Soziale Fürsorge: aus der Vergangenheit lernen

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Die erste Dialogveranstaltung zur sozialen Fürsorge blickte zurück. Am Anlass wurden Geschichten Betroffener ins Zentrum gestellt und Erkenntnisse des Forschungsberichts «fürsorgen, vorsorgen, versorgen» thematisiert.

Zug – Man spricht von einem dunklen Kapitel der Geschichte, wenn es um fürsorgerische Zwangsmassnahmen und soziale Fürsorge geht. Mit dem 2022 erschienenen Forschungsbericht hat der Kanton Zug das Thema der sozialen Fürsorge umfassend aufgearbeitet. Eine Veranstaltungsreihe sowie eine Kabinettausstellung machen diese Ergebnisse nun für die Öffentlichkeit zugänglich und betrachten das Thema der sozialen Fürsorge aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Den Auftakt machte der Anlass «Was war: Eine Würdigung», welcher am 13. Mai im Burgbachsaal in Zug stattfand. Ziel der Veranstaltungen sei es, in einen Dialog zu treten und gemeinsam über das Fürsorgesystem der Gegenwart und der Zukunft zu debattieren, so Regierungsrat Andreas Hostettler in seinem Grusswort: «Dieser Austausch und das gemeinsame Suchen von Lösungen hat früher gefehlt und bei den Betroffenen oft tiefe Spuren hinterlassen.» Gemäss Hostettler sei das Fürsorgesystem heute ein anderes als früher. Herausfordernde Situationen und fehlende Ressourcen seien aber auch heute noch Thema.

Christine Blättler-Müller, Gemeinderätin und Mitglied der Begleitgruppe des Forschungsberichts, beschrieb die soziale Fürsorge als System, bei dem Beteiligte leicht wegschauen und Verantwortung abschieben könnten. «Veranstaltungen wie diese sind eine Chance, die notwendige Diskussion am Laufen zu halten und unser System kritisch zu analysieren.» Mitautor Thomas Meier präsentierte die wichtigsten Forschungerkenntnisse. Er führte aus, dass der breit gefasste Ansatz der Studie ebenso innovativ wie ambitiös gewesen sei. Als charakteristisch für die Zuger «Anstaltslandschaft» bezeichnete Meier die vielen Erholungsheime und Sanatorien, die sich vor allem im Ägerital konzentrierten. Besonders stark waren im Kanton Zug die konfessionelle Prägung der sozialen Fürsorge sowie das zivilgesellschaftliche bzw. gemeinnützige Element.

Emotionen und bewegende Momente

Der Forschungsbericht war dann auch Thema an der von Judith Herger moderierten Diskussionsrunde. Es diskutierten Staatsarchivar Ernst Guggisberg, Mitautor der Studie, Thomas Meier sowie Monika Riedel und Mario Delfino, die in ihrer Kindheit und Jugend beide Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen waren. Ihre persönlichen Geschichten machten deutlich, wie wichtig eine umfassende Aufarbeitung des Themas ist.

«Im Rahmen der Forschungsarbeiten konnte ich den Historikerinnen und Historikern meine Geschichte erzählen. Man hat mir zugehört und mir in die Seele geschaut. Dafür bin ich dankbar», so Delfino. Ein bewegender Moment ereignete sich an der anschliessenden Fragerunde. Monika Riedel, die aus einer Grossfamilie entstammt, traf nach über vier Jahrzehnten wieder auf ihren Bruder, welcher als Gast an der Veranstaltung teilnahm.

Kabinettausstellung im Staatsarchiv

Die Dialogveranstaltung war gleichzeitig auch die Vernissage der Kabinettausstellung «fürsorgen, vorsorgen, versorgen», welche vom 15. Mai bis 20. Oktober im Staatsarchiv des Kantons Zug stattfindet und eindrückliche Zeitzeugnisse zur sozialen Fürsorge präsentiert.

An moderierten Gesprächstischen hatten Gäste die Möglichkeit zum Dialog und Austausch mit Buchautoren und Buchautorinnen, Verantwortlichen aus der Politik und von Fachstellen sowie mit Betroffenen. Vor Ort war auch Nationalrätin Manuela Weichelt, die sich in ihrer früheren Position als Regierungsrätin für eine umfassende Aufarbeitung der sozialen Fürsorge im Kanton Zug engagierte und Mitinitiantin des Forschungsberichts war. (fae)

Hinweis
Die nächste Dialogveranstaltung «Was bis heute nachwirkt» findet statt am Donnerstag, 25. Mai, um 19 Uhr im Kantonsratssaal Zug.