«Wann fühlst du dich komplett?»

Kunst & Baukultur, Literatur & Gesellschaft

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Fünf doppelseitige Plakate der Zugerin Sara Liz Marty sind das Resultat einer spannenden Auseinandersetzung mit dem Thema Kleidung und sexuelle Orientierung. Die Ausstellung auf dem Postplatz regt zur Reflexion an.

  • Die Pixelation auf den Plakaten von Sara Liz Marty steht für die Unvollständigkeit der Abgebildeten. (Bild Maria Schmid)
    Die Pixelation auf den Plakaten von Sara Liz Marty steht für die Unvollständigkeit der Abgebildeten. (Bild Maria Schmid)

Zug – Kleider machen Leute – die altbekannte Redewendung geht auf die gleichnamige Novelle von Gottfried Keller zurück. Verwendet wird das Sprichwort meist im Kontext mit der Wirkung gegen aussen: Menschen vermitteln mit der Art, sich zu kleiden, stets ein bestimmtes Bild, sei es hinsichtlich ihrer Haltung, ihrer Lebensweise, ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Szene – oder aber auch ihrer Selbstwahrnehmung. Letzterem hat sich die Zugerin Sara Liz Marty mit ihrem Projekt «Filling The Void» – «Die Leere füllen» – angenommen, welches das Element der Forschung und dasjenige der darstellenden Kunst in sich vereint.

Das Resultat ist aktuell auf dem Zuger Postplatz in der Form von fünf doppelseitigen Stellplakaten zu sehen. Mit ihrem Projekt untersucht die Zugerin das Spannungsfeld zwischen Identität, Kleidung und Wohlbefinden von nicht-heterosexuellen Menschen. Präziser gesagt, wollte sie ausloten, wie sich diese Menschen kleiden, um sich erfüllt und «komplett» zu fühlen, um sich mit sich selbst identifizieren zu können.

Von Zugehörigkeit und Rollenbildern

Die 31-Jährige hat die vergangene Dekade in England verbracht, hat in Bath Textildesign studiert und nach einigen Jahren Berufstätigkeit in London den Masterabschluss in Fashion Futures gemacht. In der künstlerischen Visualisierung ihrer Forschungsarbeiten mit digitaler Technik hat die Zugerin eine eigene Herangehensweise und Handschrift entwickelt. Um ihr Projekt «Filling The Void» in Angriff zu nehmen, tauschte sie sich intensiv mit sechs bi-/pansexuellen Menschen aus der Londoner Community aus, die sich für das Treffen mit ihr genau so kleiden sollten, wie sie sich «komplett» fühlten. Von der Kleidung ausgehend haben sich die Gespräche jeweils entwickelt. Dabei haben sich ganz unterschiedliche Empfindungen ergeben. Arten und Weisen der Selbstwahrnehmung, das Thema der Zugehörigkeit wie auch dasjenige von geschlechtsbezogenen Rollenbildern kam zur Sprache. Von den Personen hat sie in einem vielschichtigen Prozess dreidimensionale Porträts erstellt und diese schliesslich per Textildruck in verschiedenen Abstraktionsgraden wieder auf Zweidimensionalität reduziert. Dabei entstand eine Pixelation, welche gemäss Sara Liz Marty sinnbildlich die gefühlte Unvollständigkeit der betroffenen Menschen und ihre Suche nach dem «ganzen Selbst» widerspiegelt.

Kleidung ist nicht nur Ausdruck der Mode

Bei einigen Sujets hat sie mit Stickerei eine weitere Dimension eingebracht, welche metaphorisch die Leere zusätzlich füllen soll. Hinter diesen komplexen und aufwendigen Entstehungsprozessen der einzelnen Motive ist und bleibt als Kernpunkt die Ausgangsfrage nach dem Komplettsein – definiert über die Kleidung. «Wie man sich anzieht, ist bei weitem nicht nur eine Frage der Mode», führt Sara Liz Marty aus. «Sondern vielmehr ist die Art des Sich-Kleidens Ausdruck des persönlichen Empfindens, des Blickes auf sich selbst und sein persönliches Umfeld.» Und das habe sich im Diskurs mit ihren sechs Gesprächspartnerinnen und -partnern deutlich gezeigt. «Die Menschen drücken mit ihrer Wahl der Kleidung die eigene Individualität aus und somit eine gewisse Zugehörigkeit. Das wiederum gibt ihnen Halt im Leben.»

Und dieser Halt ist denn auch ein wichtiger Aspekt der Existenz von Menschen mit einer «anderen» sexuellen Orientierung. «Selbst in einer Metropole wie London, wo grundsätzlich alle so sein können, wie sie möchten, haben sie noch mit Hürden und Unsicherheiten zu kämpfen auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft», weiss die Zugerin. Um diesem Aspekt Ausdruck zu verleihen, sind auf einigen der Plakate Zitate der abgebildeten Person zu lesen. Diese regen an zum Nachdenken über die allumfassende Frage «Wann fühlst du dich komplett?».

Und sie sind zugleich ein stiller Appell an Akzeptanz und Toleranz gegenüber Menschen mit «anderer» sexueller Neigung und/oder «anderen» Lebensentwürfen. «Mein Projekt ist somit ein Beitrag für mehr Sichtbarkeit dieser Menschen», fügt Sara Liz Marty an. Sie ist gespannt, wie ihre Ausstellung, welche während ihrer Zeit in London entstanden ist, in ihrer Heimat Zug aufgenommen wird. (Andreas Faessler)

Hinweis
«Filling The Void», die Plakatausstellung von Sara Liz Marty auf dem Postplatz Zug ist bis und mit 13. Juni zu sehen. Weitere Infos zur Person und zum Projekt unter www.saralizmarty.com.