Ein zartes Grossmaul

Musik

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Der Zuger Rapper Weibello hat sein ­erstes Soloalbum veröffentlicht. «Sturm und Gsang» ist nicht, was es auf den ­ersten Blick zu sein scheint.

  • Weibello auf und mit Kulturgut. (Bild: Jonas Weibel)
    Weibello auf und mit Kulturgut. (Bild: Jonas Weibel)
Zug (Kanton) –
Dieser Artikel ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Ein Jahr lang hatte der Zuger Rapper Weibello sein neues Album «Sturm und Gsang» mit sich herumgetragen. Ein Jahr lang hat er Texte im Kopf gedreht, elfmal selbst Erlebtes eingedampft zu elf eigenen Songs. Und ab dem 19.  ovember kann sich jeder dahergelaufene Mensch mit Streaming-Account dazu eine Meinung bilden. Dahergelaufene Menschen wie wir Zug-Kultur-Autoren. «Es ist kein Album zum Nebenherhören», sagt Fabian Weibel, wie der Rapper abseits der Bühne heisst.

«Zrugg, will mer das ganze Ding da no am Herze liid, lehn mi dri solang jedi Ziile no min Schmerz besiegt.» – Zrugg

Wenn man «Sturm und Gsang» das erste Mal hört, hört man viele Neunziger-Jahre-Bässe, Pianoklänge und Scratches. Hip-Hop, so klassisch wie weisse Sneakers. «Den ersten Song, den ich für das neue Album schrieb, ist ‹Zrugg›», sagt Fabian Weibel. «Hier soll auch meine Story noch mal etwas erzählt werden.» Die Story, das heisst: Teenagerjahre auf den Battle-Rap-Bühnen der Schweiz, Freestyle-Schweizer-Meister mit 21 Jahren. Er war lange immer der Jüngste, musste trotzdem laut sein und war vielleicht deshalb besonders sensibel für unreife Oberflächlichkeiten. «Ich habe schon früher in den Battles immer versucht, die eigene Maske der Coolness abzunehmen oder mindestens die der andern runterzureissen.»

Das ist ja kein Rap mehr
Das stimmt nur halb: Weibello war wohl nie uncool. Er wechselte Metaebenen wie andere ihre Backstagebekanntschaften. Mit süssem Grinsen verteilte er hooligenhafte Punchlines. Später kommen unzählige Feature-Parts, kleinere Projekte, und natürlich «The Gang», das Band-Projekt, vor drei Jahren dazu. Auch Menschen, die ihr Leben ausserhalb der Hip-Hop-Bubble führten, mochten es. Aber viele Leute aus der engeren Szene waren sich nicht sicher: «He, Weibello, das mit dieser Band, das ist ja kein Rap mehr», hörte er öfters. Der einzige Battle-Rap-Track auf dem neuen Album heisst «Ultra Frosch» und geht auch an die Adresse von allen «Das ist doch kein Rap mehr»-Leuten. «Ich wollte zeigen, dass ich mich schon noch mit allen messen kann.» Ultra Frosch ist eine Referenz: So nannte sich ein Basler Hooligan in einer SRF-Doku von 1993. Der einzige unvermummte Hooligan.

«Niä über Brüscht greimt, willi de shit gar ned bruche, doch nehmt am End vom Tag meh Schüss hei als Schwiizer Rekrute.» – Ultra Frosch

Beim zweiten Durchhören des Albums stimmt irgendwas nicht mehr. Zwischen dem Diss und den bollernden Bassdrums bröckelt der Kitt. Dazwischen fallen die Synthesizer-Spuren auf, da hängen feine Ornamente an den Offbeat-Claps, die Texte wirken etwas verschwommen.

Aufs Blatt gestarrt
Weibello erzählt, wie er vor etwas mehr als einem Jahr sich in eine Hütte im Bündnerland zurückzog. «Wenn man mir zugeschaut hätte, hätte ich den ganzen Tag lang nichts gemacht. Es gab so Situationen, in denen habe ich eine oder zwei Stunden nur auf ein Blatt gestarrt und kein Wort geschrieben. Aber dann den ganzen Part in einer Viertelstunde. Am Abend habe ich mir eine grosse Kanne Tee gemacht und die ganze Nacht lang Parts eingerappt.» Arbeitet er immer so? «Der Tag ist zum Denken, die Nacht zum Arbeiten. Verträgt sich nur schlecht mit einem Job.»
Beim zweiten Mal Hören funktioniert «Sturm und Gsang» ein wenig wie ein Kippbild, diese Bilder, auf denen man erst einen Kelch sieht und dann beim zweiten Blick erkennt man zwei ­Gesichter, die sich anschauen.
Beispielsweise kommt da in einer Hook, dem Refrain, diese Zeile:

«Und immer wenn de Mond schiint, sorged mir für Ornig.»

Das klang beim ersten Mal nach Gangster-Attitüden. Jetzt klingt’s plötzlich nach Gedankenwälzen, bis es hell wird. «Ich habe eine Phase durchgemacht, in der ich gemerkt habe, es ist wichtig, Leute um sich zu haben, die zu einem schauen.»

 «Stoss uf wenig offni Ohre, redi vo echte Gfühl,
doch stahne uf Bühne vor fremde Lüüt und verteile Gänsehüt.» – Dschungel

Beim dritten Mal Hinhören hört es auf zu kippen. Auf dem Album «Sturm und Gsang» ist all das dabei: Hip-Hop-Gehabe und Zerbrechlichkeit und ballernde Oldschool-Bässe und neue Coolness und ehrliche Lines von jemandem, der schreibt, wie es ihm geht.
«Es ist das Album von einem bald Dreissigjährigen», sagt Weibello. Nach zehn Jahren Erwachsensein, da gehört das Kippen dazu.

(Text: Lionel Hausheer)