Ein nachhaltiges Jubilieren

Dies & Das, Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

,

Wir feiern 50 Jahre Frauenstimmrecht. Doch in Zug schien man das Jubiläum aussitzen zu wollen. Also galt: Selbst ist die Frau. Eine ganze Reihe an Veran­staltungen und ein Frauennetzwerk sind nun das Ergebnis.

  • Eila Bredehöft setzt sich mit Yvonne Dünki für ein neues Frauen*Netzwerk ein. (Bilder: Nora Nussbaumer)
    Eila Bredehöft setzt sich mit Yvonne Dünki für ein neues Frauen*Netzwerk ein. (Bilder: Nora Nussbaumer)
  • Iris Blum sorgt für eine angemessene Jubiläumsfeier des Frauenstimmrechts.
    Iris Blum sorgt für eine angemessene Jubiläumsfeier des Frauenstimmrechts.
Zug – Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Iris Blum ist leidenschaftliche Historikerin. Als solche war sie erstaunt und irritiert, als der ­Zuger Regierungsrat 2019 auf das Postulat der Politikerinnen Tabea Zimmermann Gibson, Stéphanie Vuichard und Esther Haas bekannt gab, der Kanton Zug plane nichts zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts. «Nichts», betont Iris Blum gleich nochmals.
«Es war ernüchternd. Denn diese Abstimmung war ein Meilenstein in der Schweizer Geschichte. Und dieses Jubiläum muss begangen werden, das war für mich klar», so Blum. Sie blickte etwas sehnsüchtig nach St. allen und Luzern, wo die historischen Museen Ausstellungen zum Jubiläum planten, und entschied, die Sache in Zug selbst in die Hand zu nehmen.
Das Thema sei für sie natürlich in ihrer Arbeit als Archivarin spannend, und auch als Historikerin, die sich auf Frauen- und Geschlechtergeschichte spezialisiert hat. «Dieses berufliche Interesse an feministischer Geschichtsschreibung ist aber fast ­unabdingbar auch mit einem privaten Interesse und Engagement verbunden», sagt die Histo­rikerin.
Im Januar 2020 fand das erste Treffen statt, interessierte Historikerinnen und Vertreter­innen und Vertreter von Gedächtnis-Institu­tionen, sowie von der Frauenzentrale und vom Frauenbund nahmen teil. Der Verein war bald gegründet.
Doch die Pandemie hat dem Jubiläum einen unerwarteten  Dämpfer verpasst. Die schon geplante Jubiläumsveranstaltung im Februar wurde ab­gesagt.

Keine Selbstverständlichkeit
Der Kalender «Frauenstimmen – Frauen stimmen», den das Stadtarchiv Zug in Zusammenarbeit mit der Bibliothek Zug produziert hat, sei bereits vergriffen, oder beziehungsweise «ausgeschenkt». Er reicht von Fe­bruar 2021 bis und mit Januar 2022. Monat für Monat wird im Kalender eine bestimmte Episode zum Thema aufgegriffen und erzählt.
Zeitzeuginnen werden zitiert, wie etwa Anto­nina Simonin, die ursprünglich aus Italien kommt und bei ihrer Immigration gefühlt in ein politisches Entwicklungsland gekommen sei – jedenfalls was die Rechte der Frauen betrifft. Ihr Zitat im Kalender berührte Iris Blum besonders. «Sie sagte, dass es eine Ehre sei, seine Meinung äussern zu können», so Blum. Das habe ihr einmal mehr klar gemacht, wie oft wir Rechte für selbstverständlich halten, in unserer privilegierten Situation.

Nichts in Stein gemeisselt
Es brauche ein Bewusstsein, dass ­diese Errungenschaften nicht einfach vom Himmel gefallen seien, sagt die Historikerin. Sondern, dass viele Menschen lange dafür gekämpft haben.
«Und wir müssen diesen Rechten Sorge tragen. Denn nichts ist in Stein gemeisselt», sagt Blum. Es sei auch wichtig, unsere Demokratie kritisch zu betrachten. Wer hat ein Stimmrecht? Wann ist eine Demokratie eine Demokratie? Wenn alle wählen dürfen? Nur die Männer?  Nur die gebürtigen oder eingebürgerten Schweizer*innen? Nur die über 18-Jährigen?  Auch Ausländerinnen und Ausländer, die schon mehrere Jahre in der Schweiz leben?

Kino und Jassen
Zug war 1971 eindeutig kein Hotspot des Abstimmungskampfs. Spannende Geschichten aufzutreiben, sei deshalb eine anspruchsvolle Arbeit gewesen, erzählt Blum.
Doch ein paar Perlen seien trotzdem aufgetaucht. So beispielsweise ein Wettbewerb von witzigen Sprüchen zur Ja-Parole, welcher im «Zuger Tagblatt» erschienen ist: «Dr ufgschlossni Zuger Maa seit am 7. Hornig Ja!» Oder: «Es Ja für d Frau, ihr Zuger Manne, tüemer z Gfährt doch zämespanne!»
Wichtig war dem Verein aber von Beginn an, nicht nur zurückzuschauen auf den peinlichen Fakt, dass wir in der Schweiz das Frauenstimmrecht vor erst 50 Jahren eingeführt habe. «Wir wollen auch auf die Gegenwart und in die Zukunft blicken», so Blum.

Generationenübergreifend
Durch das Engagement älterer, aber auch jüngerer engagierter Frauen im Verein seien Veranstaltungen für unterschiedlichste Zielpublika entstanden. Ein Glücksfall für den Verein: «Wir wollten unser Programm von Beginn an generationenübergreifend gestalten, und durch die 
       beteiligten Personen war dies automatisch der Fall.»
Die Veranstaltungen laufen von jetzt bis hinein in den Winter 2021 und sogar darüber hinaus. So wird die geplante, grössere Feier vom Februar nun am 6. Juni nachgeholt. An dem Tag, an welchem die Zugerinnen erstmals an die Urne ­gebeten wurden. Am Frauen*streik-Tag, dem 14. Juni, ist ein Strassenfest mit Postenlauf geplant, und im Juli ein Jassturnier mit neuen Jasskarten. «Die junge Illustratorin Lea Büchl hat eigens ein neues Set an Jasskarten designt», so Blum. Ein Projekt, das auf viel Interesse stösst. So werden einige Museen die neuen Karten in ihre Shops aufnehmen, darunter auch das gerade erst ausgezeichnete Stapferhaus in Lenzburg – mit der übrigens sehr sehenswerten Ausstellung «Geschlecht».

Breites Programm
Weiter wird ein Open-Air-Kino mit «Die göttliche Ordnung» und einem Gespräch zwischen Politikerinnen aller Parteien organisiert. «Es werden alle Haltungen vertreten sein. Doch der kleine gemeinsame Nenner bleibt: das Frauenstimmrecht», sagt Blum.
Dazu sind auch Ver­anstaltungen geplant, die über das Jubiläumsjahr hinauslaufen sollen. Beispielsweise die szenische Lesung mit Maria Greco und Rémy Frick.

Kooperation der Jubiläen
Aus einem ganz anderen Zuger Jubiläum heraus, dem 25-jährigen Bestehen des Kulturzen­trums Galvanik, entsteht nun ebenfalls eine ­Reihe für Frauen. Sie Veranstaltungsreihe zu nennen, wäre nicht ganz korrekt, und öffentlich ist sie auch nicht. Es lohnt sich trotzdem definitiv, das Projekt genauer anzuschauen.
Die Idee brachte Yvonne Dünki von ihrer Heimatstadt Winterthur nach Zug. Dünki trat 2020 eine befristete Stelle in der Galvanik an, um sich im Jubiläumsjahr voll und ganz  der Frage nach möglichen Kooperationen widmen zu können. Es ist ebenfalls ein Jubiläum, das ganz schön Abstriche machen musste wegen der Pandemie.

Ein neues Netzwerk
In den Gesprächen über mögliche Kooperationen sei schnell klar geworden, dass auch gemeinsame Sache mit dem 50-Jahr-Frauen-
stimmrechtsjubiläum gemacht werden sollte. Und vor allem wollte. Die Idee von Yonne Dünki erhielt den Zuschlag, und die Galvanik initiiert nun gemeinsam mit der Frauenzentrale Zug ein Frauen*Netzwerk – spezifisch für Frauen in Führungsrollen.
Das Ziel des Netzwerks ist es, Frauen aus Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur zusammenzubringen. Frauen, die in Zug wohnen und arbeiten oder zumindest eines von beiden Kästchen ankreuzen könnten und die beruflich in einer Leitungsposition stehen. Es gehe darum, sich auszutauschen, und ein branchenübergreifendes Netzwerk aufzubauen, in welchem auch Tipps und Informationen fliessen. «So wie Männer das schon seit Hunderten Jahren in Verbindungen und Zünften oder beim Bier in der Kneipe tun», so Dünki.
Sie habe manchmal das Gefühl, dass Frauen oft mit der Haltung ­sozialisiert worden seien, sich gegeneinander durchboxen zu müssen, um am Ende vorne zu stehen, ergänzt Eila  Bredehöft, die Geschäftsleiterin der Galvanik.  «Doch es wäre so viel konstruktiver, wenn wir uns gegenseitig stützen und unterstützen würden. Und damit auch mehr Sichtbarkeit für Frauen in Führungspositionen schaffen. Denn Sichtbarkeit ist Macht.»

Nur auf Einladung
Für das Netzwerk jedoch wird ausgewählt, wer in die Liste aufgenommen wird. Die Frauen werden für eine Teilnahme spezifisch angefragt. «Es ist uns wichtig, dass es sich um einen professionellen Austausch handelt, und dass das Netzwerk spezifisch Frauen in Leitungspositionen stärkt und branchenübergreifend vernetzt», sagt Dünki. Natürlich sei es nicht einfach, wo man die Grenze ziehe, beispielsweise bei selbstständigen Frauen. Und es sei auch nichts in Stein gemeisselt.  
Man könne auch mal jemanden mitbringen oder vor­schlagen. Die Idee wird in Winterthur bereits umgesetzt und ist dort erfolgreich unterwegs. Jeweils eine Frau lädt ein, wenn sie Lust dazu hat, sei es, um gemeinsam einen Anlass zu besuchen, ein Konzert oder eine Ausstellung, oder einfach bloss gemeinsam ein Bier zu trinken. «Es muss auf keinen Fall ein Happening sein, sondern soll möglichst niederschwellig und unkompliziert bleiben», so Dünki. Denn diese Frauen hätten alle schon genug Termine in ihren Leben. Sie sind oft schon in mehreren Vereinen, in Vorständen und anderen Gremien.
Gerade deshalb wollen die In­itiantinnen des Netzwerks dieses nicht institutionalisieren. Kein Verein, keine Chefin, keine Verpflichtungen. Man ist auf einer Liste, und wenn man Lust hat, dann lädt man ein. Um zu verhindern, dass das Netzwerk dadurch einschläft, erklären sich einige Frauen ­bereit, zwischendurch selbst mal wieder etwas anzu­stossen oder in die Runde zu fragen.


Rückblick und Ausblick
«Es wäre toll gewesen, wenn es so was bereits gegeben hätte, als ich die Geschäftsleitung in der Galvanik übernommen habe», sagt Eila Bredehöft rückblickend. Denn leider sei sie noch immer oft die Ausnahme als Frau und nicht selten werde sie als diese auch nicht gleich ernst genommen wie ihre männlichen Kollegen. «Damit lernt man umzugehen, natürlich, doch ein Austausch mit anderen Frauen in solchen Positionen hat mir definitiv gefehlt», so Bredehöft.
Im November ist das erste richtige Kick-off geplant. Bis dahin füllt sich die Liste weiter.

(Text: Jana Avanzini)