Rolf Hochhuth: Viel zu kritisch für Zug

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Serie «Zuger Skandale»: Der international anerkannte Dramatiker Rolf Hochhuth wollte 1963 nach Zug zügeln. Doch die Regierung versagte ihm die Aufenthaltsbewilligung, weil er zu kirchenkritisch war.

  • In der Menschenmenge in den Strassen von Basel werden am 24. September 1963 Plakate mit Parolen wie «Bringt endlich Schweizer Dramatiker» und «Der Stellvertreter muss abgesetzt werden!!» gegen die Aufführung von Hochhuths Theaterstück «Der Stellvertreter» hochgehalten. Das Theaterstück wühlte auf und hatte Folgen bis in die Zuger Politik. (Bild Keystone/Str)
    In der Menschenmenge in den Strassen von Basel werden am 24. September 1963 Plakate mit Parolen wie «Bringt endlich Schweizer Dramatiker» und «Der Stellvertreter muss abgesetzt werden!!» gegen die Aufführung von Hochhuths Theaterstück «Der Stellvertreter» hochgehalten. Das Theaterstück wühlte auf und hatte Folgen bis in die Zuger Politik. (Bild Keystone/Str)
  • Rolf Hochhuth: Der deutsche Dramatiker wollte sich in Zug niederlassen, doch er war der Regierung zu kritisch. (Bild Wikimedia)
    Rolf Hochhuth: Der deutsche Dramatiker wollte sich in Zug niederlassen, doch er war der Regierung zu kritisch. (Bild Wikimedia)
  • Hochhuths Papst-Stück «Der Stellvertreter» rief verschiedene Debatten hervor. (Bild Bibliothek Zug)
    Hochhuths Papst-Stück «Der Stellvertreter» rief verschiedene Debatten hervor. (Bild Bibliothek Zug)
  • Hans-Ulrich Kamer: Der liberale Richter setzte sich im Kantonsrat für Hochhuth ein – ohne Erfolg. (Bild Bibliothek Zug)
    Hans-Ulrich Kamer: Der liberale Richter setzte sich im Kantonsrat für Hochhuth ein – ohne Erfolg. (Bild Bibliothek Zug)
  • Papst Pius XII.: Sein Verhalten während des Zweiten Weltkriegs war das umstrittene Thema. (Bild Wikimedia)
    Papst Pius XII.: Sein Verhalten während des Zweiten Weltkriegs war das umstrittene Thema. (Bild Wikimedia)

Zug – Eigentlich war es ein Gesuch wie Dutzende zuvor und Dutzende danach, damals in der Hochkonjunktur. Am 7. Mai 1963 stellte der Zuger Arcadia-Verlag für den deutschen Dramatiker Rolf Hochhuth und dessen Familie das Gesuch für eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton Zug. Er wollte sich in Zug dauerhaft als Autor und Lektor des Arcadia-Verlags niederlassen, einer Filiale des grossen Bertelsmann-Verlags.

Schon zehn Tage nach dem Eingang des Gesuchs folgte der ablehnende Bescheid der Zuger Fremdenpolizei, unter Angabe von zwei Gründen. Erstens wurde der grosse Zustrom angeführt: «Die Zahl der Ausländer im Kanton Zug ist bereits sehr gross.» Pro Jahr erteilte der Kanton Zug damals mehr als 4000 neue Aufenthaltsbewilligungen; auf eine mehr wäre es also nicht angekommen.

Der zweite Grund: «‹Der Stellvertreter› hat im Inland und Ausland eine vehemente öffentliche Diskussion verursacht, die im Hinblick auf die Verletzung der religiösen Gefühle des Grossteils der Zuger Bevölkerung eine Aufenthaltsbewilligung als nicht opportun erscheinen lassen.» Das lässt in mehrfacher Hinsicht aufhorchen.

Polarisierendes Theaterstück

Denn die Fremdenpolizei des Kantons Zug bezog sich hier auf das neuste Theaterstück von Hochhuth. Es hiess «Der Stellvertreter», handelte von Papst Pius XII. (1876–1958), der während des Zweiten Weltkriegs zum Holocaust geschwiegen hatte. Im Februar 1963 hatte das Stück in Berlin Premiere gefeiert und polarisiert: Liberale und Linke jubelten, Konservative und Katholiken waren empört. Und jetzt könnte der Autor des Stücks die «religiösen Gefühle des Grossteils der Zuger Bevölkerung» verletzen.

In der Tat erhitzte das Erstlingswerk des 26-jährigen Theaterautors die Gemüter auch in der Schweiz. Die Schweizer Erstaufführung fand im Herbst 1963 in Basel statt und wurde von Demonstrationen, einem Stinkattentat, Drohbriefen, faulen Eiern und einer Bombendrohung begleitet. Darauf wurde die geplante Vorstellung in Zürich abgesagt, aber weitere Aufführungen fanden in Zofingen, Olten und Aarau statt. In Bern kam nur eine entschärfte Version auf die Bühne.

Die Heftigkeit der Reaktionen hing mit den Zeitumständen zusammen: 1961 war der KZ-Buchhalter Adolf Eichmann zu Tode verurteilt worden, 1963 fand in Frankfurt der grosse Prozess zum Konzentrationslager Auschwitz statt, gleichzeitig begann 1962 das Zweite Vatikanische Konzil, das viele Erneuerungen in die Kirche brachte. In diesem ambivalenten Umfeld war Hochhuths Stück der legendäre Wassertropfen, der das Fass für viele zum Überlaufen brachte. In der Fachwelt fragte man sich, ob Hochhuths Werk ein Drama sei oder doch nur ein Pamphlet? Auf jeden Fall musste Hochhuth reagieren. Weil ihm die Niederlassung in Zug verweigert wurde, zog er nach Basel, wo er am Basler Stadttheater eine Anstellung als Regieassistent bekam.

Heftige Debatte mit Zwischenrufen

Doch zurück nach Zug. Konnte die Fremdenpolizei wirklich die Niederlassung aufgrund eines Theaterstücks verweigern? Das war umstritten und hatte deshalb ein politisches Nachspiel im Kantonsrat. Die dortige Debatte vom 21. November 1963 fand in der ganzen Deutschschweiz Beachtung. Der brillante Richter und FDP-Kantonsrat Hans-Ulrich Kamer (1927–1997) zerpflückte die Argumentation des Regierungsrates und stellte die Frage, «ob jemand durch ein literarisches Werk, das er nur vom Hörensagen kennt, ernsthaft in seinen religiösen Gefühlen verletzt werden kann, und lassen wir auch dahingestellt, ob die allenfalls in ihren religiösen Gefühlen verletzten Gläubigen behördlichen Schutz überhaupt wünschten, oder ob sie nicht vielmehr durchaus fähig und willens gewesen wären, ihre Überzeugung selbst zu verfechten».

Damit traf der liberale Kamer den Nerv, denn die zuständigen Regierungsräte mussten zugeben, das Stück weder gelesen noch gesehen zu haben. Kamer weiter: «Der behördliche Bannstrahl richtete sich aber nicht gegen die Verbreitung des Werkes, sondern gegen dessen Verfasser; er schützte also nicht religiöse Gefühle, sondern er zielte darauf ab, Hochhuth für sein Werk nachträglich zu bestrafen.»

Die Wogen gingen im Kantonsratssaal hoch. Denn für die Mehrheit hatte der Regierungsrat richtig gehandelt. Am schärfsten trat CVP-Kantonsrat Antonio Planzer (1923–1998) auf, der später von 1975 bis 1982 Regierungsrat war. Er bezeichnete Hochhuths Stück als «übles Pamphlet und eine Schmähschrift eines Gotteslästerers mit pornografischen Zügen», Leute wie Hochhuth «verdienten kein Gastrecht im Kanton Zug». Der Ratspräsident musste den Redner unterbrechen und «bat die Zwischenrufer, das Recht auf freie Meinungsäusserung auch dann gelten zu lassen, wenn sich Redner aus der konservativ-christlichsozialen Fraktion zu Wort melden».

Die Loyalität zum Papst und die Kritik an Hochhuth hatten unter Umständen noch einen weiteren Grund. Denn der im Theaterstück kritisierte Papst Pius XII. hatte eine besondere Beziehung zum Kanton Zug. Vor seiner Wahl als Papst, damals noch als Kardinal Eugenio Pacelli, hatte er seine Ferien im Klosterdorf Menzingen verbracht und war während Jahren zur Erholung bei Menzinger Lehrschwestern in Rorschach gewesen. Und seine Haushälterin und Assistentin war die Menzinger Schwester Pascalina Lehnert (1894–1983) gewesen, zuerst in München und Berlin, dann ab 1939 auch in Rom. So könnte die Verbindung zum Kloster Menzingen die Kritik an Hochhuth verschärft haben. (Text von Michael van Orsouw)

Hinweis
Dr. Michael van Orsouw ist His­toriker und Schriftsteller. Er beleuchtet diverse Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge 10 geht es um ein umstrittenes Bauvorhaben.