Ich – das Pferd Rosinante
Theater & Tanz
Don Quijote gehört zu den mythischen Figuren der abendländischen Kultur. In Zug wurde die Geschichte des grossen Träumers und Abenteurers kürzlich aufgeführt.
Zug – Fast jeder hat den Namen schon gehört: Don Quijote (deutsch: Quichote). Manche wissen, dass der «Ritter von der traurigen Gestalt» eine Schöpfung des spanischen Renaissance-Dichters Miguel de Cervantes (1547–1616) ist. In iberischen Städten stösst man auf Plätzen und Strassen verschiedentlich auf die Skulpturen des langen, dünnen Ritters in Rüstung mit dem kurzen, dickbauchigen Sancho Panza als Knappe an seiner Seite. Kaum jemand aber hat den 700-Seiten-Roman – einen der ersten Europas – gelesen, oder dann bloss in Auszügen. Im allgemeinen Kulturgedächtnis blieben daher nur wenige Episoden hängen: Die berühmteste ist Quijotes verwegen-verzweifelter Kampf gegen die Windmühlen der zentralspanischen Region La Mancha, die er für grimmige Riesen hält.
Nicht von ungefähr steht dieses Bild für den Mythos: Don Quijote – den sein Autor auch als Alter Ego wahrnahm – lebt in der imaginären Welt mittelalterlicher Ritterromane, während die Historie um ihn herum gerade in die Neuzeit startet. Er ist eine Figur «am Übergang» – der idealistischen Verzauberung einer untergehenden Welt verpflichtet.
An dieser Abbruchkante spaltet sich Wahn von Wirklichkeit: Der ritterliche Held ist nichts als ein verarmter Adliger, der mit seinem Degen neben Windmühlen auch Weinschläuche und Hammelherden traktiert. In Bordellen und Kaschemmen erblickt er Kastelle und in einer derben Bauerntochter die Traumfrau Dulcinea. Die Realität hält er sich vom Leib – Don Quijote ist ein in exzessive Fiktion Geflüchteter. Als tragisch-komischer Mythos überdauerte er in immer neuem Gewand Generationen.
Spanische Renaissance-Musik ...
Auch die «lautten compagney BERLIN», das renommierte Berliner Ensemble für Alte Musik hat – immer auf der Suche nach Stoffen für musikalisch-szenische Programme – sich dieses Mythos’ angenommen. Ihr 2016 zu Cervantes’ 400. Todestag entstandenes Hörstück «Die Abenteuer des Don Quichote» wurde am Samstagabend auf die grosse Bühne des Theater Casinos Zug gebracht.
Mit Renaissance-Instrumenten wie dem trompetenartig-samtig klingenden Zink (Luise Catenhusen), der Violine (Birgit Schnurpfeil), Viola da gamba (Ulrike Becker), Gitarre und Vihuela (Andreas Nachtsheim) und Percussion (Peter Bauer) untermalten die im Halbkreis gruppierten Musizierenden acht «Aventüren» aus Cervantes’ Roman. Es erklangen Pavanas, Sonetos, Zarabandas, Pasacalles, Recercadas und anonyme Liedertitel aus dem iberischen 17. Jahrhundert.
Mittendrin die berühmte Schauspielerin Mechthild Großmann sitzend an einem Tischchen – lesend aus «Don Quijote» in einer Bearbeitung durch Christian Filips. Wie es zu diesem Setting kam, hatte im Themen-Talk vor der Aufführung die Musikwissenschaftlerin und «lautten compagney»-Managerin Dörte Reisener beschrieben: Der dramaturgische Prozess begann mit einer Marketingidee, nämlich spanische Renaissance-Musik mit Don Quijote-Motiven zu verbinden, und endete mit der Entscheidung, die Geschichte aus der Perspektive von Quijotes Pferd Rosinante zu erzählen. Dass Großmann diese Rolle übernehmen wollte, trug dazu wesentlich bei – «ihre Mähne, ihre Stimme und das wiehernde Lachen».
... und imposante mimische Kunst
Mechthild Großmann als Rosinante: Was für ein Glück! Die Schauspielerin, die 40 Jahre lang Mitglied in Pina Bauschs Tanztheater war und rund um den Globus tourte, hat zur Klepperstute des irrlichternden Quijote eine spezielle Beziehung aufgenommen – so kommt es über die Rampe. Als Erzähler-Ich beobachtet, kommentiert, verspottet, bemitleidet Rosinante ihren Herrn – alles mit dieser Bassstimme, die jedes auch genuschelt oder versoffen gesprochene Wort noch verständlich artikuliert. Über diese Stimme «sieht» man die kastilische Hochebene, die Mühlen, Schenken, Schafherden und Staubwolken – und die beiden Antihelden. Und wenn Großmann pausiert und ihren Kopf zu den Musizierenden dreht, sieht man auch das langsame Wenden eines Pferdekopfes und die tierischen Augäpfel, die sich dem Geschehen zuwenden. Man erlebt grossartige Mimenkunst. (Text: Dorotea Bitterli)
Hinweis: Das Theater Casino Zug plant in seiner neuen Reihe «Mythos» fünf weitere Abende. Infos dazu: www.theatercasino.ch.