Traumwandel aus Oper und Tom Waits

Theater & Tanz

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In einer Koproduktion mit weiteren Schweizer Kulturhäusern zeigten sieben Bühnenschaffende eine balladesk-explosive Mischung aus Carl Maria von Webers «Freischütz» und Robert Wilsons «Black Rider».

  • Michael Flury begeistert auch als Posaunist. (Bild Christian Herbert Hildebrand)
    Michael Flury begeistert auch als Posaunist. (Bild Christian Herbert Hildebrand)

Zug – «Ein szenisches Konzert mit Unterbrechungen» nannten sechs Musizierende und ein Schauspieler das, was sie am Dienstagabend auf beziehungsweise hinter der grossen Bühne des Theater Casino Zug präsentierten. Der originellen Ankündigung entsprach ein ebenso origineller Melodien- und Schauspielabend.

Die Geschichte dieser Kreation hat quasi drei historische Phasen. Zunächst C. M. von Webers Oper «Der Freischütz» aus dem Jahre 1821. Dann das darauf basierende düster-schräge Schauspiel-Musical «Black Rider» von Starregisseur Robert Wilson, Beat-Generation-Autor William S. Burroughs und Musiklegende Tom Waits, das 1990 im Hamburger Thalia-Theater Premiere feierte. Aus beiden inspirierte sich Regisseurin Barbara-David Brüesch zur szenischen Konzertrevue, die nun auf Schweizer Bühnen zu sehen ist.

300-jährige Erzählung

Eine Story verbindet alle drei, nämlich die Liebesgeschichte von Amtsschreiber Wilhelm und Erbförstertochter Käthchen. Der junge Mann darf seine Liebste nur heiraten, wenn er die Prüfung mit dem Probeschuss besteht. Da er aber ein schlechter Schütze ist, schliesst er einen verzweifelten Pakt mit dem Teufel und bekommt Freikugeln, die jedes gewünschte Ziel treffen. Der Teufel indes behält sich den letzten Schuss vor, und dieser trifft am Ende Käthchens Herz.

Eine unheimliche romantische Erzählung. In der Version von Wilson bekam sie in «Black Rider» eine verstärkte Wendung ins geisterhaft Besessene und die unbewussten Zwischenwelten von Somnambulismus, Mond- und Heroinsucht.

Aber im Theater Casino beginnt es konkret. Die Bühne ist möbliert mit Instrumenten: Klavier, Harmonium, Bratsche, Posaune, Klarinetten, Schlagzeug. Rechts sitzt Schauspieler Andreas Storm an einem Tischchen mit Stofflämpchen, hinter ihm knistert auf einem alten Grammofon Musik aus der Zeit der ersten Schallplatten, ganz rechts blickt ein ausgestopfter Hirschkopf von der Wand. Storm liest aus einem alten «Gespensterbuch» von 1810 vor, legt das «inhaltliche Kabel», wie er sagt, für den gesamten Abend.

Vier Musiker und Musikerinnen verteilen sich auf die Instrumente; ausser dem Perkussionisten (Nicolas Stocker) bedienen alle mehrere davon (Gina Corti, Christian Müller, Michael Flury). Und wie! Webers Lieder- und Waits’ Songkompositionen einerseits, atmosphärisch-bedrohliche Geräuschkulisse andrerseits: Unter Flurys Leitung ist die Musik die Hauptperson und die Erzählerin in einem, malt Donner und Blitz, Schüsse und Mondschein, Schlafwandel und Mitternachtsglocke und am Ende das Käthchen in seinem Blut (Tontechnik: Jonas Häni). Die Lichtregie trägt das Ihre dazu bei: wabernden Nebel, stroboskopisches Discofeuerwerk, dann wieder spukhaft unheilschwangere Dämmerung (Patrick Hunka).

Mitten darin die beiden Singer-Songwriter, Evelinn Trouble (Schweiz) und Gisbert zu Knyphausen (Deutschland). Sie stellen die Hauptrollen dar, halten sich als Liebespaar an den Händen oder mimen in zottigen Mänteln den Auftritt des teuflischen «Stelzfusses».

Das Publikum goutiert das Dargebotene

Vor allem aber singen sie, mal deutsch, mal englisch, besingen den Herbst in «November», erzählen von den «Magic Bullets», rappen sich durch Weber-Texte. In den Mittelpunkt rücken sie mehrmals – wie ein Leitmotiv – die wunderschön ahnungsvolle Traumballade «The Briar and the Rose» (Dornbusch und Rose).
Die Bühne war umgedreht worden: Das Publikum sass unter den Zügen und Seilwinden des Schnürbodens, mit Blick in die Arena des Theatersaals. Und spendete der fantasievollen szenisch-musikalischen Schöpfung lang anhaltenden Applaus. (Text von Dorotea Bitterli)