Die Schwerkraft «überlistet»

Kunst & Baukultur

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Mit der schlanken Chromstahlplastik auf dem Rathausplatz ist ein Baarer Künstler in seiner Heimatgemeinde gut sichtbar präsent. Die Wahl des Kunstwerkes hatte im Vorfeld beim Gemeinderat für einige Diskussionen gesorgt.

  • Dynamisch geformt wächst Josef Staubs «Otello» auf dem Baarer Rathausplatz in den Himmel. (Bild Stefan Kaiser)
    Dynamisch geformt wächst Josef Staubs «Otello» auf dem Baarer Rathausplatz in den Himmel. (Bild Stefan Kaiser)

Baar – Ist es ein doppelter stilisierter Grashalm? Ein Schwalbenflügelpaar? Oder eine überdimensionierte Stimmgabel, welcher etwas allzu warm geworden ist? Die schimmernde, über fünf Meter Hohe Stahlskulptur mitten auf dem Baarer Rathausplatz steht durch ihre gebogene, geneigte Haltung in einem Gegensatz zur mehrheitlich rechtwinklig und gradlinig geprägten Kulisse der Baarer Gemeindeverwaltung. Im Jahre 2004 wurde dieser Platz eröffnet, und anlässlich dessen führte die Gemeinde eine Freiluftausstellung mit Plastiken des bekannten Bildhauers Josef Staub (1931–2006) durch.

Der Wunsch nach einer künstlerischen Gestaltung des neuen Platzes veranlasste den Gemeinderat, die Familie des gebürtigen Baarer Künstlers einzuladen, eine Auswahl an Objektmodellen vorzustellen, die – ausgeführt – als Schmuck für den Platz in Frage kommen könnten. In Absprache mit der Kulturkommission entschied sich der Gemeinderat schliesslich für die Chromstahlplastik «Otello». Ästhetisch überzeugend sei sie und als Kunst im öffentlichen Raum eine zeitlose Lösung, war man der Ansicht.

Dem Kauf der Plastik war eine Debatte im Gemeinderat vorausgegangen. Nicht alle waren glücklich mit der Wahl, als zu grau und monoton in der ähnlichfarbenen Umgebung erscheine «Otello». Der Wunsch nach mehr Farbe wurde wiederholt platziert. Wieder andere Stimmen plädierten hingegen, von einem zu starken farblichen Akzent Abstand zu nehmen. Schliesslich schien aber der Gedanke zu obsiegen, dass nun auch im öffentlichen Raum der Heimatgemeinde des Künstlers eine grosse Arbeit aus dessen Atelier zu stehen kommt, zumal der Baarer mit seinen Werken bereits an mehreren anderen Standorten im Kanton Zug wie auch in der ganzen Schweiz und im Ausland präsent ist.

Figürliche Entwicklung nach oben hin

Josef Staub fasste beruflich erst im Baugewerbe Fuss, ehe er sich der bildenden Kunst widmete, von pastos-reliefartigen Gemälden den Weg zur Plastik fand und vorderhand Metall- und Steinreliefs schuf. Stipendien ermöglichten ihm Studienaufenthalte, bevor er sich auf ausgedehnten Studienreisen durch Europa und durch den ganzen amerikanischen Kontinent weiterbildete. Ab den 1980er-Jahren arbeitete Josef Staub fast nur noch mit Chromstahl, aus dem er seine unverkennbar charakteristischen geschliffenen, polierten Plastiken schuf, die mit ihren gebogenen, dynamischen Formen seine Handschrift tragen. Ein Merkmal ist auch, dass seine Werke – so auch «Otello» – generell nur auf einer verhältnismässig kleinen Fläche den Boden berühren und ihre Figürlichkeit meist gegen oben hin entwickeln. Das wiederum verleiht den ansonsten voluminösen Gebilden etwas verspielt Leichtes, Luftiges. Staub verstand es, auf höchst geschickte Weise die Schwerkraft zu «überlisten».

«Otello» als Leihgabe

Josef Staub lebte und arbeitete lange Zeit und bis zu seinem Tod im Jahre 2006 in Dietikon. Anlässlich seines 80. Geburtstages 2011 widmete ihm die Stadt eine grosse Gedenkausstellung. Für deren Dauer hat Baar der Gemeinde Dietikon die Plastik «Otello» ausgeliehen. Sie stand während dieser Zeit auf dem Platz vor dem dortigen Stadthaus.

Zum Schluss mag noch die Frage im Raum stehen, warum ein hell silberfarben glänzendes Objekt einen Namen trägt, der in erster Linie an eine Figur mit dunkler Haut anlehnt. Eine konkrete Antwort könnte uns der Künstler selbst liefern. So aber bleibt dafür dem Betrachter viel Spielraum, selber nach einem Ansatz zu suchen. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.