Teufelstriller und Traumerwachen

Musik

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Zwei Zuger Musikerinnen entführten in der Marienkirche das Publikum in traumähnliche musikalische Landschaften zwischen Barock und Gegenwart.

  • Virtuos: Deborah Marchetti an der Violine und Judith Wegmann am Klavier nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch die Musikgeschichte. (Bild Stefan Kaiser)
    Virtuos: Deborah Marchetti an der Violine und Judith Wegmann am Klavier nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch die Musikgeschichte. (Bild Stefan Kaiser)

Unterägeri – Die in Zug aufgewachsene Pianistin Judith Wegmann ist bekannt für ungewöhnliche Musikperformances in kleinen Formationen – manchmal eher klassisch, dann wieder mit neuer, experimenteller oder improvisierter Musik. «Dans un rêve» heisst das neue Konzertprogramm, mit dem sie zusammen mit der Violinistin Deborah Marchetti an verschiedenen Orten den Frühling geradezu einweiht. Denn Gefühl und Poesie scheinen dabei die Richtschnur zu sein: Ausgewählt wurden zwölf kurze, zum Teil sehr bekannte intime Melodien, in denen unter «Virtuosität» in erster Linie Klang- und Interpretationskunst gemeint ist, welche die Expression, das Ausdrücken von Emotionen und Stimmungen zum Zentrum hat. Die «Klangreise» soll den Zuhörenden erlauben, den Gedanken freien Lauf und sich selber tragen zu lassen – weg von der Hektik des Alltags in die eigene innere Welt.

Offenbar berührten sie damit beim Publikum einen Nerv, war doch die Marienkirche in Unterägeri am Sonntagnachmittag rasch gefüllt. «Full House», flüstert ein alter Mann, der versucht, auf einen der alten hölzernen Seitensitze des barocken Gotteshauses zu klettern. Ein riesiges violett verhülltes Kreuz auf der rechten Kirchenwand deutet darauf hin, dass es ein «Fastenkonzert» sein wird. Und so ist das Setting vor den Altarstufen denn auch ganz einfach: ein grosser Yamaha-Flügel und ein Notenständer für die Violinistin. 

Eine Kette musikalischer Perlen

Nach der Begrüssung durch einen Vertreter der veranstaltenden «Kultur Unterägeri und Oberägeri» beginnt die Kette musikalischer Perlen zunächst barock, mit Händel, Bach, Gluck. Was sofort auffällt, sind die lang gezogenen Striche der Violine, die sich während ihrer Dauer im Ausdruck subtil verändern. Marchetti dosiert ihre Vibratos wohltuend unaufgeregt, gerade und unsentimental gefühlt. Das Piano von Judith Wegmann, zunächst sensibel zurückhaltend, wird zu wogenden Wellen in «Melody», einem Arrangement von Fritz Kreisler aus Glucks Oper «Orfeo ed Euridice». Bachs Siciliano-Arpeggien im Sechsachteltakt (Violinsonate BWV 1017) aber gibt sie Glanz durch viel Hall.

«Eines Nachts, im Jahre 1713, träumte ich, dass ich einen Pakt mit dem Teufel schloss», erzählte der italienische Komponist Giuseppe Tartini einem Freund. Der Teufel sass auf seiner Bettkante und spielte auf Tartinis Geige. Die Musik war so brillant, dass Tartini verzückt erwachte und sie festzuhalten versuchte. Aber vergeblich: «Devil’s Trill Sonata» (Bg. 5) wurde zwar eine seiner schönsten Kompositionen, aber unterschied sich so sehr von dem, was Tartini im Traum gehört hatte und nicht wiedergeben konnte, dass er am liebsten sein Instrument zerstört und die Musik aufgegeben hätte. Deborah Marchetti spielt die traumhafte Musik zwischen fliessendem Cantabile, Double Stops (zwei oder mehr Saiten werden gleichzeitig gestrichen oder gezupft) und Trillern mühelos virtuos.

Während des Rests des Konzerts – mit romantischer und programmatischer Musik – rückt der «Traum» als Leitmotiv immer mehr ins Zentrum: Seelische Zustände in «Zwischenregionen» werden zu Klängen. In Franz Schuberts «Ave Maria» (Op. 52, Nr. 6) richtet das Mädchen Ellen Douglas, «the lady of the lake», ihren verzweifelten Hilferuf in Todesangst an die Jungfrau Maria. Mit seiner Violinsonate in e-Moll (K. 304) soll Wolfgang Amadeus Mozart den Schmerz über den Tod seiner Mutter Anna Maria verarbeitet haben. Und Gabriel Fauré thematisiert in seinem «Après un rêve» (Op. 7, Nr. 1) das düstere Erwachen aus einem ekstatischen, aber falschen Liebestraum. Die nächtliche, schattige, zitternde Stimmung herrscht auch in den folgenden «Perlen» vor: ob in Jean Sibelius’ Nocturne (Op. 51, Nr. 3), Zoltan Kodalys Adagio für Violine und Klavier oder César Francks «Recitativo-Fantasia» aus seiner Sonate in A-Dur. Immer aber beherrschen die beiden Musikerinnen das Sentiment, spielen Dramatik gleichzeitig mitleidend und souverän-gelassen.

Und noch einmal der Teufelstriller

Vor dem letzten Stück wird die Entspannung spürbar: Judith Wegmann legt alle Noten zur Seite, macht einen kleinen Hüpfer auf ihrem Klavierstuhl, und Deborah Marchetti löst ihren Kiefer, stimmt nochmals ihre Geige, lächelt ins Publikum. Was folgt, ist russische Romantik pur, Reinhold Glières «Romance» (Op. 3), ein Schwelgen in hin und her wogenden Gefühlen, sehr bewegt – die Seele wird freigelassen! Danach hört das Publikum nicht auf zu applaudieren, bis Marchetti und Wegmann eine Zugabe spielen: noch einmal Tartinis «Teufelstriller». (Dorotea Bitterli)