Die Mäzenin und ihre Villen

Brauchtum & Geschichte

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Anna Vogel-von Meiss (1858–1942) ist eine adelige Zürcherin, die sich im Kanton Zug niederliess. Am Schluss war die «Starke Zuger Frau» Eigentümerin eines noblen Stadthauses in Zürich sowie der herrschaftlichen Villen Hammer und Villette in Cham.

  • Die Industrielle Anna Vogel-von Meiss mit ihren Töchtern: Der einzige Sohn verstarb. (Bild hammercham.ch)
    Die Industrielle Anna Vogel-von Meiss mit ihren Töchtern: Der einzige Sohn verstarb. (Bild hammercham.ch)
  • Erbin der Papierfabrik: Anna Vogel-von Meiss im schönen Kleid: die reiche Fabrikantin von Cham. (Bild hammercham.ch)
    Erbin der Papierfabrik: Anna Vogel-von Meiss im schönen Kleid: die reiche Fabrikantin von Cham. (Bild hammercham.ch)
  • Anna links mit Schwägerin Helene rechts und Schwiegervater Heinrich Vogel-Saluzzi. (Bild hammercham.ch)
    Anna links mit Schwägerin Helene rechts und Schwiegervater Heinrich Vogel-Saluzzi. (Bild hammercham.ch)
  • Anna Vogel-von Meiss links: mit ihrer Schwiegermutter Carolina Vogel-Saluzzi vor der alten Hammer-Villa. (Bild hammercham.ch)
    Anna Vogel-von Meiss links: mit ihrer Schwiegermutter Carolina Vogel-Saluzzi vor der alten Hammer-Villa. (Bild hammercham.ch)
  • Die Villette in Cham um 1870: Annas Patenonkel Heinrich Schulthess-von Meiss erbaute den herrschaftlichen Sitz, den Anna später erbte. (Bild Chamapedia)
    Die Villette in Cham um 1870: Annas Patenonkel Heinrich Schulthess-von Meiss erbaute den herrschaftlichen Sitz, den Anna später erbte. (Bild Chamapedia)

Cham – Zu behaupten, Anna Vogel-von Meiss sei mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden, ist reichlich übertrieben. Aber bemerkenswerte Tatsache ist, dass sie in einer Familie mit zwei «von»-Adelstiteln aufwächst: Ihre Mutter ist Anna von Muralt, ihr Vater Hans Meiss von Wülflingen. Anna wächst auf dem sehr grosszügigen Familiensitz Meissenberg in Zug auf (heute psychiatrische Klinik). Daneben besitzt die Familie noch das Herrenhaus Zum Lindengarten am Hirschengraben in Zürich (heute Sitz der Stiftung Pro Helvetia), das Anna später erbt.

Im Alter von 20 Jahren heiratet Anna standesgemäss einen ebenso reichen Industriellen, nämlich Carl Vogel, den Papierfabrikanten von Cham. Die Belegschaft der Papierfabrik bekommt zur Hochzeit ein Geschenk. Die Männer erhalten fünf Franken, die Frauen zwei Franken und dazu einen Nachmittag frei, ganz ohne Lohnabzug. Das Ehepaar Vogel-von Meiss hat fortan zwei Wohnsitze: das Haus Zum Lindengarten in Zürich (aus der Familie Annas) und dazu die Villa im Hammer in Cham (aus der Familie Carls). Den zwei Haushalten entsprechend, bewegt sich die Familie ständig und her, und Annas Organisationstalent ist sehr gefragt.

Fünf Kinder und eine Villa mehr

Anna Vogel-von Meiss bringt in der Folge fünf Kinder zur Welt, zuerst Stammhalter Hans Carl Alexander, dann die Töchter Anna Helena Alice (Alice), Bertha Olga (Olga), Anna Emilie Charlotte (Emy) und Anna Helena (Ellen). Obwohl erst 35-jährig, tritt Annas Ehemann Carl Vogel kürzer; zu seiner Entlastung stellt er einen Direktor der Papierfabrik an. Als dann Anna Vogel von ihrem Patenonkel noch die äusserst schön gelegene Villa Villette mit umliegendem Park in Cham direkt am Zugersee erbt, scheint das Glück perfekt: ein erfolgreicher Ehemann, der eine florierende Fabrik hat, aber sich nicht zu Tode krampfen muss; fünf gedeihende Kinder; zwei Villen in Cham und ein nobles Stadthaus in Zürich. Dazu gehört der Familie Vogel-von Meiss das ganze Seegebiet zwischen der Eisenbahn (im Norden), dem See (im Süden), der Lorzenmündung (im Osten) und der Eslen (im Westen), es handelt sich um eine einzigartige Parklandschaft von 108’000 Quadratmetern.

Anna Vogel-von Meiss beauftragt den Zuger Architekten Dagobert Keiser (1847–1906), der gerade erst das Theater Casino in Zug gebaut hat, mit dem Umbau ihrer Villa Villette. Der Architekt, der auch mit seinem gleichnamigen Sohn arbeitet, soll aus der Sommerresidenz ihres Onkels eine ganzjährig bewohnbare Villa machen: Das Treppenhaus bekommt eine neue Gestaltung, das Speisezimmer auf der Südseite wird vergrössert und von einer Terrasse bekrönt, die Küche kommt in einen aufgestockten Anbau und im ganzen Haus gibt es elektrisches Licht und eine Zentralheizung, in Ergänzung der vorhandenen Cheminées – damals keine Selbstverständlichkeiten und extrem modern.

Doch das Glück dauert nicht an: 1905 verunglückt Stammhalter Alexander, auf den Familie so grosse Hoffnungen gesetzt hat. Er stirbt an den Folgen eines Reitunfalls in Morges – eine grosse Tragödie in der dynastiebewussten und erfolgsgewohnten Familie Vogel. Vielleicht auch unter dem Eindruck des privaten Unheils engagiert sich Anna Vogel-von Meiss nun auch öffentlich. Sie setzt sich aktiv beim Bau des Asyls Cham ein und ist mit Adelheid Page-Schwerzmann (1853–1925), der Besitzerin des Schlosses St.Andreas, eine der grossen Gönnerinnen, auch wenn sie ihren Namen nicht öffentlich werden lässt. 1909 eröffnen die Chamer ihr Asyl. Waren in der Bau- und in der Finanzkommission noch die Männer unter sich gewesen, sind jetzt zwei Frauen in der Betriebskommission mit dabei: Adelheid Page und eben Anna Vogel-von Meiss. Etwas, was sonst im öffentlichen Leben der damaligen Zeit nicht vorkommt. Doch die Page und die Vogel sind aufgrund ihrer Finanz- und Tatkraft im neu entstandenen Sozialwerk sehr gefragt.

Erbin der Papierfabrik

Als 1911 Annas Ehegatte Carl Vogel stirbt, erbt sie nicht nur die Villen und das Stadthaus, sondern auch noch die Papierfabrik. Weil weder sie noch eine ihrer vier Töchter die Nachfolge als operativ tätige Besitzer und Direktoren antreten wollen, gründet Anna Vogel mit ihren Töchtern in vorausschauender Weise eine Aktiengesellschaft, nämlich die Papierfabrik Cham AG. So sorgt sie für den Fortbestand der Papierfabrik, die wirtschaftlich, aber auch sozial eminent wichtig für den Raum Ennetsee ist. Die Direktion teilen sich ihre Schwiegersöhne Robert Naville-Vogel und Leo Bodmer-Vogel; ihr Schwager Richard Vogel nimmt im Verwaltungsrat Einsitz. Und Anna Vogel-von Meiss zieht nun definitiv in die Villette am See; den «Hammer» mit seinem Park und der Landwirtschaft überlässt sie ihrer Tochter Emy und Schwiegersohn Robert Naville. Anna Vogel wohnt in der Villette und geniesst die leicht erhöhte Lage der Villa über dem Seespiegel, hat viel Besuch aus nah und fern in ihrem Domizil. Sie bestreitet ihren Lebensabend im bezaubernden Anwesen am Zugersee mit grandiosem Umschwung. Erst nach dem Tod von Anna kann die Gemeinde Cham im Jahr 1948 einen ersten Teil des Villette-Parks im Umfang von 11’300 Quadratmetern von den vier Erbinnen der Anna Vogel-von Meiss abkaufen. Später kommt dann Stück für Stück und vor allem die Villette selber hinzu, sodass heute die Öffentlichkeit vom einst privaten Genuss profitieren kann – ganz ohne goldene Löffel. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Für die Serie «Starke Frauen» stellt der Historiker und Schriftsteller Dr. Michael van Orsouw bemerkenswerte Frauen aus der Zuger Geschichte dar. In Folge 6 geht es um eine exzentrische Künstlerin.