Kunstwerke von Unikaten

Kunst & Baukultur

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Runter vom elitären Sockel, mitten ins Leben. Kunst soll für alle zugänglich sein, findet der Verein Kunstpause. Und überliess Kunstschaffenden der Stiftung ­Zuwebe in Inwil die Kunstkabine für eine Ausstellung. Ein Besuch bei Profis.

  • Helen ist für den Hintergrund zuständig. Sie schafft die Basis für spätere Kunstwerke – und tut das mit Hingabe. (Bilder: Thierry Burgherr)
    Helen ist für den Hintergrund zuständig. Sie schafft die Basis für spätere Kunstwerke – und tut das mit Hingabe. (Bilder: Thierry Burgherr)
  • Heinz stanzt die besten Sterne – und nur die besten kommen in seine Sammlung.
    Heinz stanzt die besten Sterne – und nur die besten kommen in seine Sammlung.
  • Manuela hat zwei Spraydosen verheiratet.
    Manuela hat zwei Spraydosen verheiratet.
  • Und Nicole hat eine Spraydose als Käse und eine mit Schweizerkreuz gestaltet.
    Und Nicole hat eine Spraydose als Käse und eine mit Schweizerkreuz gestaltet.
Baar – Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Heinz konzentriert sich. In seiner Hand hält er ein bemaltes Stück Papier, das er unter ein kleines, handliches Stanzgerät zieht. Er drückt zu. Chhrtsch! Ein Sternchen flattert unter dem Gerät heraus, segelt zu Boden, bleibt liegen. Heinz hebt es auf, hält es kritisch vor sich in die Höhe. «Hmmm, das isch ned guet.» Tatsächlich fehlt dem Stern ein Zacken. Weg damit, befindet Heinz erbarmungslos. Nur fünfzackige Sterne schaffen es in seine Kiste, in der bereits Hunderte davon liegen, kleinere und grössere in allen erdenklichen Farben. Im Malatelier arbeitet Heinz gern, obwohl der 62-Jährige schon fast das Pensionsalter erreicht hat. Aber, so findet er: «Ohne Arbeit würde es mir doch langweilig werden.»
Heinz’ Arbeit wird entsprechend gewürdigt. Niemand im Malatelier der Stiftung Zuwebe stanzt so gut wie er, das würde hier niemand zu bezweifeln wagen. Jeder der Kunstschaffenden hat sein Spezialgebiet. Kein Wunder, denn die Klient:innen verbringen hier doch täglich mehrere Stunden und wissen, was sie am besten können und am liebsten machen. Sie malen, kleben, kleistern und basteln, erschaffen hier teils wandfüllende Projekte. Und alle tun’s auf ihre Weise.

Wenn man Helen beim Arbeiten zusieht, scheint es, als würde die Kunst gar nicht anders können, als aus ihr herauszufliessen. Die blonde Frau sitzt an ihrem Fensterplatz. Vor ihr liegt ein A3-Blatt, das sie mit beige-brauner Farbe bemalt. «Helen grundiert bis zum Gehtnichtmehr», konstatieren ihre Gschpändli. Ganz offensichtlich ist das ihr Spezialgebiet; eine Basis zu schaffen für Werke, welche ihre Teamkolleg:innen später weiterentwickeln werden. Nichts scheint für die Künstlerin zu existieren ausser Pinsel, Farbe und Papier. Manchmal murmelt sie etwas in sich herein. Dann wieder ist sie ganz still. Selbst, dass an diesem Tag Besuch da ist, scheint sie erst zu realisieren, als sie aus nächster Nähe darauf angesprochen wird.

Spraydosen verheiraten
Wir sind hier, um den Kunstschaffenden über die Schulter zu blicken, die ihr Gemeinschaftswerk «Farbenpracht, eine Mix-Max-Explosion» derzeit in der Baarer Kunstkabine ausstellen. Die Ausstellung wird im Auftrag der Gemeinde Baar vom Verein Kunstpause Zug kuratiert und wird ihrem Namen durchaus gerecht. Mehrere Dutzend alte Spraydosen haben die Kunstschaffenden wiederverwendet, haben sie bemalt, beklebt und bekleistert, um daraus eine grosse, nun, Farbenpracht zu erschaffen. Auch die Künstler:innen selber werden in der Kunstkabine sichtbar. Es handelt sich um Porträts, die in Graustufen mittels Fototransfer-Verfahren auf kleine, farbige Leinwände übertragen wurden.

Kunst statt Sondermüll
Simon Eberhart, der Leiter des Teams Malatelier, erklärt dazu: «Seit ich hier arbeite, haben wir sehr oft mit Spraydosen gearbeitet, was eine Menge leerer Dosen zur Folge hatte. Diese gehören eigentlich in den Sondermüll.» Gemeinsam beschloss das Team, die Dosen vom direkten Weg in den Abfall zu bewahren und aus ihnen ein Kunstwerk zu kreieren. «Irgendwie passt das Konzept ganz gut. Jede Spraydose ist anders. So wie ja auch wir Menschen alles Unikate sind», sagt Eberhart.
«Tricky» sei der Ausstellungsraum gewesen. Wer die Kunstkabine kennt, der weiss, dass die ehemalige Telefonkabine naturgemäss nur sehr wenig Platz bietet. «Doch auch das passt irgendwie», findet Eberhart. «Die Form der zylinderförmigen Kabine erinnert selber ein wenig an eine Spraydose.»

Viele der leeren Dosen haben Manuela und Nicole gestaltet. Auf die Frage, wie viele es denn waren, sagt Letztere: «Nicht gerade eine Million. Aber es waren einige.» Mehrere Wochen hätten sie jedenfalls daran gearbeitet. Ihre persönlichen Lieblingsmotive? «Auf eine der Flaschen habe ich mit Sprühleim Aluminiumstücke geklebt. Das war aufwendig. Ausserdem habe ich eine Dose gemacht, die aussieht wie ein Käse und eine mit einem Schweizerkreuz. Das ist die beste», stellt Nicole fest.
Manuela ergänzt aus dem Hintergrund aufgeregt: «Eine EVZ-Flasche! Und ein Brautpaar!» Auch Nicole seufzt darüber glücklich. Wir bitten um eine Erklärung. Manuela sagt dazu: «Ich habe aus einer Dose einen Bräutigam gemacht und aus einer anderen eine Braut.» Natürlich in Weiss. Wie sie denn darauf kam? «Einfach so», sagt sie verschmitzt und schnalzt mit der Zunge. Heiraten, das ist für die beiden Frauen ein riesiges Thema. Nicoles grösster Wunsch: «Einmal ein schönes weisses Hochzeitskleid anzuprobieren. Ob das wohl möglich ist in einem Braut­modengeschäft? Ich würde es ja nur anprobieren und nicht mitnehmen wollen.»

Stolz auf Sichtbarkeit
Die Künstler:innen sind «schon ein wenig stolz» auf ihre eigene Ausstellung in Baar. «Es gab sogar einen Apéro», betont Nicole. Überhaupt mögen sie es, gesehen zu werden. Ob nun durch eine Ausstellung, während des Interviews oder durch den Fotoapparat. Auch Malatelier-Leiter Simon Eberhart freut sich über die Plattform, mittels der sich die Klient:innen der Stiftung ­Zuwebe präsentieren können, respektive die es ermöglicht, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Alle sollen teilhaben können an der Kultur, davon ist man bei der Stiftung Zuwebe überzeugt.
Dafür verantwortlich, dass die Stiftung diese Möglichkeit überhaupt erhalten hat, ist Sam Heller vom Verein Kunstpause. «Ich habe während eines halben Jahres ein Praktikum als Arbeitsagogin bei der Stiftung Zuwebe absolviert. Obwohl ich primär in der Schreinerei tätig war, habe ich auch Einblicke erhalten in die anderen Ateliers.» Dass die Klient:innen des Malateliers bei der Kunstkabine mitwirken, habe sich vom Konzept her anerboten, sagt Heller.
«Dem Verein Kunstpause ist es sehr wichtig, Kultur für alle zugänglich zu machen und sie aus den «White Cubes» der Museen herauszuholen, runter vom elitären Sockel», sagt Heller. Auf die Kunstkabine bezogen, bedeute dies, «dass alle sich trauen dürfen, sich zum Thema Kunst zu äussern oder selber etwas dazu zu machen». Als die Kunstkabine vor fast zwei Jahren eröffnet wurde, durften Baarer:innen etwa eigene Gegenstände ausstellen lassen, die für sie Kunst bedeuten. In Workshops äusserten sich Schulkinder später dazu und zu ihrem eigenen Kunstverständnis. «Es ist ein allumfassender Inklusionsgedanke, der uns umtreibt», sagt die Kuratorin.
Die Ausstellung «Farbenpracht – eine Mix-Max-Explosion» ist noch im Januar in der Kunstka­bine zu sehen. Es ist die letzte Ausstellung, die vom Verein Kunstpause kuratiert wird.

(Autorin: Valeria Wieser)

Hier gehts zur Ausstellung: zugkultur.ch/iGZ47V