Schöpfung bewahren, um Frieden bitten

Musik

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Der Zuger Chor Audite Nova feierte sein 50-jähriges Jubiläum mit dem Oratorium «Le Laudi» von Hermann Suter und der Vertonung eines Segensgebets nach Franz von Assisi von Carl Rütti.

  • Der Chor Audite Nova an seinem Jubiläumskonzert in der Pfarrkirche Unterägeri. (Bild Roger Zbinden)
    Der Chor Audite Nova an seinem Jubiläumskonzert in der Pfarrkirche Unterägeri. (Bild Roger Zbinden)

Zug – Grosser Musik werden Worte nicht gerecht. Und Weltthemen sind auch grösser als die vielen Reden, die es braucht, um sie auszuloten, und so ist die Musik wiederum oft die beste Ausdrucksform dafür. Beim Jubiläumskonzert des traditionellen Audite-Nova-Zug-Chors in der Pfarrkirche Unterägeri, geleitet von seinem langjährigen Dirigenten Johannes Meister, konnten einem solche Gedanken durch den Kopf gehen. Denn aufgeführt wurden zwei Kompositionen, die in einem Abstand von einem Jahrhundert entstanden und direkt in Bezug zu setzen sind mit ihrer jeweiligen Entstehungszeit: 1923 und 2022.

Hermann Suter (1870–1928), ein wichtiger Vertreter der Instrumental- und Chormusik im Deutschschweizer Raum an der Wende zum 20. Jahrhundert, schrieb «Le Laudi di San Francesco d’Assisi» op. 25 für Chor, Orgel und Orchester, Kinderchor und vier Solisten fünf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Als Textvorlage wählte er den Sonnengesang des heiligen Franz, der in altitalienischer Sprache den Schöpfer lobt für alles Geschaffene, Sonne, Himmel, Mond und Sterne, Wind, Wolken und Wetter, Wasser und Feuer, Mutter Erde und ihre Früchte, aber auch für den Tod.

Im Zentrum standen Schöpfung und Frieden

Der Zuger Komponist Carl Rütti (*1949), der beinahe so lang Auftragskompositionen schreibt, wie es Audite Nova gibt, knüpft nun in seiner 2022 entstandenen «Benedizione di San Francesco» an Suters musikalische Motive an, indem er einen kurzen franziskanischen Segensspruch vertont hat, in dem es um Schutz, Erbarmen und Frieden geht – «ein Werk, das Suters Musik widerspiegelt, quasi wie die moderne Glaspyramide den barocken Louvre». In der kurzen Einführung vor Beginn des Konzertes wies Rütti selbst auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund hin: «Unsere Darbietung hat zwei Schwerpunkte: Achtung und Bewahrung der Schöpfung und die Bitte um Frieden. Das ist unser aller Situation heute.»

Johannes Meister hatte eine grosse Formation um sich geschart, die im Altarraum der Kirche auf einem eigens errichteten Podium Platz nahm: neben dem rund 100-köpfigen Chor Audite Nova weitere Frauenstimmen aus dem Zuger Kammerchor, die Orchestermusiker der Zuger Sinfonietta und, links des Dirigenten, die vier Solisten Gabriela Bürgler (Sopran), Claudia Iten (Alt), Michael Feyfar (Tenor) und Markus Volpert (Bass). Während die Musik mit einer einstimmigen, gregorianisch anmutenden Melodie aus der Stille aufkeimte, kamen durch den Mittelgang der voll besetzten Kirche jugendliche Sängerinnen des Konzertchors der Musikschule Zug schreitend und singend langsam hinzu.

Suters neunteiliges Oratorium und Rüttis drei Segenssprüche, ineinander verflochten, kombinierten nun Stimmen, Instrumente, Tonarten und Rhythmen in vielfältiger Variation, sodass einerseits immer wieder lautmalerische Stimmungseindrücke entstanden, andererseits die pure Schönheit der Klangkombinationen in den Vordergrund trat. Zwischen zartestem Pianissimo und dröhnenden Tutti-Fortissimi umfloss das Musikgemälde die Zuhörenden. Sei es als Windsturm mit Trommelwirbeln, sich fugenartig verfolgenden Solistenstimmen und hüpfenden Flötentönen oder als gewaltig aufflammende, orgelunterstützte (Carl Rütti spielte selbst) Passacaglia des Chors für das Element des Feuers.

Erde, Liebe, Friede und den Tod besungen

Im zweiten Teil entfalteten sich die Solostimmen auf höchstem Niveau. Claudia Itens Altstimme kehrte immer wieder zurück zum «Laudato sia – Gelobt seist du», jedes Mal noch inniger im Gefühl und dann fröhlich-heiter im Lobgesang auf Erde, Früchte, Blumen und Kräuter. Tenor Michael Feyfar sang im Dialog mit dem Frauenchor von Liebe und Verzeihen, gefolgt von Gabriela Bürglers Sopran, der für den Frieden dankte und sehr zärtlich auf einem sehr hohen Ton endete. Markus Volperts Bass aber besang sonor den Tod, interagierte mit tiefen Streicherklängen und dem Kinderchor. Ein sich anschliessender Orchester-Orgel-Abschnitt holte Publikum und Aufführende in ein meditatives «Träumen», bevor die Aufführung nach mehr als zwei Stunden in ein mystisches «Amen» aller Musizierenden mündete. Johannes Meister hatte dirigierend eine musikalische Glanz- und Parforceleistung hingelegt: Das Publikum reagierte mit stehendem Applaus.

Auf der einen Seite der Mensch, der solche Musik erfindet und gestaltet; auf der anderen seine umwelt- und völkervernichtenden Potenziale. Ukraine-Krieg und Klimawandel, darauf hatte Carl Rütti am Anfang angespielt. Die Musik konnte beides wirkungsmächtiger ausdrücken: die Nöte und die Hoffnung. (Text von Dorotea Bitterli)