«Ein Gegenentwurf zum Fremdgehen»

Dies & Das

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Während der internationalen Woche gegen Rassismus bietet die Bibliothek unter dem Motto «Living Library» Kontakte zu ganz besonderen Menschen. Zu Gast sind ein Polyamouröser, eine Borderlinerin, ein Imam, eine Rollstuhlfahrerin und ein Rohstoffhändler.

  • Am 21. und 24. März verwandelt sich die Bibliothek Zug in eine «Living Library». Die Besucher lernen fünf Menschen mit einer besonderen Lebensweise kennen. Das Bild zeigt die letztjährige Ausgabe. (Bild Werner Schelbert)
    Am 21. und 24. März verwandelt sich die Bibliothek Zug in eine «Living Library». Die Besucher lernen fünf Menschen mit einer besonderen Lebensweise kennen. Das Bild zeigt die letztjährige Ausgabe. (Bild Werner Schelbert)

Zug – Anlässlich der internationalen Woche gegen Rassismus beherbergt die Zuger Bibliothek am 21. und 24. März eine «Living Library»: Anstelle von Büchern leiht man hier spannende Menschen für ein 30-minütiges Gespräch aus. Eine Borderlinerin, ein Imam, eine Rollstuhlfahrerin, ein Rohstoffhändler und ein Polyamouröser gewähren den Besuchern Einblicke in ihr Leben. Letzteren konnten wir im Vorfeld zu einem Interview treffen. 

Marc* lebt seit ein paar Jahren polyamourös. Das bedeutet, dass er Liebe, verliebt sein, Intimität, Vertrauen und Sex nicht ausschliesslich mit einer Person lebt, sondern mit mehreren. Das Kunstwort Polyamorie besteht aus dem griechischen «polýs» für «viel, mehrere» und dem lateinischen «amor» für «Liebe». 

Ein zentraler Aspekt dieser Beziehungsform sind die Transparenz und die intensive Kommunikation zwischen den verschiedenen Partnern. «Wir wollen in gegenseitigem Einvernehmen mit verschiedenen Personen unsere Liebe leben», erklärt Marc, «ein Gegenentwurf zum heimlichen Fremdgehen.» 

Loslassen und vertrauen

Seit fünfzehn Jahren hat er eine feste Partnerin. Vor ein paar Jahren haben die beiden ihre Beziehung geöffnet und leben seither polyamourös. Ausserhalb ihrer «Primärbeziehung» verbringen beide noch Zeit mit jeweils zwei bis drei anderen Partnern. «Loslassen, Einlassen und Vertrauen sind dabei die grössten Herausforderungen – und ein gutes Zeitmanagement», sagt Marc schmunzelnd. «Ich kann nicht ausschliessen, dass ich auch eifersüchtig werde. Aber mit ehrlicher Kommunikation und Vertrauen gelangt man zum Punkt, an dem man sich mitfreut, wenn der Partner sein Glück mit jemand anderem geniesst.» 

Die Öffnung aus der Exklusivität entkrampfe die Hauptbeziehung auch, sagt der 47-jährige Informatikingenieur. «Da sind mehrere Menschen, die wir lieben, mit denen wir unterschiedliche Dinge teilen. Durch die polyamouröse Lebensweise sind meine Partnerin und ich uns sogar näher als zuvor.» Neben der Form von Polyamorie, die Marc lebt, gibt es noch diverse andere polyamouröse Beziehungsentwürfe, wie etwa die Beziehungsanarchie. Diese lehnt es ab, Liebesbeziehungen in hierarchische Kategorien wie «primäre» und «sekundäre» Partnerschaften aufzuteilen.

Die Polyamorie-Szene in der Schweiz ist gut organisiert. In grösseren Städten trifft man sich bei Stammtischen und Themenabenden, tauscht sich aus und lernt sich kennen. «Die Szene überschneidet sich gewinnbringend mit benachbarten Kreisen», sagt der Wahlzürcher. Gemeint sind etwa die LGBT (lesbian, gay, bisexual, transgender), die Queer (von jeder Norm abweichend), die BDSM (bondage, discipline, dominance, submission, sadism, masochism) oder die Tantriker. Ein verbindendes Element sei dabei die Differenzerfahrung, welche viele aus diesen Szenen kennen, also die Feststellung, dass man ein wenig anders sei als aufgrund der gesellschaftlichen Norm erwartet. Durch diese Erfahrung entwickle man viel Toleranz und ein gesteigertes Interesse für andere Menschen. «Eine gute Sache», sagt Marc, «denn die Polyamorie erfordert sowieso Offenheit. Meine Partnerin und ich sprechen uns ab, wenn wir unsere anderen Lieben treffen wollen. Auch Safer Sex ist dabei ein wichtiges Thema, da wir uns auch sexuell in einem ganzen Netzwerk befinden.»

Wer sich tiefer mit dem Thema Polyamorie befassen möchte, hat die Möglichkeit, Marc an der «Living Library» kennen zu lernen. Oder einen der Polytreffs in Zürich oder Luzern zu besuchen. (Wolfgang Meyer)

Hinweis
* Name geändert.