Wandbilder erweisen sich als einzigartig

Brauchtum & Geschichte

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Bei Renovationsarbeiten in einem Zuger Wohnhaus aus dem frühen 16. Jahrhundert ist man auf ein dichtes sakrales Bildprogramm gestossen. Es ist ein kunsthistorischer Glücksfall und wohl schweizweit eine Besonderheit.

  • Besonders schön erhalten ist die Darstellung des Heiligen Georgs zu Pferd. Von aussen ist das 500 Jahre alte Wohnhaus (unteres Bild, Mitte) eher unauffällig. (Bild Matthias Jurt)
    Besonders schön erhalten ist die Darstellung des Heiligen Georgs zu Pferd. Von aussen ist das 500 Jahre alte Wohnhaus (unteres Bild, Mitte) eher unauffällig. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Ab 1478 erfuhr Zug eine aus damaliger wie auch aus heutiger Sicht beispiellose Stadterweiterung. Es entstand die äussere Stadtbefestigung mit ihren markanten Türmen und Toren. Der heutige Kolinplatz war nun das neue Zentrum – im gleichmässigen Abstand zu ihm wurde die Stadtmauer fächerartig als Grenze des erweiterten Stadtgebietes angelegt. Zug folgte somit dem Idealbild einer Renaissancestadt.

Im Rahmen dieser spätmittelalterlichen Stadterweiterung entstand im frühen 16. Jahrhundert auch die Verbauung entlang der unteren Ägeristrasse gegenüber Kolinplatz und Hotel Ochsen. Innerhalb dieser Gebäudereihe sticht das Haus Ägeristrasse 3 mit seiner schlank dimensionierten, weitgehend schmucklosen Fassade nicht sonderlich ins Auge. Sein Inneres jedoch steht diametral entgegen seiner äusseren Unauffälligkeit. Dies weiss man spätestens seit vergangenem Jahr, als bei Renovierungsarbeiten nach Entfernen des Täfers unter einer Kalktünche grossflächige Wandmalereien aus der Bauzeit zum Vorschein gekommen sind (Beitrag vom 18. Oktober 2021).

Osmanisch beherrschtes Jerusalem

Soweit ist dies insofern noch keine Sensation, als bei historischer Bausubstanz häufig alter Hausschmuck gefunden wird. Im Falle des besagten Gebäudes jedoch handelt es sich um eine Entdeckung, die in Zug absolut einmalig ist. Sie dürfte gar landesweit eine Besonderheit darstellen, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Das Ganze erweist sich als höchst qualitätvolles sakrales Bildprogramm in einem einzigen Raum des zweiten Obergeschosses, begleitet von Groteskenmalerei sowie Ornamentik mit Ranken und Vögeln. Die Wandbilder dürften aus der Bauzeit des dendrochronologisch in das Jahr 1523 zu datierenden Gebäudes stammen.

Mittlerweile sind die Wandbilder soweit freigelegt, dass sich das Bildkonzept beschreiben lässt: Das eine Feld zeigt die Ölbergszene mit Christus und schlafenden Jüngern im Garten Gethsemane. Die Abbildung zeigt starke Ähnlichkeit mit einer Nürnberger Druckgrafik um 1490. Bei der Version in Zug jedoch ist die Szene um eine bemerkenswerte Stadtvedute im Hintergrund ergänzt: Aufgrund Mondsicheln auf den Türmen gibt sie sich als Ansicht des seit 1517 von den Osmanen beherrschten Jerusalem zu erkennen.

Links auf derselben Wand lässt sich eine Kreuzigungsgruppe nachvollziehen, welche durch den Einbau einer Tür vor geraumer Zeit leider zur Hälfte zerstört ist. An der östlichen Wand der Stube ist der heilige Georg zu Pferd dargestellt, bei dem man anfänglich den heiligen Martin vermutet hatte, ehe im Zuge der Freilegung der Drache zu des Pferdes Hufen zum Vorschein gekommen ist. Dieses Bildelement ist besonders schön erhalten und weitgehend intakt, scheint aufgrund der etwas grafischer wirkenden Darstellungsweise jedoch von anderer Hand gefertigt.

Dem Heiligen Georg gegenüber ist eine weitere geharnischte Figur zu erkennen – diese mit Banner und Schild. Entweder ist es eine alternative Darstellungsweise Georgs oder aber ein anderer Heiliger, vielleicht Mauritius. Die weiteren Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten dürften Aufschluss bringen. Ebenso darüber, was sich gegenüber der bereits freigelegten Engelsfigur beim Fenster finden wird. Dieses figürliche Element ist erst schemenhaft erkennbar.

Die Begeisterung über den Fund im Haus an der Ägeristrasse ist bei Stefan Hochuli, Leiter Amt für Denkmalpflege und Archäologie, deutlich spürbar. «Wir müssen bedenken, dass es sich um einen profanen Privatbau handelt», erklärt er. «Dass sich ausgerechnet hier ein sakrales Bildkonzept diesen Umfangs findet, ist einzigartig. Es ist eine reiche Bilderwelt für das provinzielle Zug.» War es vielleicht ein katholisches Manifest gegen die damals ganz in der Nähe stattfindende Reformation? Sind die Malereien das Auftragswerk einer Bruderschaft, welche hier ihr Domizil hatte? Oder war der Auftraggeber einfach besonders fromm? Tatsächlich ist hier ein Säckelmeister namens Georg verbürgt. Ob der vielleicht mit dem heiligen Drachenbezwinger den Bezug zu sich selbst schaffen wollte?

Exemplarischer Fall der Bauforschung

«Aktuell gibt es noch immer mehr Fragen als Antworten», sagt Stefan Hochuli und gibt sich gespannt, ob die weiteren Freilegungen Gewissheit bringen. Vielleicht einen Hinweis auf den Auftraggeber, gar auf den Künstler. «Diese Malereien sind aus kunsthistorischer Sicht ein Glücksfall», so Hochuli. «Und so auch der Umstand, dass die Eigentümer der Liegenschaft unsere Begeisterung teilen und ebenfalls sehr erpicht darauf sind, dass die wertvollen Malereien so vollständig wie möglich freigelegt und konserviert werden.» Und dabei dürfen die Besitzer des denkmalgeschützten Gebäudes auf finanzielle Unterstützung zählen.

Eine im Februar durch das kunsthistorische Institut der Universität Zürich erstellte Expertise würdigt den aussergewöhnlichen Fund in Zug ebenfalls als Seltenheit in der Schweiz, erst recht in diesen Ausmassen und in so gutem Erhaltungszustand. Die weitere Freilegung und Aufarbeitung der Malereien im Haus Ägeristrasse 3 könne für die Stadt Zug – so ist in der Expertise abschliessend zu lesen – nicht nur wissenschaftlich, sondern als exemplarischer Fall der Bauforschung und Denkmalpflege auch bezüglich der Dokumentation und Vermittlung einen grossen Gewinn darstellen. An den nächsten Denkmaltagen werden die Wandmalereien voraussichtlich öffentlich zu besichtigen sein. (Text von Andreas Faessler)