Die Zebrafanten sind in Zug

Theater & Tanz

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Poetry Slam gab’s in Zug noch nicht. 
Jetzt schon. Dank einer ganz speziellen Herde. Mit Streifen und roten Socken. Wir wagen uns in die Savanne.

  • Debora Baumgartner (rechts) und ihr Mitelefant Henrik Amalia von Dewitz. (Bild: PD/Christian Betschart)
    Debora Baumgartner (rechts) und ihr Mitelefant Henrik Amalia von Dewitz. (Bild: PD/Christian Betschart)

Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Artikeln, und hier gibts das Magazin als Pdf.

Das ist alles aus dem Nichts entstanden. War einfach plötzlich alles da. In der Chicago Bar sitzen 60 Leute und warten gespannt. Debora Baumgartner ist ein wenig nervös. Immerhin ist es das erste Mal, dass sie ihre eigene Show moderiert. Normalerweise ist sie eher die Kraft im Hintergrund: Sie sorgt dafür, dass das alles funktioniert. Dass die Mikrofone da sind. Dass die Zettel auf den Tischen liegen, damit die Gäste auswählen können, wer ihnen besonders gut gefallen hat. Debora hat sich eine Herde geschaffen. Eine Elefantenherde.
Zebrafant heisst die Poetry Slam Show, und sie findet diesen Herbst zum dritten Mal in Form einer Trilogie statt.

In sechs Minuten in eine andere Welt
Jetzt gerade sitzen wir im zweiten Teil dieser Trilogie. Poetry Slam ist die krasse Schwester der Lyrik. Die, die sich immer mit den grösseren anlegt – und dabei blaue Flecken austeilt. Poeten haben sechs Minuten Zeit, ihr Publikum zu fesseln. Der Applaus entscheidet über Sieg oder Niederlage. Debora stellt sich auf die Bühne, zusammen mit ihrem Mitelefanten Henrik Amalia von Dewitz, und die beiden erklären die Regeln. Nicht die Poeten beissen. Kein Ausbuhen. Nicht schwatzen, wenn einer vorträgt. Dafür so laut klatschen, wie das Stück gut war. «Das ist das Schöne dran», sagt Debora, «Wenn der Text gut ist, könnt ihr ihn sechs Minuten lang geniessen, sonst ist er in sechs Minuten wieder vorbei.» Slam Poetry ist ein Abenteuer für den Zuschauer. Denn da kann alles passieren. Sechs Minuten können qualvoll lange sein, wenn sich jemand auf der Bühne blamiert. Sie können den Einstieg in eine ganz andere Welt bedeuten. Sie können sich anfühlen wie ein guter Roman. Einfach etwas kürzer. Und von all dem gibt’s heute Abend was. «Man kommt aus seiner Komfortzone, wenn man sich Slam Poetry anhört», sagt Debora. «Man lässt sich auf was Neues ein.»

Poetry Slam? Mach’s selber!
Deshalb gibt’s die ganze Sache auch. Debora hat sich auf etwas Neues eingelassen. «Ich war eine Weile lang arbeitslos und musste etwas für mich auf die Beine stellen, um mich neben den ganzen Vorstellungsgesprächen selber bewerten zu können», sagt sie. Und als sie in den Ausgang wollte, am besten an einen Poetry Slam, da stoppte sie im Lauf. Denn in Zug gab es das nicht. «Mein Mann hat gesagt: Mach doch selber einen», sagt sie und lacht, «da dachte ich, dir zeig ich’s. Und habe einen auf die Beine gestellt.» Der Zebrafant mit den roten Socken als Maskottchen der Show, der ist irgendwann einfach da gewesen. Eine Kollegin von Debora hat ihn gezeichnet. Vorgespult ins Jetzt: Debora arbeitet mittlerweile bei einer grösseren Firma im Marketing. Und die Zebrafanten sind eine Herde geworden. Sie hat die Szene kennengelernt, Leute aus Luzern und Basel und Zürich und Bern getroffen, und auch in Zug: Fünf neue Mitstreiter helfen mit, Poeten zu finden, und selber welche auszubilden. Denn das ist eigentlich das Ziel von Debora. «Wir wollen eine Szene in Zug aufbauen», sagt sie. «Es gibt hier gerade mal ­einen oder zwei Slam-Poeten, von denen ich weiss. Es wäre schön, wenn wir junge Zuger ­Autoren dazubringen könnten, bei uns aufzutreten.» Das meinen sie nicht nur so, sie machen es auch möglich. Die Zebrafanten stellen zusammen mit einem Deutschlehrer der Kantonsschule Poetry Slams für Kantischüler auf die Beine. Damit sie das im vertrautem Rahmen erst mal üben können. «Beim ersten Mal haben sich nur drei Kantischüler gemeldet – aber die hatten richtig gute Texte. Jetzt machen wir das im Januar wieder und hoffen, dass die Deutschlehrer etwas mehr Zeit haben, um das Thema mit der Klasse anzuschauen.»

Riesenkraken und Kernkraftwerk
Mittlerweile hat das Barteam alle mit Drinks versorgt. Zeit für Poesie. Die hat es in sich: Die sich gendermässig nicht binär identifizierende Oltner Slampoet_in Sascha Rijkeboer liest einen Text aus der Perspektive eines Alpha-Trans-Menschen, der nach 40 Tagen Testosteron-Tabletten die Periode vermisst, weil die Fähigkeit, ein «Wunder der Natur in die Welt zu teilen einfach so romantisch ist.» Norbert Buortesch reimt sich mit bayrischem Akzent durch die geniale Reise eines Riesenkraken, der es in seiner Seele findet, dass ihm die Tiefe doch zu dunkel ist. Der Krake stürzt sich deshalb schnurstracks in den Bauch eins Pottwals, um um die Welt zu reisen – was in einem grossen Knall auf dem Fischmarkt einer japanischen Hafenstadt endet. Die Moral von der Geschicht’: «Wale, wenn aus dem Meer, verderben schnell und stinken sehr.»

Da gibt’s Profis wie Moritz Mahr mit seinem realistischen Märchen vom depressiven Einhorn, das dummerweise keine Regenbogen kotzen kann, sondern nur echte Kotze. Oder Anfänger, die ihre Texte zwar mit zittrigen Händen, dafür sonst souverän vortragen. Da gibt’s Basler, ­Luzerner, Berner, Zürcher, Ostschweizer. Wir hören uns ein charmantes Gespräch zwischen der Slam-Poetin Martina Hügi und dem Tod an, der sich über mangelnde Auftragslage beschwert, wegen Gesundheitswahn. Immerhin, die Stadt Zürich würde ihn gerne anstellen, um die Wohnungsnot zu mindern. Und dann gibt’s ja zum Glück noch diese Altmenschensammelstellen. «Ui, das war jetzt etwas brutal, oder?», sagt die Poetin und lacht.

Der Poetry Slam hat uns fest in der Faust: Da knallt Text auf Text, und wir knallen mit. Hören dem modernen Zauberlehrling in Bourteschs glänzend geknoteten Reimen dabei zu, wie er des verhassten Nachbars automatischen Rasenmäher aus seinen Schranken befreit und ihm erlaubt, dessen Garten klitzeklein zu häckseln. Das Ende naht, als sich der Roboter, mit der Axt erschlagen, vierteilt und unseren Protagonisten in den Wahnsinn und auf den Baum treibt. Die Geister, die ich rief. Wir steigen mit Rijkeboer als Kanti­schüler ins Besuchsprogramm des AKW Gösgen und lassen uns gründlich das Gehirn waschen, bei AKW-Gösgen-Schokolade. Keine kritischen Fragen, sagt der Physiklehrer, denn das könnte die Leute im AKW dazu bringen, dass sie denken, sie würden etwas falsch machen. Fantastisch.

Hintergründig lustig
Natürlich, es gibt auch Zu-schnell-Leser und Leise-Nuschler. Und den Abstecher in eine politische Wutrede von Nina Horbaty, deren Sinn wir zwar alle ahnen, aber nicht ganz verstehen. Aber so ist es ja oft in der Politik, und Horbaty ist zum Glück, im Gegensatz zu den allermeisten Politikern, hintergründig lustig. Wir steigen wieder aus und kommen in der Realität an.
Das kommt alles aus dem Nichts, dieser Zuger Poetry Slam. War einfach plötzlich alles da. Weil Debora zugepackt hat. Man kann so was wie ein brandneues Kulturangebot von Hand zusammenbauen, wenn man Lust drauf hat. Debora sagt: «Es ist schön, dass wir in Zug so einfach etwas auf die Beine stellen können. Hilft auch, dass es in der Richtung noch nicht so viel gibt.» Und natürlich muss man dann fragen, das ist wie bei Bandnamen: Warum Zebrafant? «Wegen der roten Socken», sagt Debora und zuckt mit den Schultern. «Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.»

(Autor: Falco Meyer)