Bruno Birrers letzte Tour

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Nach zwanzig Jahren führt der Geschichtenerzähler zum letzten Mal im Namen von Cham Tourismus durch den Ortskern. Weshalb man das auf keinen Fall verpassen sollte.

  • Bekannter Schnauz: Der Chamer ist aus dem Dorf nicht wegzudenken. (Bild Maria Schmid)
    Bekannter Schnauz: Der Chamer ist aus dem Dorf nicht wegzudenken. (Bild Maria Schmid)

Cham – Bruno Birrer ist bereits aus der Ferne zu erkennen. Ein hochgewachsener Mann mit Hut, Brille und einem Schnauz, wie man ihn selten gesehen hat. «Stattlich» ist eine angemessene Bezeichnung für Birrers Äusseres.

Er steht nicht allein auf dem Kirchenplatz, natürlich nicht. Der Mann, der gerne als Chamer Dorforiginal bezeichnet wird, kennt in der ganzen Gemeinde Leute. Einige davon wohl auch wegen seiner wöchentlichen Führungen, die er während der vergangenen zwanzig Jahre für Cham Tourismus gemacht hat. Am 29. Oktober wird diese Ära mit einer letzten offiziellen Tour durch Cham zu Ende gehen.

«Man muss loslassen können», sagt der 79-Jährige im Café Luzia am Kreisel Bärenplatz. Auf dem Tisch vor ihm liegen Schätze aus seiner ledernen Aktentasche. Zuger Strassenkarten von damals, als es noch keine Autobahnen gab. Oder das Foto eines Postläufers aus längst vergangener Zeit, sein Gesicht wettergegerbt mit einer Pfeife im Mundwinkel.

Der Nachfolger ist ein «echter Historiker»

Nach zwanzig Jahren wolle Birrer Platz machen für jemand Neues, Jüngeres. Mit Thomas Fähndrich sei ein passender Nachfolger gefunden worden. «Er ist sogar Historiker, nicht wie ich», so Birrer. Er selbst sei Geschichtenerzähler. Eine Freiheit, die er sich bei seinen Führungen gerne zu Nutze macht. «Im Gegensatz zu einem Historiker darf ich meine Geschichten noch etwas ausschmücken», sagt er und schmunzelt. Ein wenig schelmisch sieht er dabei aus. Seine Führungen für Cham Tourismus beschreibt Birrer als «ausgeflippt». So sei er letztens mit einer Gruppe durch die Strassen gezogen und habe mit Feldstechern die Verzierungen an Hausfassaden aus der Nähe betrachtet.

Für sein Wissen brauche es Neugier und viele Bücher

Oder einmal, da habe eine Tour mit einem Alphorn-Konzert im Parkhaus Mandelhof geendet. «Weil dieses keine Ecken hat, ist die Akustik darin fabelhaft», sagt er. Der Chamer sieht Dinge, die andere nicht sehen. Nicht, weil sie versteckt wären, im Gegenteil. Vielmehr brauche es grosse Neugier und eine Menge Bücher, um sich deren bewusst zu werden.

Birrer hat beides. Und nur deshalb weiss er, dass das geschindelte Haus links vom Gasthaus Kreuz mit seinen grünen Fensterläden und einem Schmuck-Atelier im Erdgeschoss einst dem Kirchenbau weichen musste. «1784 haben sie das ganze Haus verschoben, schon damals war das möglich», sagt er. Die Faszination in seiner Stimme ist unüberhörbar.

Sein Wissen hat er sich Stück für Stück selbst erarbeitet. Bücher gewälzt. Karten studiert. Das Dorf angeschaut. Immer und immer wieder. Etwas «computeriges» besitze er nicht, wie er sagt. Zu Hause habe er lauter Karteikarten, unsortiert. «Wenn ich nach etwas suche, finde ich immer wieder spannende Sachen und denke: Ah, das habe ich ja auch noch!»

Doch das Leben als Dorforiginal könne auch fordernd sein. «Es ist gewissermassen eine soziale Verantwortung», so der Chamer. «Die Leute wollen reden, man muss sich Zeit für sie nehmen.» Wie um das zu unterstreichen, winkt Birrer einem älteren Paar, das das Café passiert. Es ist das zweite Mal in knapp zehn Minuten. «Meine Frau kommt schon gar nicht mehr mit mir ins Dorf», sagt er. Das sei ihr nämlich zu mühsam, man komme ja kaum vorwärts. «Wenn ich mal meine Ruhe brauche, dann fahre ich mit dem Velo Richtung Aargau.»

Der Chamer hat ein freundliches Gemüt. Die Fältchen um seine Augen deuten darauf hin, dass er viel lacht. Aber er könne auch giftig werden, sagt er mit schalkhaftem Blick. «Wenn die Leute bei meinen Führungen zu oft untereinander reden, statt zuzuhören, dann frage ich sie: Redest jetzt du oder ich?»

Wer das vermeiden möchte, sollte sein Mundwerk bei der letzten offiziellen Führung mit Bruno Birrer durch Cham also zügeln. Lohnen würde sich diese aber allemal – nur schon, um das Dorforiginal einmal persönlich kennen zu lernen. (Text von Kristina Gysi)

Hinweis
Bruno Birrer führt am 29. Oktober von 10 bis 11.30 Uhr letztmals im offiziellen Rahmen von Cham Tourismus durch den Ortskern. Treffpunkt ist vor dem Lorzensaal. Der Rundgang kostet 10 Franken, ohne Anmeldung und bei jeder Witterung.