Klassik sucht Follower aller Generationen

Musik

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Einstündige Klassikformate sind eine Entdeckung aus Coronazeiten. Die «Aegeri Concerts» übertragen sie jetzt in den Konzertalltag.

  • Generationenwechsel in den ersten Konzerten: Sängerin Maria Seidler, Pianist Rudolf Buchbinder. (Bilder Thomas Stimmel/ Marco Borggreve)
    Generationenwechsel in den ersten Konzerten: Sängerin Maria Seidler, Pianist Rudolf Buchbinder. (Bilder Thomas Stimmel/ Marco Borggreve)
  • Generationenwechsel in den ersten Konzerten: Sängerin Maria Seidler, Pianist Rudolf Buchbinder. (Bilder Thomas Stimmel/ Marco Borggreve)
    Generationenwechsel in den ersten Konzerten: Sängerin Maria Seidler, Pianist Rudolf Buchbinder. (Bilder Thomas Stimmel/ Marco Borggreve)

Unterägeri – Das Klassik-Publikum wird immer jünger, seit Kulturhäuser die ganz Kleinen als Zielgruppe entdecken. Wie das Luzerner Theater, in dessen «Krabbelkonzerten» Babys künftig «tun dürfen, wonach ihnen gerade ist». Im Schulalter gibt es ohnehin jede Menge Vermittlungsangebote, die Kinder bei Laune halten. Aber wehe, wenn sie ins Teenager-Alter kommen und ihnen das nur noch peinlich ist. Dann gibt es für sie kaum noch Alternativen zum üblichen zweieinhalbstündigen Konzert-mit-Pause-Marathon.

Da trifft es sich gut, dass das Klassik-Publikum auch immer älter wird. Denn junge und hoch betagte Konzertbesucher haben ähnliche Bedürfnisse. Das hat die mit ihrer Agentur in Baar ansässige, international tätige Konzertveranstalterin Sabina Keresztes beobachtet: «Dauern Klassikkonzerte zu lange, so schreckt das Junge eher ab. Und für ältere Menschen kann langes Sitzen anstrengend werden.» Berufstätige wiederum haben kaum Zeit für lange Konzerte. Und «Einsteiger» sind froh, wenn sie sich beim Schnuppern an klassischer Musik nicht gleich auf eine lange Tour einlassen müssen.

Eine Stunde mit Greatest Hits von Beethoven

Um ihnen allen den Zugang zu erleichtern, erprobt Keresztes mit den «Aegeri Concerts» ein neues Format. Entscheidend ist die Beschränkung der Konzertdauer auf gut eine Stunde. Weil die Pause entfällt, gehört der Apéro vor dem Konzert – wie an Kleinfestivals – mit zum Programm. Auch die Ägerihalle ist mit ihrer «nahbaren Atmosphäre» Teil des Konzepts.

Das erste Konzert am Montag bietet einen weiteren Einstiegsköder. Da tritt mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder ein Topstar auf, für den «Besucher aus dem Grossraum Zürich» nach Ägeri reisen. Und er spielt mit Beethovens «Pathétique», «Mondscheinsonate» und «Appassionata» ein Greatest-Hits-Programm, das es in sich hat: In der «Mondscheinsonate» kann sich auch ein junges und klassikferneres Publikum wiederfinden, während die «Appassionata» als Inbegriff expressiver Virtuosität einen Höhepunkt im Schaffen Beethovens darstellt.

In den weiteren Konzerten stehen junge Künstler auch auf der Bühne für die Idee, mit Musik Generationen und Nationen zu verbinden. So bietet der Pianist Kit Armstrong eine Entdeckungstour durch Klaviermusik aus vier Jahrhunderten. Und die Sängerin Marie Seidler mischt in ihrem Liederabend «Zur Rosenzeit» zwischen Schumann oder Gounod Lieder von Hugo Wolf in homöopathischer Dosis: Auch das Liedrezital soll für Besucher zugänglich sein, «die damit kaum Erfahrung haben».

Aber mit jungen Interpreten, auf die viele Veranstalter setzen, hat Keresztes ein weiteres Ziel im Auge. «Das sind zum Teil Künstlerinnen und Künstler, die auf Social Media sehr aktiv sind», sagt sie: «Da sprechen sie junge Menschen an und vermitteln ein frisches und so gar nicht angestaubtes Image der klassischen Musik.»

Klassik für die Tiktok-Generation

Etwas von diesem Image möchte Keresztes in die Ägerihalle bringen, die eben kein Kunsttempel ist und doch von der grossen Bühne bis zum Steinway alles hat, was es für einen Konzertevent braucht. Als ein für später geplantes Beispiel für den Generationentransfer, der an einem solchen Ort möglich ist, nennt Keresztes Esther Abrami. Ein Youtube-Video, das die Geigerin beim Üben zeigt, während sich eine Katze um ihre Hüfte schmiegt, erhielt über zehn Millionen Klicks. In den sozialen Medien hat der Tiktok-Star über 800 000 Follower.

Um Schwellen abzubauen, braucht es aber auch niedrige Eintrittspreise. In dieser Hinsicht operieren die «Aegeri Concerts» mit den üblichen Vergünstigungen für junge Be­sucher (20 Franken) und mit Abos. Mit diesen beläuft sich der Eintritt für die einzelnen Konzerte auf 30 bis 50 Franken, rechnet Keresztes vor: «Tiefere Preise kann ich mir nur mit zusätzlichen Sponsoren leisten.»

Testlauf für die Zukunft eines Coronaformats

Sind Besucher bereit, für eine Stunde Musik bis zu 120 Franken (für Buchbinder) oder bis zu 80 Franken (für das Liedrezital) zu bezahlen? Die Frage ist auch für andere Veranstalter interessant.

Denn einstündige Konzerte sind eine Entdeckung aus Coronazeiten. Da schätzten sie viele nicht nur als familiäres Einsteigerformat für Kinder, sondern eben für Jung und Alt. Kammermusikfestivals wie jene in Engelberg oder demnächst die Rigi-Musiktage haben das übernommen, freilich in Kombination mehrerer Konzerte im Rahmen von Festivals. Insofern erproben die «Aegeri Concerts», wie sich dieses Coronaformat in einen Konzertalltag hinüberretten lässt, der hochgefahren wurde, als wäre nichts geschehen. (Text von Urs Mattenberger)

Hinweis
Rudolf Buchbinder spielt Beethoven-Sonaten: Montag, 4. Juli, 19.30, Ägerihalle in Unterägeri. www.keresztesartists.ch