50 wilde Jahre

Dies & Das, Vermittlung

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1974 wurde der Verein Zuger Jugendtreffpunkte gegründet. Zeit für ein Gespräch über stürmische Zeiten, fehlende Freiräume und den stetigen Balanceakt mit den Behörden.

  • Bild: Nora Nussbaumer
    Bild: Nora Nussbaumer

Zug – Dieser Artikel erschien in der September-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Ewige politische Diskussionen über das Chaos im «Chaotikum», hässige Nachbarn mit Dezibelmessgeräten, eine verschwundene Beizenkasse und eine Pandemie, die alles kurzzeitig zum Erliegen brachte: Der Verein Zuger Jugendtreffpunkte (ZJT) hat 50 zuweilen wilde Jahre hinter sich. Während sich der im Kielwasser der Nach-68er-Bewegung entstandene Verein anfangs noch für die eigene Existenz erklären musste, ist er heute etabliert und erfüllt einen Leistungsauftrag der Stadt.
Ein Gespräch mit Philipp Röllin, der ab den 80er-Jahren als Präsident von ZJT tätig war, und mit Susanna Peyer-Fischer, der heutigen Bereichsleiterin der Jugendanimation Zug (Jaz).

Zug Kultur: Philipp Röllin, Sie waren rund 20 Jahre bei ZJT aktiv, zehn Jahre davon, zwischen 1986 und 1996, als Präsident. Was waren Ihre wildesten Zeiten?
Philipp Röllin: (Lacht.) Da gab es einige. Was mir stark in Erinnerung geblieben ist, ist der permanente Konflikt mit der Nachbarschaft und dem Jugendkulturzentrum Industrie 45 (i45). Anfangs war der Bau, der Mitte der 80er-Jahre fertiggestellt wurde, überhaupt nicht schallisoliert und wenige Jahre später entstanden nebenan Genossenschaftsbauten. Die neuen Bewohner*innen waren natürlich alles andere als begeistert darüber, dass bei uns oft bis zwei Uhr nachts Konzerte gespielt wurden. Ein Anwohner zeichnete zum Beispiel alles akribisch mit seinem Dezibelmessgerät auf. Wöchentlich erhielt ich Beschwerden. Es war ein unlösbarer Konflikt, bis zum Ausbau 1997.

Zug Kultur: Auch in der Jugendbeiz am See, dem heutigen Podium 41, lief es nicht immer rund. Insbesondere in den Anfangsjahren ab 1990, als das Provisorium «Chaotikum» eröffnet wurde.
Röllin: Tatsächlich hatte die Beiz in gewissen Kreisen das Image einer «Drogenhölle», in der zwielichtige Gestalten verkehrten. Dabei ging dort ein sehr breites Publikum ein und aus. Oft mussten wir in jener Zeit die offene Jugendarbeit erklären. Insbesondere, wenn Leute Konzerte besuchten, die älter waren. Dann hiess es, das wäre nicht unser Auftrag. Der Betrieb dort war grundsätzlich sehr herausfordernd. Bewusst wurden Leute eingestellt, die sonst wenig Chancen im Jobmarkt gehabt hätten. Der Umgang war nicht immer einfach, die Fluktuation gross. Dazu kam ein ständiges finanzielles Defizit. Einmal verschwand sogar die Kasse des «Chaotikums». Jemand hatte sich mit mehreren tausend Franken davongemacht. Durch den Neubau des Podium 41 wurden die Zeiten nicht unbedingt ruhiger. Den Betrieb übergaben wir Ende 2008 an die Gemeinnützige Gesellschaft Zug, da wir für die Sozialarbeit, die wir dort leisteten, von der Stadt nicht genügend entschädigt wurden.


Zug Kultur: Susanna Peyer, Sie sind zwar erst knapp zweieinhalb Jahre beim Verein ZJT als Bereichsleiterin der Jaz tätig. Doch auch Sie erlebten bereits herausfordernde Zeiten. 
Susanna Peyer: (Nickt.) Als ich im Februar 2022 meinen Job antrat, steckten wir mitten in der Coronazeit. Die Jaz war mehrere Monate zu gewesen. Dann kam die Zeit, in der nachgewiesen werden musste, dass man geimpft oder eben genesen war. Viele Junge blieben deshalb in dieser Zeit weg. Dennoch ist es uns gelungen, die Situation als Chance zu nutzen, um uns zu überlegen, welche Bedürfnisse die Jugendlichen betreffend mobile Jugendarbeit haben.

Zug Kultur: Die da wären?
Peyer: Die Gespräche haben uns gezeigt, dass sich viele einen Treffpunkt am See wünschen. Idealerweise mit Dach. Mittlerweile ist das Jaz-Team im Sommer mit einem Container bei der Schützenmatt präsent, wo man Liegestühle holen und sich zum Pingpongspielen treffen kann. Ein Dach können wir leider noch nicht bieten. Aber wir knüpfen heute wieder leichter Kontakte zu Jugendlichen und können sie auch via Schulbesuche über unser Angebot informieren. Jugendliche können mit unserer Unterstützung Veranstaltungen planen oder unser Haus an der Kirchenstrasse 7 als Treffpunkt nutzen.

Zug Kultur: Zur Zeit der Gründung des Ver­eins ZJT wurde die Arbeit in älteren Gene­rationen teilweise als unnötig empfunden. Heute hat ZJT einen fixen Platz. Zudem passierte in den letzten Jahrzehnten eine starke Professionalisierung. Ist der Verein von heu­te vergleichbar mit jenem aus den Anfangs­zeiten?
Röllin: Es ist nicht so, dass wir uns früher im rechtsfreien Raum bewegten. Der Rahmen der Politik war auch damals vorgegeben. Die Anbindung an die Behörden war mit gemeinsamen Sitzungen sehr eng, sogar eher enger als heute. Zudem hatten wir bereits früh Profis im Verein. Noch in den 70er-Jahren wurde aber erkannt, dass es eine professionelle Leitung braucht, um die Kontinuität aufrecht erhalten zu können. 
Peyer: Ich denke auch, dass man die Vereinsarbeit von früher und heute durchaus vergleichen kann. Ein Auf und Ab gab es und wird es auch in Zukunft wieder geben. Klar, die vierjährigen Leistungsvereinbarungen mit der Stadt Zug ermöglichen uns eine gewisse Stabilität und Planbarkeit. Aber auch nicht immer. Ich erinnere mich ans Jahr 2010, als der Grosse Gemeinderat die Leistungsvereinbarung nicht unterschrieb. Vielmehr forderte er den Verein ZJT auf, 50000 Franken zu sparen. Das war sehr schwierig. Glücklicherweise erhielt der Verein im Folgejahr mehr Anerkennung für die Bemühungen um Legitimierung und eine neue Leistungsvereinbarung mit der Stadt. Das Beispiel zeigt, dass sich die offene Jugendarbeit auch weit in die 2000er-Jahre für ihre Arbeit erklären musste. Der Verein ZJT wird die Politik auch weiterhin für die Bedeutung seiner Arbeit sensibilisieren müssen.

Zug Kultur: Inwiefern?
Peyer: In allen anderen Zuger Gemeinden ist die Jugendarbeit als Teil der Verwaltung organisiert, also bei den Behörden angegliedert. Bei ZJT wird die strategische Arbeit durch ehrenamtliche Strukturen gewährleistet. Dies bringt einerseits mehr Freiheit mit sich, andererseits muss sich der Verein stärker um Anerkennung bemühen. Wir haben eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Stadt und zu vielen Stellen einen guten Draht. Das schätzen wir sehr. Dennoch vermute ich, dass es mittelfristig wieder Diskussionen über öffentliche Gelder geben wird. Der Betrag ist seit über zehn Jahren gleich hoch, obwohl die Stadt wächst.
Röllin: Ich sehe das ähnlich. Die Akzeptanz ist grundsätzlich da, doch braucht es wenig, um die Haltung der Bevölkerung kippen zu lassen. Früher sahen wir das stark, wenn Probleme mit Alkohol oder Drogen auftauchten oder wenn die Besucher*innenzahlen stark schwankten. Sofort stellte man dann den Betrieb der i45 infrage. Dass das Haus bei gewissen Anlässen proppenvoll war, ging dabei oft vergessen. Abgesehen davon, dass ein Jugendkulturzentrum ja genau dazu da ist, auch unterschiedliche Formate auszuprobieren. Ich erinnere mich da besonders an eine Situation.

Zug Kultur: Und zwar?
Röllin: Die i45 steht ja bekanntlich am Stadtrand in Richtung Baar. Wir hatten einst die Situation, dass plötzlich auch Primarschüler aus Inwil zu uns kamen, viele mit Migrationshintergrund. Diese waren jünger als unsere eigentliche Zielgruppe. Wir versuchten also, ihnen mit einem spezifischen Angebot gerecht zu werden. Von den Zuger Behörden hiess es dann, das sei nicht unser Auftrag. Wir versuchten also, die Gemein- de Baar davon zu überzeugen, dass wir die Angebote für ihre Jugendliche machten. Doch diese war nicht bereit, ihren Beitrag adäquat zu erhöhen.

Zug Kultur: Kommen wir zur Zukunft. Was braucht die Jugend heute? Was wünschen Sie sich für all die jungen Menschen in Zug?
Röllin: Ich wünschte, es gäbe einen richtigen Jugendtreff am See. Das Zuger Seeufer gehört allen, auch den Jungen. Grundsätzlich braucht es eine stärkere Durchmischung in dieser Stadt, die sich in den letzten Jahren in Richtung «Schickimicki» verändert hat. Dem müsste man entgegenwirken. Ich habe einst einen beruflichen Seitenwechsel absolviert, bei dem ich Einblick in den Betrieb des früheren Gastschiffes MS Yellow mit der sogenannten Gassenküche bekam. Es war eindrücklich zu sehen, dass es auch in Zug Menschen gibt, die von der Hand in den Mund leben. Auch dieser Bevölkerungsanteil dürfte in Zug mehr Raum einnehmen.
Peyer: Apropos Raum. Ich wünsche mir überdies mehr Freiräume in dieser immer verdichteter werdenden Stadt; sowohl symbolisch als auch praktisch. Ausserdem sollten meiner Meinung nach die Mitgestaltungsmöglichkeiten für Junge stärker gefördert werden. Das fängt im Kleinen an. Etwa, indem sie eigene Projekte umsetzen können und auch politische Mitsprache erhalten. So spüren sie, dass es von Bedeutung ist, was sie denken und tun, und dass sie ein wichtiger Teil der Gesellschaft in Zug sind.

Text: Valeria Wieser