Alpine Opernkomödie als Meta-Theater

Theater & Tanz, Musik

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Das Theater Casino Zug hatte mit «Le Chalet Suisse» eine ungewöhnliche Opernaufführung des Theater Orchesters Biel-Solothurn (TOBS) zu Gast.

  • Eine witzige Aufführung, Darstellerinnen und Darsteller mit Leidenschaft: «Le Chalet Suisse» im Casino. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 1. 3. 2024)
    Eine witzige Aufführung, Darstellerinnen und Darsteller mit Leidenschaft: «Le Chalet Suisse» im Casino. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 1. 3. 2024)

Zug – Was das Theater Orchester Biel-Solothurn am Freitagabend auf die Bühne des Theater Casinos Zug brachte – die Derniere der Doppeloper «Le Chalet Suisse» – lässt sich so zusammenfassen: Einfaches Libretto, verwickelte Entstehungsgeschichte und komplex verschachtelte Inszenierung einerseits, französische Opéra-comique-Leichtigkeit und italienischer Belcanto andererseits.

Der Ort der Opernerzählung ist das Idealbild eines schweizerischen Chalets im Appenzellerland, die Zeit das freiheitssuchende 19. Jahrhundert. Die junge Bäuerin Betly möchte eigentlich den liebesverrückten Daniel nicht heiraten, weil ihr weibliche Unabhängigkeit wichtig ist. Der Abgewiesene will sich aus Verzweiflung den Soldaten anschliessen, die sich unter ihrem Offizier Max bei Betly einquartieren. Max ist der inkognito auftretende Bruder Betlys, mit dem sich Daniel am Ende von Missverständnissen und Intrigen duellieren soll. Aber alles löst sich wunderbar und mithilfe eines Ehevertrags in Wonne auf.

Die Schweizer Berge als Freiheitsort

So einfach die Story, so kompliziert die Geschichte und Struktur des Opernabends: Ganz am Anfang von «Le Chalet Suisse» steht ein Singspiel von J. W. von Goethe aus dem Jahre 1779, «Jery und Bätely», das zu einem der beliebtesten Libretti des opernverrückten 19. Jahrhunderts wurde: Die ländliche Bergwelt der Schweiz war damals – in einer Zeit romantischer Gefühle und sozialer Revolutionen – gleichzeitig Sehnsuchtsort und Inbegriff einer aufklärerischen Freiheit, die überall in Europa die Geister bewegte.

So in Paris, wo der Einakter «Le Chalet» von Adolphe Adam an der Opéra comique bis 1873 tausendmal aufgeführt wurde. In Italien übernahm Belcanto-Meister Gaetano Donizetti das französische Libretto und brachte es als «Betly ossia La capanna svizzera» 1836 erfolgreich auf die Bühne Neapels.

Theater im Theater

Das TOBS hatte sich nun etwas sehr Herausforderndes vorgenommen: In einer Doppelaufführung beide Opernbijous zu verbinden. Sie erzählen aber zweimal dasselbe in ähnlicher Struktur. Regisseur Andrea Bernard und Dramaturgin Nathalie Widmer liessen sich ein Konzept einfallen, das vor der Pause «eine Reise ins Meta-Theater» (Programmheft) zeigte: Ein Ensemble probt Adams Oper «Le Chalet», wobei Max (Michele Govi) auch der Regisseur ist, Daniel (Pierre-Antoine Chaumien) ein ungeschickter Sängerdebütant und Betly (Roxane Choux) die eitle, sonnenbrillenbewehrte Primadonna.

Die Proben gestalten sich schwierig, was Komik hervorruft, bis zuletzt die dazu erfundene, herumrasende und das Chaos bändigende Regieassistentin Clémentine mit einer Tannenbaum-Attrappe auf die Bretter fällt. Ein gestisch agierender Bühnenbildner und Theaterschneider bastelt an einem Miniatur-Bühnenmodell herum, demonstriert es den Solisten und dem herumwuselnden Chor. Es findet «Theater im Theater» statt, die Darstellenden sind dreifach vorhanden: als Opernprofis von heute, die ein Ensemble spielen, welches «Le Chalet» probt. Ein verblüffender Einfall, an dem das Publikum seine Freude hatte.

Nach der Pause, jetzt mit Donizettis «Betly», wird die Bühnenminiatur zur «Schweizerhütte» im Massstab 1:1, und ihre Figurinen erwachen zum Leben und zeigen dem Publikum, wie die Geschichte eigentlich erzählt werden soll. Bühnenbild (Alberto Beltrame) und Kostüme (Elena Beccaro) spielen jetzt eine Hauptrolle. Und der Belcanto Donizettis: Hier konnten die Solisten zu ihrer vollen Form auflaufen; die Schönheit, Virtuosität und Brillanz der Stimmen stand im Mittelpunkt, unterstützt durch das TOBS-Sinfonieorchester unter der musikalischen Leitung von Franco Trinca.

Ein Happy End für die Frau?

Im Zentrum der Figurenkonstellation stand der Charakter der Betly mit seinem Freiheitsbegriff. Von ihrer ersten Arie an bringt diese Figur den Wunsch zum Ausdruck, Herrin ihrer selbst, ihrer Gedanken und ihres Lebens zu bleiben. Das hätte – im 19. Jahrhundert – mit den Absichten der männlichen Figuren kollidieren und zu einem Tragödienstoff werden können. Das für die Opéra comique nötige Happy End wird durch eine List erzwungen: Um das Duell zu verhindern, muss Betly in den Ehevertrag einwilligen. Sie wird also eigentlich zur Heirat gezwungen. Aus heutiger Perspektive, nach Jahrzehnten feministischer Kämpfe und Errungenschaften, wirkte dieser Aspekt der Aufführung tatsächlich wie ein historisches Relikt.

Die hohe darstellerische Qualität von «Le Chalet Suisse» hätte mehr Publikum verdient. Die anwesenden Zuschauer und Zuschauerinnen dankten der witzigen Aufführung mit begeistertem Applaus. (Text von Dorotea Bitterli)