Kleiner Kanton, viele Dialekte

Literatur & Gesellschaft

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Forschende aus Zürich analysieren das «Zugerdeutsche». Am 25. November organisieren sie einen Dialektworkshop.

  • Anja Hasse, Forscherin für Dialekte und sprachliche Vielfalt an der Universität Zürich. Bild: zvg
    Anja Hasse, Forscherin für Dialekte und sprachliche Vielfalt an der Universität Zürich. Bild: zvg

Zug – Die Universität Zürich verfügt über eine lange Forschungstradition zum Schweizerdeutschen. Ein aktuelles Projekt untersucht, wie sich die Dialekte im Laufe der Zeit verändert haben. Anja Hasse, Professorin der germanistischen Linguistik und Teil des Forschungsteams, erklärt: «Früher konzentrierte man sich auf den ‹guten› Sprecher. Heute interessiert uns, wie die Bevölkerung wirklich spricht.»

Die Forschenden vergleichen neue Daten mit den Karten des Sprachatlas der deutschen Schweiz, die zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren entstanden sind. So möchten sie herausfinden, ob sich Dialekte in bestimmten Regionen verändert haben. «Wir fragen uns: Haben sich die Grenzen verschoben?», sagt Hasse. Beispiele dafür seien etwa die L-Vokalisierung aus dem Berndeutschen (‹fouge› statt ‹folge›), welche sich verbreite, oder Unterschiede in Satzstrukturen wie «Ich bruche Münz, zum es Billett löse» und «Ich bruche Münz, für es Billett zlöse».

Ein wichtiges Werkzeug dabei sei die App «nöis gschmöis», welche die Forschenden im Rahmen des Projekts Rald (Raising Awareness for Linguistic Diversity) entwickelt haben. Über die App sammeln sie Daten aus der ganzen Deutschschweiz. Nutzerinnen und Nutzer beantworten Fragen zu ihrem Dialektgebrauch und erhalten zugleich Informationen über sprachliche Phänomene. «Wir möchten, dass alle mitmachen. Auch jene, die glauben, kein ‹richtiges› Schweizerdeutsch zu sprechen», betont Hasse. Denn die Forschenden wollen kein Ideal, sondern die gelebte sprachliche Realität erfassen.

Die Gruppe organisiert zudem an sechs verschiedenen Standorten Dialektworkshops. Einer davon findet am 25. November an der Kantonsschule Zug statt. Tagsüber erhalten Schülerinnen und Schüler Einblicke in die Dialektologie, ab 18.15 Uhr sind die Workshops öffentlich. Interessierte können mitforschen, Sprachkarten anschauen und gemeinsam mit den Forschenden diskutieren, was die Daten über heutige Dialekte verraten.

Zum Abschluss folgt ab 20 Uhr eine Podiumsdiskussion mit der Geschichtenerzählerin Maria Greco, dem Autor Severin Hofer und der Live-Literatin Judith Stadlin, die alle eng mit Dialekten arbeiten. Sie sprechen darüber, was Dialekt für ihre Arbeit bedeutet und wie man mit sprachlicher Vielfalt kreativ umgehen kann.

Das «Zugerdeutsch» gibt es gar nicht

Besonders spannend in der Dialektforschung sei der Kanton Zug, weil hier gleich mehrere Dialektgrenzen verlaufen würden. «Es gibt den Zuger Dialekt nicht», erklärt Hasse. So heisse es etwa in Menzingen, Baar, Steinhausen und Risch traditionell «boue», während südlich davon «buue» gesagt werde. Auch kleine Unterschiede in der Satzstruktur oder Wortwahl verraten oft, woher jemand stammt. Etwa «Min Vater het mer s Buech praacht» oder «s Buech brunge». Gerade diese feinen Unterschiede würden Zug für ihre Forschung interessant machen: «Flächenmässig ist Zug sehr klein, und trotzdem gibt es innerhalb des Kantons viele sprachliche Varianten», sagt Hasse.

Im Kanton Zug hört man nicht nur Schweizerdeutsch, sondern auch Hochdeutsch. Welche Einflüsse das genau auf die Dialekte hat, hat das Team laut Hasse aber «noch nicht genau untersucht». Erste Beobachtungen zeigen laut der Professorin: «Einfluss aus dem Hochdeutschen tritt vor allem auf der Wortschatz-Ebene zutage, während Wort- und Satzstrukturen vergleichsweise stabil bleiben». Hasse nennt das Beispiel «Ich gang go poste», welches sich nicht zu «Ich gang poste» wandeln werde. «Das ‹go› kann man nicht ins Hochdeutsche übersetzen. Trotzdem würde jeder Schweizerdeutschsprechende sagen, der Satz ohne das Wort ‹go› klinge falsch.»

HinweisAm 25. November findet der

Dialektworkshop der Universität Zürich ab 18.15 Uhr an der

Kantonsschule Zug statt. Die

Anmeldung für die interaktiven Workshops läuft über ihre

Webseite. Die anschliessende Podiumsdiskussion um 20 Uhr verlangt keine Anmeldung.


(Text: Valérie Kälin)