Fröhlich lacht das Kunsthaus

Kunst & Baukultur

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Ein überdimensionierter Hundehaufen, ein Bild, das sich selbst beschreibt, und eine Pfeife, die keine ist. Im Kunsthaus Zug spielen sich kuriose Szenen ab.

  • Leinonens McLenin trifft Giacometti. (Bild: Philippe Hubler)
    Leinonens McLenin trifft Giacometti. (Bild: Philippe Hubler)

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gibt es die ganze Ausgabe als PDF.

«Am Anfang war das Wort am», steht da in dicken silbernen Lettern geschrieben. Ein Siebdruck, 1972 geschaffen vom deutschen Künstler Timm Ulrichs, dem Neodadaisten mit ausgeprägtem Hang zu Wortspielereien und sprachlichen Turnübungen.
«Ist das nicht zutiefst banal?», fragt sich der ­Betrachter. «Zweifellos», erschallt die Antwort von irgendwoher. Eine tautologische Absurdität präsentiert uns Timm Ulrichs da, ein herrlicher Blödsinn, der uns mit zarter Leichtigkeit ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubert.
Ulrichs «Exegese» des Johannes-Evangeliums 1,1, so der Titel des gerahmten Drucks, ist nur eines von unzähligen Werken, die derzeit die Räume des Kunsthauses Zug zieren. Nebenan wartet eine Installation von Jean Tinguely sehnlichst auf die Betriebsaufnahme, während andernorts eine Skulptur Alberto Giacomettis 
dem bronzenen Lenin entgegenläuft. Picasso, Duchamp, McCarthy, Signer, Daumier und Man Ray, sie alle und viele weitere sind hier versammelt, um die Stille der musealen Räumlich­keiten mit frivoler Heiterkeit zu erfüllen.

Nietzsche als Pate
«Komödie des Daseins» nennt sich die aktuelle Sonderausstellung, die über 350 Arbeiten von rund 180 Künstlern umfasst. «Friedrich Nietzsche hat uns bei der Titelfindung Pate gestanden», erzählt Matthias Haldemann, Kurator und seit knapp 30 Jahren Direktor des Kunsthauses. Nietzsche nämlich, so führt Haldemann aus, beschreibt das ungeheuerliche Leben als Komödie des Daseins, dem jeder Einzelne nur mit Lachen und Tanzen begegnen könne.
«Humor ist die souveränste Art, dem Leben zu begegnen», sagt Haldemann. «Freie Geister müssen lachen können, auch über sich selbst. Nietzsche forderte eine heitere Kunst und eine fröhliche Wissenschaft, wir wünschen uns ein fröhliches Museum dazu.» Haldemann und sein Team zielen mit der Ausstellung also voll aufs Zwerchfell, die Museumsbesucher sollen ausdrücklich zum Lachen verleitet werden, betont der Kurator.

Humor, existenziell
Nur, verträgt sich das überhaupt? Kommt das Komische des Witzes gegen die Ernsthaftigkeit der Kunst an? Komik hat doch im sakral anmutenden Museumstempel nichts zu suchen, Kunst gilt es zu verstehen und zu bewundern, aber sicher nicht zu belachen. Ist es nicht gar ein Affront gegenüber den Künstlern, wenn man sich mit einem Fingerzeig über ihre Werke amüsiert? «Keineswegs», entgegnet Haldemann. «Wer meint, ernsthafte Kunst und Humor vertrügen sich nicht, der täuscht sich. Historisch betrachtet steckte in der Satire oder in der Parodie schon immer ein emanzipatorisches Element. Die Groteske etwa fungierte seit der Antike als Ventil gegen starre Ordnungsmuster und Hierarchien.»
Auf einer Plakatarbeit des deutschen Aktionskünstlers Joseph Beuys prangt der abgewandelte Spruch: «Kunst ist, wenn man trotzdem lacht.» An dieser Stelle werden Spott und Witz zu Prüfsteinen der Wahrheit, zu Mitteln der Erkenntnis. Humor selbst wird zur Kunst. Es ist diese existenzielle Form des Humors, für die sich Haldemann interessiert.

Die Ernsthaftigkeit des Witzes
Gerade das beginnende 20. Jahrhundert hat diesbezüglich einige programmatische Exponate hervorgebracht. Die Dadaisten etwa setzten den Humor gezielt ein, um sublime Kritik sowohl an bürgerlichen Idealen als auch an der Kunst selbst zu üben. Oder die Surrealisten, die ein kindliches Spiel mit der Wirklichkeit treiben, indem sie dieser mit subtiler Komik einen Zerrspiegel entgegenhalten, um letztlich nichts weniger als eine neue Welt zu begründen.
Exemplarisch dafür: Der Verrat der Bilder (1929) des belgischen Künstlers René Magritte. Das Gemälde zeigt eine Pfeife auf neutralem Hintergrund. Darunter steht geschrieben: «Ceci n’est pas une pipe.» Der Humor steckt hierbei im paradoxen Widerspruch zwischen Bild und Sprache. Warum soll denn das keine Pfeife sein, wo diese doch klar zu erkennen ist? Aus dem Schmunzeln wird ein Grübeln. Haldemann erklärt: «Magrittes Witz ist ernst gemeint. Das Abbild ist ja tatsächlich keine Pfeife, sondern eine Gemäldeoberfläche.»
Der Schweizer Konzeptkünstler Roman Signer weiss ebenfalls um die Wirkmacht des Absurden. Für eines seiner Werke, Piaggio an der Mauer (2017), das im Kunsthaus dokumentiert wird, hat Signer ein Fahrzeug an einer Staumauer installiert. Auf den ersten Blick eine witzige Albernheit, verdeutlicht das kleine Vehikel an der Mauer bei näherer Betrachtung aber die immense Dimension des Staudamms im Verhältnis zum Menschen. Was, wenn der Damm bricht? «Der Blödsinn», bemerkt Haldemann, «verursacht Erschrecken.»

Wo der Spass aufhört
Das Komische übersteigt sich selbst. Es bleibt nicht auf der Oberfläche des Kunstwerks haften. «Aus dem Witz wird Erkenntnis. Genau das leistet grosse Kunst, sie führt zu Erkenntnis.» Haldemann spricht denn auch von einer Aufwertung des Humors: «An diesem Punkt ist Humor nicht mehr Spott im Sinne von Erniedrigung, sondern die Erkenntnis, dass es die Wahrheit an sich gar nicht gibt.»
Obwohl die Ausstellungsstücke bis in die An­tike zurückreichen, ist der Fokus klar auf die Kunst der beginnenden Moderne gerichtet. Haldemann möchte zeigen, dass mit der Moderne eine strukturelle Beziehung zwischen 
humorvollen Werken und der bildenden Kunst allgemein entstanden ist. «Dass Humor etwas Ernsthaftes ist, hängt eng mit der Idee des freien Individuums zusammen», sagt er. «In diesem Sinne interessiert uns der Humor im Kontext des Humanismus.»
Nicht zufällig stammen mehrere Werke aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der deutsche Kabarettist Werner Finck meinte einst, der Humor beginne da, wo der Spass aufhöre. Überlebende des Holocaust etwa berichteten vom «Lager­humor», dem letzten Rest Menschlichkeit eines unmenschlichen Lebens. «Die Fähigkeit zu lachen ist Ausdruck des menschlichen Selbstbehauptungswillens», sagt Haldemann. «Vor allem bei Gefährdungen.»

Befreiendes Gelächter
Das Verhältnis von Humor und Kunst wurde in kunstwissenschaftlicher Hinsicht bisher nur wenig erforscht. Mit einem eindrücklichen und höchst amüsanten Sammelsurium aus Gemälden, Zeitschriften, antiken Vasen, Skulpturen und Videos soll die «Komödie des Daseins» diesen Umstand korrigieren.
Karneval trifft auf Parodie trifft auf Slapstick trifft auf existenzielle Kapriolen. Zuletzt gelacht wird im Museum? Denkste! Das künstlerische Pathos wird unter schallendem Gelächter, schelmischem Grinsen und spitzem Gekicher jäh zerbrochen, inklusive Erkenntnis als Sahnehäubchen obendrauf. Gibt es denn etwas Befreienderes? Oder, frei nach Nietzsche: Ist denn irgendetwas nötiger als Heiterkeit?

(Text: Philipp Bucher)