Ein sozialkritisches Epos als Theaterstück

Theater & Tanz

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Mit «Die Krume Brot» aus der Feder von Lukas Bärfuss begann am 21. Mai in Zug das 12. Schweizer Theatertreffen. Die Compagnie des Theaters Basel berührte das Publikum mit einer von Antù Romero Nunes inszenierten Aufführung.

  • Ein Blick auf die Zustände der Gesellschaft: das Stück «Die Krume Brot» von Lukas Bärfuss. Bild: Ingo Hoehn/Theater Basel
    Ein Blick auf die Zustände der Gesellschaft: das Stück «Die Krume Brot» von Lukas Bärfuss. Bild: Ingo Hoehn/Theater Basel

Zug – Das Theatertreffen findet 2025 zum ersten Mal in der Zentralschweiz statt. Eröffnet wurde es am Mittwochabend im Festivalzentrum, dem Theater Casino Zug. Ab etwa 18 Uhr traf sich dort die Prominenz des Schweizer Bühnenschaffens aus allen Landesteilen. Begrüsst wurde sie von Ute Haferburg, Intendantin des Theater Casino Zug und Co-Präsidentin des Schweizer Theatertreffens; von Vertretern und Vertreterinnen der Zuger und Luzerner Politik; und von Carine Bachmann, der Direktorin des Bundesamts für Kultur.

Julie Paucker, künstlerische Leiterin des Theatertreffens und verantwortlich für die «Sélection» aus Stücken des Vorjahrs, erinnerte daran, dass Theater wesentlich kollektiv und immer ein «Ja zur Verbindung» sei. Somit wohne ihm subversive Kraft inne. Im Zentrum des Theatertreffens 2025 stehe daher das Motto «Kunst und Widerstand».

Ein Stück über Armut und Reichtum

«Die Krume Brot» war die Nummer eins der «Sélection» des Theatertreffens 2025 und eröffnete es mit einem Reigen sozialkritischer Szenen – lokalisiert in Zürich, «dieser Herzkammer des Kapitalismus». Wer in der europäischen Literatur Sozialkritik verarbeitete, schrieb meist sehr dicke Romane (man denke an Jeremias Gotthelf oder Honoré Balzac) oder umfangreiche, düstere Theaterstücke (wie etwa die von Henrik Ibsen oder Gerhart Hauptmann). Es scheint, als ob man für die Darstellung unhaltbarer gesellschaftlicher Zustände ausgedehnt erzählen muss. Es gilt, die lange Kette der Ungerechtigkeiten zu rekonstruieren: Menschen scheinen viel auszuhalten und erst, wenn es «genug» ist, die Energie für Protest und Rebellion zu finden.

So auch in «Die Krume Brot»: Adelina ist als Kind italienischer Einwanderer in Zürich geboren, ihr Vater ist von Krieg und Faschismus gezeichnet, ihre Mutter bringt die Familie durch. Sie selbst ist Legasthenikerin, kann nicht lesen und arbeitet in der Fabrik am Fliessband, wird früh schwanger und vom Vater der neugeborenen Emma sitzengelassen – mit nichts als Schulden und einem schreienden Kind. Ohne Bleiberecht. Man legt ihr billige Mieten gegen Prostitution nahe, aber sie versucht, Stolz und Selbstachtung aufrechtzuerhalten. Emma wird ihr weggenommen, landet im Heim. Am Ende begegnet sie in Italien den Roten Brigaden und transportiert für sie Sprengstoff.

Ein epischer Stoff aus der Zeit des europäischen Wirtschaftsaufschwungs. Auch bei Lukas Bärfuss, der zu den politischsten Schweizer Autoren gehört, wurde daraus 2023 zunächst ein Roman, eine «lange Erzählung». Fürs Theater Basel hat er ihn nun adaptiert und um die Rahmenhandlung der erwachsenen Emma erweitert – wodurch die Geschichte in der Gegenwart beginnt und endet. Auf dieser zweiten Zeitebene betrifft sie das Publikum hier und heute.

Epik und ihre Inszenierung

Aber wie inszeniert man Epik, die von der Sprache lebt, auf der Bühne, wo der Körper im Zentrum steht? Indem man acht Bühnenprofis mit grossem physischen Ausdruck einsetzt.

Gala Othero Winter rennt und gestikuliert sich als Adelina während fast drei Stunden durch Abhängigkeit, Armut und Verzweiflung – alle Gefühle sind in den flatternden Händen, dem hektischen Gehen, dem stumm beobachtenden Gesicht. Gina Haller spielt mit Latzhosen und kindlichen Gebärden die kleine Emma; aber auch die reich gewordene Erwachsene, die von ihrer Mutter nichts mehr wissen will und doch von der Erinnerung eingeholt wird.

Elmira Bahrami, Vera Flück, Andrea Bettini, Fabian Dämmich, Kay Kysela und Jörg Pohl treten in den unterschiedlichsten Rollen eines ausbeuterischen und selbstgefälligen patriarchalen Machtgefüges auf, wechseln versiert Kostüme und Körpersprachen – als Adelinas Eltern, ihren und Emmas Lebensgefährten, als Briefträger, Lehrerin, Barbesitzerin, Vermieter, Arbeiter, Soldaten. Aber auch – pantomimisch – als Standuhr, Stühle, Tische und Schränke, Duschen und sogar Spiegelbilder. Eine fortgesetzte «Choreografie der imitierten Gegenstände» mit Commedia-dell’arte-Elementen – Kunststückchen mit fliegenden Tellern und clownhaften Intermezzi – unterhält das Publikum mit artistischem Können und komödiantischer Verspieltheit.

Aber darunter brennt beklemmend die Ausweglosigkeit, die ständig drohende Verzweiflung: Bricht Adelina oder nicht? Diese Spannung nimmt das Publikum bis zum Schluss ein und mit. Man muss lachen über die Einfälle von Nunes’ quirliger Inszenierung, aber sie unterläuft unmerklich den bewussten Firnis und rührt an Gefühlen wie Mitleid, Empörung und Widerspruch. Am Ende Standing Ovations in einer Stimmung der Betroffenheit und des Respekts.

Hinweis

Weitere Infos zum 12. Schweizer Theatertreffen 2025: www.journees-theatre-suisse.ch/de


(Text: Dorotea Bitterli)