Auf ein Rahmschnitzel im alten «Falken»

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Der Neuheimer Dorfplatz hat seinen Charme über Jahrzehnte hinweg bewahrt. Viele Gebäude erzählen Geschichten von einst – wie zwei auf dem Weg vom Häxeplätzli zur Kirche.

  • Erstes Bild: Postkarte vom Dorfplatz von Neuheim um 1920. Der Poststempel datiert vom 2. Oktober 1923. Zweites Bild: der Dorfplatz von heute, im Hintergrund die Kirche. (Bilder ETH-Bibliothek Zürich und Mathias Blattmann)
    Erstes Bild: Postkarte vom Dorfplatz von Neuheim um 1920. Der Poststempel datiert vom 2. Oktober 1923. Zweites Bild: der Dorfplatz von heute, im Hintergrund die Kirche. (Bilder ETH-Bibliothek Zürich und Mathias Blattmann)

Neuheim – Am 15. November 1964 ist tout Neuheim auf den Beinen, als Martin Müller als katholischer Pfarrer installiert wird. Und da es erst ab dem kommenden Jahr einen Pfarreisaal im Dorf geben wird, besteht kein Zweifel, wo das Festessen stattfindet: im «Falken». Der Gasthof auf dem Weg zur und von der Kirche verfügt zwar nur über einen kleinen Gastraum. Dank seines Saals im Anbau ist er dennoch die Adresse schlechthin für Feierlichkeiten. Und er wird auch grossen Zulauf haben, als er nicht mehr im Dorfzentrum liegt, sondern ab April 1967 unten an der Edlibacherstrasse.

Das Restaurant ist vor langer Zeit umgezogen, das Haus des alten «Falken» besteht hingegen bis heute. Es ist Teil des bemerkenswert harmonischen Dorfkerns Neuheims; zwar nicht denkmalgeschützt, jedoch als schützenswert eingestuft. Die kantonale Denkmalpflege vermerkt in ihren Aufzeichnungen das Errichtungsjahr 1835. Fünf Jahre später ging es in das Eigentum der Familie Doswald über, der es bis heute gehört und die es mehrfach erweitert hat. Dennoch gilt es fachspezifisch auch in dieser Form «als Zeuge der Verdichtungsphase Neuheims (in der Zeit der Seidenweberei) im 19. Jahrhundert».

Veranstaltungen und Konferenzen

Gesellschaftliche Bedeutung fällt ihm aber eindeutig als historisches Gasthaus zu. Seit wann dort gewirtet wurde, ist unklar. Nachgewiesen ist der «Falken» jedenfalls als Ort, wo im Oktober 1894 im Rahmen des Jahrmarkts «Tanzbelustigung» angeboten wurde. Und im Februar 1897 lud der Gastgeber zu «Freitanz und Maskenball» – bei «vorzüglicher Musik», versteht sich. Auch das offizielle Zug erwies dem Restaurant die Ehre. So tagte die kantonale Lehrerkonferenz im Jahr 1903 dort, wie der Pfarrhelfer Johann Karl Röllin in seinen Aufzeichnungen ein Jahr später vermerkte.

Das Lokal musste sich gegen eine grosse Konkurrenz im Dorf behaupten. Zeitweise war Neuheim der Ort mit der höchsten Beizendichte im Kanton Zug. Mit «Krone» und «Ochsen» lagen zwei der weiteren Restaurants nur Steinwürfe vom «Falken» entfernt. Dass sich dieser trotzdem hielt, konnte nicht nur auf den eingangs erwähnten Saal und das formidable Rahmschnitzel zurückzuführen sein. Und auch, dass der Gemeinderat sich in einem Séparée diskret über die politischen Geschäfte austauschen konnte, war kaum entscheidend dafür.

Restaurant als Nebenerwerb

Vielmehr war es der Umstand, dass die Gastronomie nur einen Nebenerwerb darstellte, wie das damals üblich war. Die Wirte gingen anderen Broterwerben nach, ihre Frauen schmissen derweil – neben Haushalt und Kinderbetreuung – den Laden. In manchen Fällen müsste es gar «die Läden» heissen. Denn Gasthäuser beherbergten nicht selten auch andere Geschäfte, der «Falken» beispielsweise einen Gemischtwarenladen. Jener war in der Gemeinde Neuheim lange Jahre der einzige behördlich bewilligte Ausgabeort für ein einst äusserst wertvolles Gut: Salz.

Auf der historischen Aufnahme zu diesem Artikel ist das Haus mit dem alten «Falken» linkerseits vermutlich in den 1920er-Jahren zu sehen. Es handelt sich um eine Postkarte, die am 2. Oktober 1923 gestempelt wurde. Wer die darauf abgebildeten Personen sind, ist nicht überliefert. Möglicherweise gehörten sie zum Gebäude auf der rechten Bildseite, das ab einem nicht bekannten Zeitpunkt die Schmitte beherbergte.

Ein riesiger Haushalt

Ab 1943 wirkte der zugezogene Emil Obrist dort als Dorfschmied. Seine Frau Marie und er hatten sieben Kinder. Und weil ausserdem die Angestellten, Gesellen und Lehrlinge unter diesem Dach wohnten, kann man sich den damals sehr lebendigen Haushalt am Dorfplatz vorstellen. Wenn einem der Bewohner die Decke auf den Kopf fiel, fand er wahrscheinlich Zuflucht im «Falken» gegenüber. (Raphael Biermayr)

Hinweis
In dieser Serie stellen wir Dorf­ansichten aus Zuger Gemeinden und ihren Wandel über die Zeit vor. Quellen: Gespräche mit Zeitzeugen, Nachrufe, Bücher «Neuheim einst und heute» und «Land und Leute von Neuheim und ihre Geschichten».