Dieser Roman fordert Lesegewohnheiten heraus
Literatur & Gesellschaft
Der Träger des Zuger Anerkennungspreises 2023 brachte mit seiner Übersetzung von Mike Wilsons «Holzfäller» ein chilenisches Sprachkunstwerk ins Deutsche – und wurde dafür gefeiert.
Zug – Ohne Übersetzerinnen und Übersetzer blieben die grossen Romane der Welt im Korsett ihrer Ursprungssprachen gefangen – unerreichbar für Millionen von Lesenden. Den mit dem Zuger Anerkennungspreis 2023 ausgezeichnete Übersetzer Mário Gomes, welcher den kolossalen Roman «Leñador» (Holzfäller) des US-amerikanisch-argentinischen Autors Mike Wilson ins Deutsche übersetzt hat, kann man demzufolge ohne Übertreibung als literarischen Brückenbauer bezeichnen.
«Holzfäller» gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Romane der Gegenwart und war am Donnerstagabend am Gespräch des Vereins Zuger Übersetzer in Zusammenarbeit mit der literarischen Gesellschaft Zug und dem Literaturhaus Zentralschweiz das Gesprächsthema. Gomes: «Vor über zehn Jahren sprach mich das minimalistische Buchcover des Romans in einer chilenischen Buchhandlung an, woraufhin ich begeistert zu lesen begann. Nach einer Anschubfinanzierung und intensivem Kontakt mit Wilson nahm ich mich der Übersetzung des Werks an, die sich aufgrund des enzyklopädischen Charakters anspruchsvoller gestaltete als eine herkömmliche Übersetzung.»
Erlebbare Realität des Protagonisten
Der Gesprächsrahmen präsentierte sich am Donnerstagabend exklusiv – das literaturaffine Publikum erwartete im warme Stimmung verströmenden Raum «Panorama» des 81 Meter hohen Park Towers gedimmtes Licht und Holzparkett sowie eine grossstädtisch anmutende Aussicht auf die Stadt Zug. Konträr dazu entflieht der namenlos gebliebene Protagonist in «Holzfäller» als gescheiterter Soldat und Boxkämpfer eben gerade den städtischen Störgeräuschen und sucht im archaischen und spärlich besiedelten kanadischen Yukon die Zugehörigkeit zur Natur.
Moderator Georg Gerber vom Verein Zuger Übersetzer führte aus: «Der Roman enthält über weite Strecken minutiöse Schilderungen des Holzfällerhandwerks und des Lebens im kanadischen Wald, was mich mit meiner eigenen Lesegewohnheit konfrontierte. Das Buch vermittelt Fachwissen über Bienen, Pilze oder die Bierherstellung.» Er habe während des Schreibprozesses den Fokus auf Details gelegt, wie sie besonders Kinder noch wahrnehmen würden, so der adrett gekleidete Wilson: «Die Veränderung meiner Schreibgewohnheiten hin zur Entschleunigung ermöglichte mir, die Realität des Protagonisten erlebbar zu machen.»
Was zeichnet einen Roman aus?
Immer wieder trug Gomes Textpassagen aus der Übersetzung und der Autor aus dem spanischen Original des rund fünfhundertseitigen Romans vor. Amüsiert lauschte das Publikum Abschnitten, in denen die Bedeutung der zwei Krümmungen am Stiel der Axt als Werkzeug eines Holzfällers oder die Dendrochronologie als exakte Datierung von gefälltem Holz durch die Analyse von Baumringen abgehandelt wurden. Gerber konfrontierte Wilson zudem mit dessen unkonventionellem Umgang mit der Zeit als elementarem Erzählelement und wies auf eine Textstelle hin, in welcher der Protagonist und gewissermassen der Roman selbst, sich selbstreflexiv die Frage stellen, was überhaupt einen Roman auszeichne. Wilson führte mit einem Schmunzeln aus: «Für mich ist Holzfäller definitiv ein Roman, doch das soll die Leserschaft entscheiden.»
Mit angeregten Gesprächen klang der Abend bei einem südamerikanischen Apéro aus. Gerber strich die unterschätzte und immens wichtige Übersetzerarbeit hervor: «Übersetzen ist aufwendig, schlecht bezahlt, vielfach einsam und bleibt oft unsichtbar. Finanzielle Förderungen wie die Vergabe des hoch dotierten Zuger Übersetzer-Stipendiums und des Zuger Anerkennungspreises helfen den Übersetzern enorm. Zudem stimmt es mich positiv, dass junge Talente von erfahrenen Kennern wie Mário Gomes profitieren können.» (Text: Nils Rogenmoser)
