Shakespeare schlägt Brücken

Theater & Tanz

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Der ans Berliner Theatertreffen 2023 eingeladene «Sommernachtstraum» des Basler Theaters in der Regie von Antú Romero Nunes wurde im Theater Casino Zug aufgeführt: eine moderne Inszenierung mit alten Körperkünsten.

Zug – Drei Stunden Theater ohne Pause – im Flug vorbei: Das kommt selten vor. Auch die Schulklassen im grossen Saal des Theaters Casino – Jugendliche im Alter von 14 plus – schienen vom ersten Augenblick an hineingesogen in ein Bühnengeschehen, das inhaltlich und formal Grenzen ignorierte. Zwischen Komik und Tragik, Alltag und Traum, Ratio und Magie, Menschen und Elfen, Adel und Handwerker, damals und heute. Herrscherin im sich wild tummelnden, in Abgründe tauchenden verrückten Spiel war – die Fantasie.

Zusammen mit acht Schauspielerinnen und Schauspielern hatte sich der an grossen deutschsprachigen Bühnen und internationalen Festivals erfolgreiche Regisseur Antú Romero Nunes eine Neuinterpretation des weltweit meistgespielten Bühnenklassikers vorgenommen: Shakespeares «Sommernachtstraum», 1595 verfasst. Aber der «Sommernachtstraum» «hat es zu so vielen Wiederaufführungen geschafft, dass er die Menschen über die Jahrhunderte miteinander verbindet und einen Bogen zu denen spannt, die das Stück vor über 400 Jahren in London das erste Mal sahen», so im Programmheft zu lesen.

Denn er verhandelt uralte Menschheitsfragen – Liebe, Rivalität und Eifersucht, gesellschaftliches Gefälle, die Spaltung von Denken und Fühlen. Und er tut dies, indem er explizit eine ebenfalls «ewige» Menschenlust thematisiert: die Lust, Theater zu spielen, die Alltagsrealität auf der Bühne zu verdoppeln und zu verstehen. In Shakespeares Stück gibt es gar ein «Theater im Theater» – das Spiel der Handwerker für die Hochzeit des Fürstenpaares Theseus und Hippolyta.

In Nunes’ Inszenierung wurde daraus ein «Theater im Theater im Theater»: Das Stück beginnt in einer Schulaula; die acht Protagonisten treten als Lehrpersonen auf, die «Ein Sommernachtstraum» einstudieren wollen. Nach und nach werden sie zu den Figuren in Shakespeares Zauberwald und verschmelzen traumartig mit ihnen.

Am Anfang musste man sich als Zuschauende zurechtfinden: Wer ist wer? Die leichte Verwirrung nahm aber vorweg, worum es ging: Wer ist wirklich wer? Auf welcher Ebene befinden wir uns gerade? Warum verändern sich Menschen derart stark? Genügt ein «Zaubertrank», um Gefühle umzukehren, Identitäten zu verwirren? Sind die Grenzen zwischen Vernunft und Irrationalität so schwammig, existieren sie gar nicht? Wissen wir überhaupt etwas über das, was uns steuert?

Anspruchsvolle Rollen-Vielfalt

Schauspielkunst, Kostüm- und Bühnenbildwechsel (Matthias Koch) waren dazu da, das komplexe Stück auf seinen drei Ebenen zu verorten. Die acht Schauspiel-Profis des Theaters Basel konnten während dreier Stunden ihr beeindruckendes Können entfalten. Herrlich ihre Figuren-Charakterisierung: Jan Bluthardt als Theaterpädagoge Fabio, der zuerst in die Rolle des pferdereitenden Theseus und dann in die des Elfenkönigs Oberon mit Till-Eulenspiegel-Kopfschmuck schlüpfte; Aenne Schwarz als verklemmte Lehrerin Vroni, auf weisser Säule posierende Hippolyta oder Elfenkönigin Titania im roten Paillettenkleid; Sven Schelker als haarbehangener und grauohriger Esel, aber auch als Elfe mit wackelndem Riesenwespen-Hinterteil oder als liebesrasender Demetrius; Nairi Hadodo als schüchterne Natascha, der die Rolle der umworbenen Hermia zufällt.

Gendergrenzen auflösend die Darstellung von Anne Haug als alle herumdirigierende Lehrerin Cordula, die sich in den verliebten Lysander mit eitler weiblicher Körpersprache verwandelte; oder Fabian Krüger, der den unbeholfenen Regisseur des Lehrertheaters gab, dann aber im Zauberwald als röckchenhaltende Helena herumhüpfte.

Das vergnügliche Spiel, das im Publikum Gelächter und begeistertes Klatschen provozierte, wurde getoppt durch die Darstellung des Pucks durch Gala Othero Winter. Als Lehrerin Patrizia sass sie zuerst fast unbeteiligt da; vor den blütenbedruckten blauen Zauberwaldschleiern aber mutierte sie zum zappeligen, überall auftauchenden und wieder entwischenden Unruhestifter.

«Werktreu» und doch brückenschlagend

Alle Schauspieler zeigten Körperkünste, die an diejenige der italienischen Commedia dell’arte erinnerten, die zu Shakespeare-Zeiten ganz Europa begeisterte: Dialektsprechen, Kauderwelsch, Pantomime, Parodien von Bewegungen und Gesten und so weiter. Es entstanden eigentliche komödiantische Nummern, damals «Lazzi» genannt – heute so unterhaltsam wie damals. Unterstützt durch Luzius Schulers Livemusik und Soundkulisse, die mit Klavier, Schlag- und Saiteninstrumenten produziert wurden, Szenenwechsel und Stimmungsumschwünge markierten.

Die enthusiastisch applaudierte Inszenierung war geradezu «werktreu» bei Shakespeare, aber auch ganz im Heute. Brückenschlagend. (Text von Dorothea Bitterli)