwirkenden zur trotzdem stets ausgezeichneten Intonation!

Kein Bier für Dvořák

Umstritten bleibt bis heute unter den Musikhistorikern die Frage, wie weit Dvořák den eigentlichen Auftrag für die Einladung von Europa nach New York erfüllen konnte, nämlich, als schon damals anerkannter europäischer Komponist eine typisch «amerikanische» Musik zu schaffen. Elemente amerikanischer Volksmusik hat Dvořák für seine eigenen Kompositionen zwar aufgenommen, stärker bei der Kammermusik als in der Sinfonie. Aber er blieb halt doch Tscheche. Auf der 36 Stunden dauernden Zugfahrt von New York nach Spillville soll er sehr darunter gelitten haben, dass es im puritanisch geführten Eisenbahnrestaurant kein Bier zu konsumieren gab. Umso mehr inspirierte ihn nachher an Zielort das Gespräch in seiner Muttersprache mit dem passenden Getränk dazu.

Für den Einlass eines zahlreicheren Publikums auch mit aufgelockerter Sitzordnung war es sicher sinnvoll, das Konzert von der Liebfrauenkapelle in die Reformierte Kirche zu verlegen. Der präzise Streicherklang kam von der Akustik her bestens zur Geltung. Statt der Zugabe begnügte sich Albor Rosenfeld allerdings nur mit einem kurzen Glückwunsch für das angefangene Jahr. Ja, gerade ausführende Musiker brauchen in 2022 nach wie vor viel Glück. (Jürg Röthlisberger)