«Ein paar Buben mehr wären schön»
Brauchtum & Geschichte
Dass Brigitte Henggeler einst zum Trachtentanz finden würde, hätte sie in jugendlichen Jahren nicht gedacht. Die heute 67-Jährige leitet seit 1997 die Kindertrachtentanzgruppe Ägerital. Den Zeichen der Zeit begegnet sie mit hohem Engagement für das Brauchtum.
Oberägeri – Viele Vereine und Interessengruppen kennen es: Es mangelt an Nachwuchs. Bleibt dieser längerfristig aus, ist dies sozusagen das Todesurteil für die Vereinigung. Besonders schwer haben es wohl Vereine, die sich altem Brauchtum verpflichten. Ein Beispiel – es führt uns zum Thema dieses Beitrages – ist Trachtentanz.
Auf dem herrlich gelegenen Oberägerer Hof Oberbornacher treffen wir Brigitte Henggeler. Rund um ihr Heimet herrscht Natur pur, zufriedene Gitzi meckern neben dem 240-jährigen Bauernhaus, Katzen streichen einem zutraulich um die Beine, der Blick über Ägerisee und -tal lässt den Städter vor Neid erblassen. Henggeler leitet seit 1997 die bereits 1985 von Josi Rogenmoser gegründete Kindertrachtentanzgruppe Ägerital. Aktuell sind 17 Kinder aktiv in der Gruppe. Das ist nicht viel, aber es waren auch schon weniger. «Als ich die Kindertrachtentanzgruppe vor 27 Jahren übernommen habe, waren es gerade mal zwei Kinder – meine eigenen.» Brigitte Henggeler lacht und lässt dennoch den Ernst durchschimmern, wie herausfordernd es ist, den Verein am Leben zu erhalten.
«Tanzen konnte ich auch nicht»
Sie kann allerdings nachvollziehen, dass es für etwas wie Trachtentanz bei Kindern eine besondere Motivation braucht, denn als sie selbst jung war, habe sie – aufgewachsen als Zürcher Stadtmädchen, der Vater aus dem Kanton Zug stammend – auch herzlich wenig anfangen können mit Folklore. «Bei Ländlermusik rollte ich die Augen», erinnert sie sich lebhaft. «Und tanzen konnte ich auch nicht.» Dann war da aber der eine gute Bekannte aus ihrem Freundeskreis, der sie im Alter von 20 Jahren überredete, einer Trachtentanzgruppe beizutreten. Brigitte Henggeler fand tatsächlich ihre Freude daran, lernte bald ihren künftigen Zuger Ehemann kennen und zog 1983 in dessen Heimatkanton, wo sie Mitglied der von ihm geleiteten Trachtengruppe wurde – bis 1997 per Zeitungsinserat eine neue Leitung für die Kindertrachtentanzgruppe gesucht wurde. Brigitte Henggeler griff zu. Die Krux: Mit dem Wechsel verliessen die meisten Kinder die Gruppe, was vor allem mit der engen Bindung zwischen den bisherigen Leiterinnen und den Kindern zu tun hatte.
«Wir mussten die Gruppe komplett neu aufbauen», sagt Brigitte Henggeler, welche die Kinder in der Folge bis Ende 2004 gemeinsam mit Claudia Mathis und anschliessend mit ihrem Mann bis zu dessen Tod 2016 geleitet hat. Der Neuanfang war gelungen. Es wurden bald jährliche Schnuppertage organisiert. «Beim ersten Mal hatten wir schlagartig dreissig Kinder», sagt die heute 67-Jährige, die seit dem Verlust ihres Mannes von Astrid Kälin tatkräftig unterstützt wird.
So ist die Gruppe aktuell nur noch knapp halb so stark. «Doch das ist eben ein Zeichen der Zeit», sagt Brigitte Henggeler, «die Kinder haben mittlerweile so viel Auswahl, widmen sich lieber Sport als Folklore. Oder aber die Bereitschaft, sich an etwas zu binden, ist allgemein geringer geworden.» Dass die Mädchen deutlich in der Überzahl sind, ist wohl keine Überraschung. «Wir wünschten uns so sehr noch ein paar Buben in der Gruppe, im Moment sind es nur zwei. Somit gibt es bei den Tänzen halt mehrere Mädchenpaare. Das wäre in alten Zeiten undenkbar gewesen.»
Abschiede mit Tränen
Die Kinder in der Gruppe stehen altersmässig zwischen dem 6. Lebensjahr und Lehrbeginn. Die jüngeren lernen auf spielerische Art einfache Kindertänze, während die älteren anspruchsvollere Choreografien einüben. «Derzeit haben wir ein Repertoire von etwa dreissig Tänzen», so Brigitte Henggeler.
Auffallend und wohl auch charakteristisch für den multikulturellen Kanton Zug ist die Tatsache, dass in der Gruppe gegenwärtig nur sehr wenige einheimische Kinder sind. «Die meisten sind von zugezogenen Familien, mehrere aus dem Ausland.» Doch das macht für die Leiterin keinen Unterschied, solange alle mit Herzblut dabei sind und aktiv an den Proben teilnehmen. «Einige Kinder sind eine gewisse Zeit dabei, andere bleiben bis zu zehn Jahre», sagt Brigitte Henggeler, die spürbar mit grosser persönlicher Leidenschaft bei der Sache ist: «Meine Bindung zu jedem einzelnen Kind ist sehr eng und innig. Ich habe jedes Mal Tränen in den Augen, wenn ich eines verabschieden muss.»
Von starkem Sozialverhalten geprägt
Danach gefragt, was den Kindern besonders gefällt bei der Trachtentanzgruppe Ägerital, kommt Brigitte Henggeler auf ihr eigenes Engagement zu sprechen. «Ich denke, ich kann es gut vermitteln und lege grossen Wert darauf, stets aktiv zu sein.» So ist sie darum besorgt, dass die Gruppe an diversen Veranstaltungen in der Region wie auch ausserkantonal mitmacht. «Die Kinder haben grosse Freude an Ausflügen und Auftritten an Festen, Konzerten oder Umzügen.» Explizit hervorheben möchte Henggeler das starke Sozialverhalten innerhalb der Gruppe. «Vor allem die Bereitschaft der Grösseren, die Kleineren zu unterstützen, ist sehr ausgeprägt.»
An welche Höhepunkte in diesen 27 Jahren denkt Brigitte Henggeler besonders gerne zurück? «Sicher an das grosse Jubiläumsfest zum 15-Jährigen der Gruppe mit grossem Festzelt, Umzug und 800 Kindern aus der ganzen Zentralschweiz.» Die dreimalige Teilnahme am Unspunnenfest, ein TV-Spot-Dreh für Swisslos oder die Brauchtumswoche in Fiesch fallen ihr weiter spontan ein. «Es gibt so viele schöne Erlebnisse und Momente, die mir und natürlich den Kindern in Erinnerung bleiben.»
Wie jedem Verein, der mit Nachwuchsmangel kämpft, ist auch der Kindertrachtentanzgruppe Ägerital jedes interessierte Kind herzlich willkommen. Infos gibt es unter www.kindertrachtengruppe-aegerital.ch.
Hinweis
In unserer Sommerserie porträtieren wir Menschen, die sich ehrenamtlich für den Nachwuchs engagieren. (Text von Andreas Faessler)