Mit Film Flagge zeigen

Dies & Das

,

An den Zuger Filmtagen wird dieses Jahr «teil sein» gezeigt. Ein Kurfilm-Essay von Andrina Moos, in welchem es poetisch, aber auch echt persönlich wird.

  • Wem gehört dieser Körper? (Bild: Videostill aus «teil sein» von Andrina Moos)
    Wem gehört dieser Körper? (Bild: Videostill aus «teil sein» von Andrina Moos)

Zug – Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 


Ein Rascheln im Dunkeln. Dann eine Stimme: «Ich möchte durch Strassen gehen. Ich möchte anziehen, worauf ich Lust habe. Ich möchte Händchen halten und Menschen küssen. Ich möchte Socken kaufen. Einfach so.» Im Dunkel wird ein Körper sichtbar. Nackt, eingehüllt in eine raschelnde Plastikfolie, liegt er auf dem Boden. Er bewegt sich – wenig. Atmet. Schleim oder Farbe tropft über den Körper. Klebt in den Körperhaaren. «Weshalb verurteilst du mich und greifst mich an? Einfach anhand meines Aussehens. ... Weshalb beschimpfst du mich? ... Drohst mir und sagst, dass ich doch einfach mal richtig gefickt werden muss.» Es sind poetische Bilder von Verletzlichkeit, die der Off-Stimme gegenüberstehen, die Fragen stellt, wütend wird und in einem Appell endet.

Ein Manifest
Andrina Moos aus Zug, 26 Jahre alt, ist für diese Bilder und die Texte verantwortlich. Sich selbst mit der eigenen Non-Binarität auseinandersetzend, hat Moos den sechsminütigen Experimentalfilm als eine Art Manifest konzipiert. Letztes Jahr entstanden, wird der im schwarzen Studio gedrehte Film nun erstmals an Zuger Filmtagen gezeigt. «Ich freu mich mega drüber. Weltpremiere!», so Andrina Moos lachend.
Spannend sei dabei besonders, den Film in Zug erstmals vor einem grösseren und «fremden» Publikum zu zeigen. Doch es ist nicht der einzige Film von Andrina Moos, der aktuell an einem Filmfestival gezeigt wird. An den Internationalen Kurzfilmtagen in Winterthur wird der Film gezeigt «Warten bis zum Ruck» von Fynn Gröber, bei dem Moos für den Schnitt verantwortlich war. «Ich mag diesen Teil des Berufs sehr, von Filmfestival zu Filmfestival zu ziehen – um eigene Filme präsentieren zu können, aber auch um mir vieles anzuschauen», so Moos.
Andrina Moos hat den Gestalterischen Vorkurs an der Hochschule Luzern 2021 abgeschlossen und nach einem Jahr Praktikum bei einer Produktionsfirma 2022 das Studium Video an der Hochschule Design Film Kunst begonnen. Der Film, der in Zug dieses Jahr gezeigt wird, hat Moos als Teil der Ausbildung entwickelt und produziert.

Persönliche Themen
In Neuheim und Eschenbach mit zwei Schwestern aufgewachsen, war Andrina Moos schon als Kind kreativ unterwegs. «Ich war immer am Basteln und Werken, hatte auch ständig neue Ideen, was ich machen wollte.» Auch beruflich. Mal Archäologie studieren, dann Psychologie oder Jus. Schliesslich jedoch ging Moos mit Badminton ans Sport-Gymnasium und investierte voll in die Spitzensport-Karriere. Bis zur Schulterverletzung. Dann, im Vorkurs an der Kunsthochschule, zeigte sich: «Die Kamera ist mein Werkzeug, Video ist mein Medium.» Einerseits reizt Andrina Moos das Erzählen und Dokumentieren von Menschen und ihren Geschichten, andererseits ist der Film auch Medium für die Verarbeitung von Themen, die Moos selbst betreffen. Wie im Film «teil sein». «Ich möchte natürlich in meinen Filmen einerseits Themen behandeln, die mich persönlich beschäftigen. Andererseits will ich in meinen Arbeiten grundsätzlich Menschen eine Stimme geben, die sonst vielleicht keine Plattform haben, sich öffentlichkeitswirksam zu äussern. Es ist für mich auch eine Art, andere an meinen Privilegien teilhaben zu lassen», so Moos. Politisch interessiert ist Andrina Moos schon immer. In einer Partei zwar nicht, doch dafür stark aktivistisch engagiert: bei Spendenaktionen, Demonstrationen, Strassenaktionen. Und ein Stück weit ist nun auch die Kunst, das Filmemachen Teil der aktivistischen Arbeit. Oder umgekehrt.

Aggressionen im Alltag
Dass Andrina Moos «teil sein» als Manifest drehte, hat viel mit eigenen Erfahrungen in den letzten Jahren zu tun. Mit Beleidigungen und Diskriminierungen im Alltag. Als sich Andrina Moos mit achtzehn Jahren als queer zu outen begann, sei das kein Thema gewesen. «Ich habe zum Glück kaum die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich deshalb von mir abgewandt haben», sagt Moos. Mit der Non-Binarität sei es etwas komplizierter, sagt Moos. Da seien viele Leute nicht geübt und deshalb überfordert und unsicher. Andere gar unverständig bis hin zu herablassend und aggressiv. Auch alleine unterwegs, in der Öffentlichkeit, im Alltag auf der Strasse kommt es immer wieder zu Konfrontationen und Angriffen. «Diese Aggressionen irritieren mich jedes Mal. Sie machen wütend und traurig», sagt Moos. Mit diesen Gefühlen will Moos die Zuschauer*innen im Film konfrontieren, sie irritieren, dann aber auch wieder abholen und aufzeigen, wie wenig es doch brauchen würde für ein friedliches Miteinander. In der Verarbeitung der eigenen Erlebnisse, aber auch mithilfe von Interviews anderer non-binärer Personen entstand der Text zum Film in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Aline Schüpbach. 
Das Schwerste sei danach die Bildebene gewesen. «Wie stellt man das Gefühl dar, sich nicht gesehen zu fühlen, sich falsch zu fühlen, sich falsch schubladisiert zu fühlen?», fragt Moos. Die Entscheidung fiel schliesslich darauf, dem Publikum in den Bildern aufzuzeigen, wie man ständig versucht, das Geschlecht einer Person erkennen zu wollen, Körperteile zuordnen zu können. Diesen Wunsch nicht zu erfüllen, damit zu spielen und den Zuschauer*innen diesen Automatismus vor Augen zu führen, das ist Andrina Moos definitiv gelungen.
Doch was macht Andrina Moos, wenn es nicht ums Filmen und um politisches Engagement geht? «Spazieren. – Spazieren ist mein grösstes Hobby», sagt Moos. Jeden Tag bestimmt ein, zwei Stunden ist Moos unterwegs. Mit einer dafür eigens zusammengestellten Playlist wird durch die Stadt Luzern gegangen, wo Moos mittlerweile zu Hause ist. Wegen Schlafstörungen begonnen, ist das Gehen zu einem wichtigen Teil des Alltags geworden. «Ich sammle dabei meine Gedanken, wenn sie kreisen, schalte ab und fahre runter.» Die Route wird angepasst, je nach Stimmung, doch am Schluss der Spaziergänge bleibt Andrina Moos dann meist noch eine Weile auf einer Bank sitzen und blickt auf den See, bevor es um die Ecke nach Hause geht – direkt beim Kino Bourbaki. Wie passend.

 

Text: Jana Avanzini