«Tanzt, sonst sind wir verloren»
Theater & Tanz
Die Tanzcompany Karwan Omar zeigte anlässlich des herbstlichen «Kulturmenüs» sechs improvisierte Tanzszenen.
Baar – Der hell erleuchtete Saal im reformierten Kirchgemeindehaus Baar ist zweigeteilt. Links sitzen an mehreren Tischreihen junge und alte Menschen aus verschiedenen Ländern und geniessen ein iranisches Menü. In der Küche nebenan hantieren die Männer und Frauen, die gekocht haben und das Essen bereitstellen.
Der rechte Teil des Raums vor der Bühne hingegen ist völlig leer. Bald aber gruppieren sich die Gäste mit ihren Stühlen darum herum, im Saal wird es dunkel – nur das Licht auf der Fläche bleibt. Der zeitgenössische Tänzer Karwan Omar, der aus dem irakischen Kurdistan stammt und seit 1999 in der Schweiz lebt, führt ein in das Tanzimprovisationsprogramm, das er mit seiner Company entwickelt hat. «Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren», zitiert er die weltberühmte Tanzpionierin Pina Bausch und schliesst sich an: «Tanz ist für mich Dasein. Improvisation ist ein Prozess, in welchem der Körper zum Instrument der Wahrnehmung wird, um Unsichtbares sichtbar zu machen.»
Acht Tänzerinnen ganz in Schwarz reihen sich mit Rücken zum Publikum vor der Bühne auf, und sobald die Musik beginnt, drehen sie ihre Köpfe, lassen ihre Glieder los und werden zu Tanz. Jede für sich und doch in einer gemeinsamen Idee, die sich wiederholt: Eine will vorwärtsstreben und entkommen, aber die anderen holen sie immer wieder zurück. «Lebenslinie» heisst das Stück.
Das zweite Stück, «Fliegen» wird gleichsam zum Duett zwischen einer zierlichen blonden Frau und ihrem schwebenden Seidentuch. Es findet mehrheitlich auf dem Boden statt. Das zweite Solostück des Abends, «Aschenputtel», ist ein strahlender Tanz in weitem fliessendem Kleid, das die Tänzerin in gekonnte Sprünge und Drehungen einbezieht.
Hommage in Schwarz und Rot
Die Ouvertüre von Gioacchino Rossinis «Der Barbier von Sevilla» bietet den musikalischen Boden für einen weiteren Company-Tanz. Die weiten schwarzen Kleider, welche die Tänzerinnen tragen, gehören zum Fundus der Company seit ihrer Hommage 2018 an die Modemacherin Christa de Carouge. Auch Karwan Omar tanzt mit. Im Mittelpunkt ein riesiges rotes Tuch, das bald eine Geschichte erzählt über Verfolgung und Unterdrückung, Flucht und Freiheit. Das Tuch fliegt und fliesst, umhüllt und erwürgt, begräbt und entlässt die neun tanzenden Körper in fast hexenartigem Aufruhr.
Die fünfte Nummer des Abends bestreitet der Company-Gründer Omar allein. «Das Lied, das Sie hören werden, stammt von der kurdischen Musikerin Hani Mojtahedy», sagt er, bevor er beginnt, «und mir kommt es vor, als ob ihre Stimme vom Zagros-Gebirge herab in die mesopotamische Ebene fliesse – eine Stimme für die Frauen und die Freiheit, voller Sanftmut und Schönheit.» Und so tanzt er das Lied auch: leidenschaftlich, fast in Trance, nicht männlich, nicht weiblich, einfach menschlich. Tanz als reiner Ausdruck von Gelebtem und Erlittenem.
Das letzte Gruppenstück ist eine spannende, farbige Suche nach Bewegungen durch Kontaktimprovisation – nach visuellen Bildern, Skulpturen, ja Körper-Gedichten. Und danach lädt Omar alle Anwesenden zum Tanz im Kreis: Zu Mikis Theodorakis «Zorbas the Greek» entsteht ein Rundtanz, in dem immer wieder einzelne in die Mitte treten und sich sanft oder wild drehen. Immer rascher wird das freie Tanzen, und die Gesichter leuchten. Am Ende begeisterter Applaus.
Kulinarik als Brücke zwischen Kulturen
Das «Kulturmenü» des FRW Interkultureller Dialog verbindet Menschen verschiedener Nationen und Kulturen über die Kulinarik. Freiwillige Mitglieder des FRW kochen und servieren feines Essen aus ihren Herkunftsländern. Gleichzeitig findet eine kulturelle Begegnung statt, seien es Märchenerzählungen, Bläserkonzerte oder eben Tanzimprovisationen.
Auch die FRW-Geschäftsführerin Regula Grünenfelder ist am Abend zugegen. «Das ‹Kulturmenü›, das wir in Kooperation mit der reformierten Kirche Baar anbieten, arbeitet regelmässig mit Karwan Omar zusammen», erzählt sie. «Es lebt davon, dass sich Menschen freiwillig dafür einsetzen. Am heutigen Abend waren Miriam Weiss für die künstlerische, Hanieh Mohammadi für die Küchenleitung zuständig.»
HinweisWeitere Infos zum «Kulturmenü» unter www.frwzg.ch/angebote. Informationen zur Tanzcompany Karwan Omar unter companykarwanomar.ch. (Text: Dorotea Bitterli)
