Aufforderung zur Versöhnung

Kunst & Baukultur

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Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des reformierten Bezirkes hält im Kirchenzentrum Chilematt ein besonderes Kunstwerk Einzug. Es vermittelt wichtige Werte, lässt dabei aber bewusst Raum für Interpretation.

  • Rainer Nepitas Panneau in der Don-Bosco-Kirche im Zentrum Chilematt verkündet eine Botschaft, lässt aber viel Platz für individuelle Gedanken. (Bild Andreas Faessler)
    Rainer Nepitas Panneau in der Don-Bosco-Kirche im Zentrum Chilematt verkündet eine Botschaft, lässt aber viel Platz für individuelle Gedanken. (Bild Andreas Faessler)

Steinhausen – Die schlichte, helle Architektur des ökumenischen Kirchenzentrums Chilematt, deren ästhetische Spannung hauptsächlich durch das Zusammenspiel von geometrischen Formen und Licht entsteht, erhält einen markanten farblichen Fixpunkt: An der apsidenartigen Wand im Altarbereich der Don-Bosco-Kirche prangt ein hochrechteckiges Panneau, sattgrün leuchtend. Wie das abstrahierende Blatt eines imaginären Hochaltars möchte man es interpretieren – seine Präsenz ist intensiv.

Wandschmuck in Form von Panneaus haben im Steinhauser Kirchenzentrum seit dessen Fertigstellung im Jahr 1981 Tradition – entsprechend dem kirchlichen Kalenderjahr werden die Gebetsräume wie auch der Foyerbereich mit sakralen Wandbehängen geschmückt. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des reformierten Bezirks Steinhausen beschloss die evangelische Kirchenpflege gemeinsam mit der katholischen Pfarrei, ein neues Panneau mit einem besonderen thematischen Bezug zu beschaffen – demjenigen der «Versöhnung». Eine ökumenische Projektgruppe beauftragte ausgesuchte Künstlerinnen und Künstler, Entwürfe einzureichen. Nach reiflicher Evaluierung fiel der Entscheid schliesslich zu Gunsten des multidisziplinären Künstlers Rainer Nepita (*1954) aus dem Badischen Oberkirch. Neben Malerei und Zeichnung ist Nepita auf die Kreation von Kunstteppichen spezialisiert. Mehrere von ihnen hat er in Nepal herstellen lassen. Er pflegt seit Jahren einen engen Bezug zum Himalajastaat und arbeitet mit einer Firma zusammen, die von einer Nepalesin vor drei Jahren gegründet worden ist. Auch das Panneau für Steinhausen ist in dieser kleinen Manufaktur entstanden – feinste Handarbeit.

Von der «Grünkraft Gottes»

Der Künstler findet seine Formen in der Natur – «diese sind unübertrefflich richtig und schön, wahr und ehrlich», sagt Rainer Nepita. Er bringt sie als universelle Zeichen, die für das Leben stehen, in seine Kunstwerke ein. So basieren denn auch sämtliche linearen Formen im Steinhauser Panneau auf Details der Blätter von Wildpflanzen. «Pflanzen sind unsere Mitgeschöpfe und somit unsere wichtigsten Verbündeten. Sie erhalten unser Leben.» Den Grundfarbton Grün hat Nepita in Anlehnung an die «Grünkraft Gottes» nach Hildegard von Bingen gewählt. «Es ist die Farbe des Lebens und der Hoffnung.»

Wie die kreisartig angeordneten, unterschiedlich farbigen Gebilde aus linearen Formen auf dem grünen Grund interpretiert werden können, dafür lässt der Künstler dem Betrachter bewusst sämtlichen Freiraum. Er regt an, die Formen symbolisch für die Menschen als Individuen zu sehen, welche auf mannigfaltige Weise in Bezug zueinander stehen – im Positiven wie auch im Negativen. So mag man in den helleren Gebilden gegenseitige Erbauung lesen, in den dunkleren weniger Erfreuliches wie die Auseinandersetzung mit Konflikten, wofür es ein Aufeinanderzugehen braucht, was schliesslich zur Versöhnung führt. Für diesen wünschenswerten Ausgang wiederum stehen insbesondere die am hellsten leuchtenden Formen im Panneau. Sie symbolisieren Freude und Frieden. «Und Versöhnung ist ein Fest der Freude und des Friedens», sagt Rainer Nepita.

Figürliches manifestiert sich aus dem Abstrakten

Am Donnerstag diese Woche war der knapp 2,10 mal 2,40 Meter grosse Wandteppich endlich da – direkt aus dem fernen Nepal angeliefert und pünktlich an seinen Bestimmungsort im Steinhauser Kirchenzentrum verbracht, wo er als starkes Zeichen des Miteinanders, der gelebten Ökumene und insbesondere der Versöhnung wirken soll. Die Freude ist gross, das Panneau erfüllt alle Erwartungen des auftraggebenden Projektteams, bereits beim ersten Anblick fallen die Interpretationen. Selbst Figürliches manifestiert sich in den Augen der Betrachter aus dem Abstrahismus – eine Friedenstaube wird erkannt und die Umrisse der Gottesmutter; starke Friedenssymbole, die mit dem Akt der Versöhnung unmittelbar in Verbindung gebracht werden können.

«Das Sakrament der Versöhnung ist universal und begleitet uns von der Geburt bis zum Tod», meint Ingeborg Prigl, katholische Seelsorgerin in der Pfarrei Steinhausen und Mitglied der Projektgruppe. «Und wir wissen ja, in der Welt geschieht so viel Unrecht. Auch im Namen der Religion. Versöhnung ist allgegenwärtig.» Auch Margrit Anliker, ebenfalls von der Projektgruppe, sieht den Auftrag an den Künstler erfüllt und findet über das Panneau mehrfach Zugang zu dessen Botschaft. «Die Linien in ihrer Anordnung und ihrem Ineinandergreifen fordern einen förmlich dazu auf, auf seinen Gegner zuzugehen. Selbst wenn das nicht leicht ist, denn ein Feindbild zu pflegen ist einfacher, als sich mit ihm zu verbinden.»

Öffentliche Einweihung

Hans-Peter Sachs vom Pfarreirat und ebenso Mitglied des Projektteams ist wie alle anderen Beteiligten gespannt, wie der kunstvolle Neuzugang im ökumenischen Kirchenzentrum bei der Bevölkerung ankommt. «Ich hoffe, dass alle ebenso viel Freude daran finden wie wir.» Im Rahmen einer Vernissage vor dem Gottesdienst morgen Sonntag, dem Tag der «Einheit der Christen», wird das Panneau eingeweiht (siehe Box). (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.