Braver, aber aus guten Gründen

Literatur & Gesellschaft, Musik

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Rolf Kalchofner setzte sich während drei Jahrzehnten für die Industrie45 ein und hat während dieser Zeit eine grosse Entwicklung miterlebt. Die Jungen seien zwar heute braver, sagt er. Dies jedoch mit gutem Grund.

  • So sah es in der i45 früher aus. (Bild:PD)
    So sah es in der i45 früher aus. (Bild:PD)
Zug – Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Einer, der das Jugendkulturzentrum Industrie45 kennt wie kaum ein anderer, ist Rolf Kalch­ofner. 33 Jahre lang war er beim Verein ­Zuger Jugendtreffpunkte (V-ZJT) angestellt. Als Geschäftsleiter trat er 2020 von seinem Amt zurück. Der heute 64-Jährige erzählt: «Als ich 1987 zum V-ZJT kam, gab es gerade einmal den Burgbachkeller, das Jugi sowie das Casino. Keine Gal­vanik, keine Chollerhalle, in denen sich Junge vertun konnten.» Und weiter: «Wer also selber etwas gestalten wollte, musste zu uns kommen», erzählt er.

Anfangs galt in der i45 bis auf wenige Ausnahmen im Jahr ein striktes Alkoholverbot. Er erinnert sich: «Ich hatte mich dafür eingesetzt, dass den älteren Jugendlichen Alkohol ausgeschenkt werden durfte. Dass das selbst für über 18-Jährige nicht erlaubt war, verstand ich nicht.»
Er führt aus: «Es war üblich, dass unsere Besucher:innen ihren – oft harten – Alkohol vor der i45 deponierten und immer wieder raus gingen, um davon zu trinken. Meist nicht nur ein, zwei Schlucke.» Entsprechend sei der Konsum viel schwieriger zu kontrollieren gewesen. «Nicht selten haute es die Gäste um, nachdem sie von der Kälte zurück an die Wärme kamen. Das geht doch nicht!»
Rolf Kalchofner weiter: «Wir erklärten dem Stadtrat, dass ein legaler Ausschank viel sinnvoller wäre. Zum einen, weil das Taschengeld nicht reicht, allzu viel zu trinken. Zum anderen, weil wir den Alkoholkonsum so besser im Auge hatten.» Irgendwann, das war anfangs der 90er, lenkte der Stadtrat ein. «Wir behielten recht. Das Problem, dass Jugendliche scharenweise übermässig tranken, erübrigte sich.»

Damals waren sie aufmüpfiger
Heute wird Jugendlichen oft von älteren Generationen der Vorwurf gemacht, sie seien träge geworden. Wie sieht das Kalchofner, der jahrzehntelang mit Jugendlichen gearbeitet hat? Er sehe zwar auch, dass die Jungen heute tendenziell «braver» seien. «Aber muss man ihnen dafür einen Vorwurf machen?», gibt er zu bedenken. «Damals waren sie aufmüpfiger, da sie sich für Dinge einsetzten, die heute normal sind, beispielsweise Freiräume, im Sinne des Wortes, aber auch ideell.» Mittlerweile werde wird die Jugendarbeit mit professionellen Mitteln und Werkzeugen gestützt. «Die soziokulturelle Animation ist heute ein fixer Bestandteil davon.»
Weiter sagt Kalchofner: «Heute haben es Junge oft weniger nötig, sich von den Eltern zu distanzieren. Nicht zuletzt, weil die Erziehungsmethoden viel moderater geworden sind.»

Skeptisch gegenüber Eventitis
Dass es Jugendlichen heute schwerer falle, sich aktiv kulturell einzusetzen, bestätigt Kalchofner jedoch. Schmunzelnd erzählt er: «Beim Jugendpolittag wird jeweils die Forderung nach einer Beiz für Junge aufgestellt. Doch wenn es darum geht, wie das konkret passieren könnte und welchen Einsatz die Jungen selber bringen müssten, zerflattert die Idee schnell.» Kalchofner weiter: «Ich frage mich, ob man alles fertig zur Verfügung stellen muss. Ich bin skeptisch gegenüber der derzeit herrschenden Eventitis. Das ist mir zu viel.»
Die i45 wird zwar heute noch von einer sehr breit interessierten Gruppe genutzt, doch, nicht zuletzt aufgrund diverser anderer Möglichkeiten, weniger stark als noch vor 40 Jahren. Braucht es ein solches Angebot überhaupt noch? Kalchofner dazu: «Das ist eine Frage, die wir uns immer wieder gestellt haben. Die Antwort ist: Ja und Nein. Nein im Sinne von, die i45 ist, genauso wie ein Theater Casino Zug, nicht zwingend. Man könnte gut leben ohne diese Kulturangebote, wenn man die Institutionen selber nicht nutzt.»
Aber? «Zug hat viele Plätze verloren, an denen sich Junge früher aufhalten konnten. Ich finde es darum richtig, dass es definierte Orte gibt, wo sich Junge mit sich selber und mit ihrem ‹Zeug› beschäftigen können.»

(Text von Valeria Wieser)