Einst vor der Stadt, nun in der Stadt

Dies & Das

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Die Katastrophe von 1887 hat die Vorstadt nachhaltig verändert. Seither blieb der bauliche Charakter weitgehend unverändert.

  • An der Vorstadt ist vieles wiederzuerkennen, auch wenn ­zwischen den beiden Fotos 102 Jahre liegen. (Bilder PD/Stefan Kaiser)
    An der Vorstadt ist vieles wiederzuerkennen, auch wenn ­zwischen den beiden Fotos 102 Jahre liegen. (Bilder PD/Stefan Kaiser)

Zug – Als «Vorstadt» wird das direkt am Zugersee gelegene Quartier nördlich des alten Stadtkerns bezeichnet. Der ehemals «Stad» genannte Siedlungsplatz ist möglicherweise älter als die Stadt Zug. Nach der Stadtgründung und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Vorstadt eine geschlossene, ausserhalb der Stadt gelegene Siedlung. Als Folge des aufkommenden Tourismus wurde 1852 die Dampfschifffahrt auf dem Zugersee aufgenommen und 1864 die Bahnlinie LuzernZug–Zürich eröffnet. Im Zuge dieser Entwicklung entschied sich die Stadt, das Seeufer von der Vorstadt bis zum Landsgemeindeplatz zur repräsentativen Flaniermeile umzugestalten.

Während der Bauarbeiten an der neuen Quaianlage ereignete sich ein verheerendes Unglück: Am 5. Juli 1887 brach das Ufer im Bereich der Vorstadt ein. Zahlreiche der seeseitig stehenden Häuser versanken im See, und weitere wurden zerstört oder massiv beschädigt. Dieser nach 1435 zweite grosse Ufereinbruch im Stadtbereich forderte elf Menschenleben, und 326 Personen verloren ihr Heim. Nach diesem Ereignis wurden die noch verbleibenden Häuser der seeseitigen Häuserzeile aus Sicherheitsgründen abgetragen. 1890 konnte die Kantonsstrasse Richtung Cham wieder eröffnet werden, und ein Jahr später war die Neugestaltung der Seepromenade abgeschlossen. An die Vorstadtkatastrophe erinnert heute noch ein Gedenkstein im nördlichen Bereich der nunmehr als «Katastrophenbucht» bezeichneten Einbruchzone.

Die 1912 aufgenommene historische Fotografie öffnet den Blick auf die Vorstadtstrasse, die von der Chamer- und der Alpenstrasse zum Postplatz führt. Sie scheint direkt vor dem Stadttheater zu enden, hinter dem der Turm der neuen, 1902 geweihten Pfarrkirche St. Michael sichtbar ist. Das Stadttheater war zusammen mit dem anstossenden Hotel Bellevue 1841/42 errichtet worden. Der spätklassizistische Bau zeichnet sich durch den Mittelrisalit mit Dreiecksgiebel und grossen Rundbogenfenstern aus. Die markante Häuserzeile links der Strasse ist das, was nach der Katastrophe von 1887 von der ehemaligen Strassensiedlung noch übrig geblieben ist. Die meist dreigeschossigen Häuser stehen bis auf die trennende Schmidgasse geschlossen. Die Fassaden werden optisch durch Fensterreihen strukturiert, wobei die Fenster im Erdgeschoss besonders gross sind. Die Dächer sind in der Regel traufseitig zur Strasse ausgerichtet. Besonders augenfällig ist das Haus Nr. 26 unmittelbar neben der Fischhandlung Speck am linken Bildrand: Die ehemalige Wirtschaft Vorstädtli zeichnet sich durch das grosszügige Mansardensatteldach von 1897, die schmuckvollen schmiedeeisernen Balkone, das moderne Schaufenster von 1912 und die zeittypische Fassadenmalerei aus. Die breite, damals noch gekieste Strasse und die sie beidseits flankierenden Gehsteige bilden eine offene Raumzone, die links von der Häuserzeile und rechts von Baumreihen gefasst ist. Zwischen den Bäumen ist eine der 1892 in der Stadt Zug eingeführten elektrischen Strassenlaternen sichtbar. Die Strassenszenerie ist beschaulich: rechts hinten eine Kutsche, in der Mitte ein Mann mit Wagen, dahinter eine Person, welche die Strasse überquert, und auf dem Trottoir ein Kind und ein Erwachsener.

Im Gegensatz zu damals ist die Vorstadtstrasse heute viel befahren. Sie ist zur wichtigen Einfalls- und Durchgangsachse geworden. Auf der aktuellen Fotografie wird dies in der Strassengestaltung deutlich sichtbar: Die geteerte Strasse ist mit einer gelben Mittellinie in Auto- und Busbereich geteilt, Fussgängerstreifen und Schilder markieren die Personenübergänge, der Velo- und Fussweg rechts der Strasse ist durch Bepflanzung klar von dieser abgetrennt. Mehrere Strassenlampen haben die Baumreihen ersetzt. Links der Strasse sind Parkplätze ausgespart, und die abgehobene Fussgängerzone wird auch zum Sitzen, zum Essen und zum Verweilen genutzt.

Obwohl einige Häuser in den letzten Jahrzehnten von Grund auf neu errichtet wurden, blieb der Charakter der geschlossenen Häuserzeile gewahrt. Alte Zeitzeugen sind die Türme der Kirchen St. Michael (links) und St. Oswald (rechts) im Hintergrund und das rechts im Bild knapp noch sichtbare Regierungsgebäude des Kantons Zug (1869 bis 1873 erbaut). Dieses blieb von der Vorstadtkatastrophe verschont. An Stelle des Stadttheaters, das 1912 kurz nach der Aufnahme der historischen Fotografie – abgebrochen wurde, schliesst nun das kantonale Verwaltungsgebäude am Postplatz den Strassenzug optisch ab. Der kompakte Bau mit geschweiftem Walmdach der Zuger Architekten Dagobert Keiser und Richard Bracher wurde 1915 vollendet. Mit dem am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Wachstum der Stadt in Richtung Norden findet sich die Vorstadt heute mitten im belebten und verkehrsreichen Stadtzentrum wieder. (Brigitte Moser)

Hinweis

Die «Neue Zuger Zeitung» begleitet «Zeitbild», die Plakatausstellung von DNS-Transport Zug in Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie, Direktion des Innern, und der Stadt Zug.