Aus der Krise ein Kulturspektakel

Film & Multimedia, Literatur & Gesellschaft, Musik

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Nachdem PunktZug mit sechs Kultur-Sendungen in die Zuger Wohnzimmer gelangt ist, versucht sich der Verein mit einem hybriden Festival. Die Schwierigkeit: in dieser seltsamen Ära überhaupt verlässliche Zusagen zu erhalten.

  • PunktZug bei den Aufnahmen im Gewächshaus FloraLisa. (Bild:zvg / Regula Werder)
    PunktZug bei den Aufnahmen im Gewächshaus FloraLisa. (Bild:zvg / Regula Werder)
  • Remo Hegglin moderierte die Sendungen.
    Remo Hegglin moderierte die Sendungen.
Hünenberg – Dieser Artikel ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Was ist eine Künstlerin, wenn ihr das Publi-
kum abhandengekommen ist? Wie kann Kultur ent- und bestehen, wenn das öffentliche Leben plötzlich kaum mehr existiert? Für die Kulturbranche waren die letzten zweieinhalb Jahre eine finstere Zeit.
Doch nicht alle mochten diese scheinbar ausweglose Situation einfach hinnehmen. Einmal aus der Schockstarre erwacht, versuchten sie, neue Ansätze zu suchen. Ein entsprechendes Konzept hat auch der zu diesem Zweck gegründete Verein PunktZug aus dem Boden gestampft. PunktZug, das sind die fünf Zuger Silvan Gretener, Remo Hegglin, Philippe Koller, Michael Werder und Hubert Zäch. Sie alle sind nah an der Kultur und mindestens genauso nah an der Technik.

Sendung aus dem Feuerwehrdepot
In einem vom Kanton Zug unterstützten Transformationsprojekt realisierten sie sechs Sendungen, mitunter aufgezeichnet im Gewächshaus, in der Destillerie und im Feuerwehrdepot. Diese wurden via Livestream in die Zuger Wohnzimmer gesendet. Michael Werder sagt dazu: «Wir wollten den Zuger Kunstschaffenden trotz Pandemie eine unkomplizierte Plattform bieten, ohne dass sie sich um die technischen Aspekte kümmern mussten.»
«Nachdem wir die sechs Sendungen wie geplant durchgeführt und damit das Projekt abgeschlossen hatten, haben wir gemerkt, dass wir auf ­Gelerntem aufbauen, Synergien nutzen und in adaptierter Form weitermachen möchten», sagt Remo Hegglin. «Dies, obwohl zu diesem Zeitpunkt die harten Massnahmen des Bundes bereits aufgehoben worden waren und Live-Veranstaltungen wieder möglich waren.»

Professionalität im Rampenlicht
Im Rahmen eines weiteren Transformationsprojektes begann PunktZug darum, das Kunst- und Kultur-Festival «Spielraum» zu planen. Es soll ein hybrides Kulturspektakel werden, welches die breite Facette und die Professionalität des lokalen und regionalen Kunst- und Kulturschaffens ins Rampenlicht rückt.
Insbesondere soll auch eine Plattform entstehen, auf der Neues gezeigt werden kann.
Hegglin erklärt: «Viele Künstler:innen haben zwar in den letzten zwei Jahren neue Programme geschrieben, diese aber nirgends zeigen können. Insbesondere wollten wir Raum schaffen für künstlerische Inhalte, die noch nicht abendfüllend sind respek­tive noch ausprobiert werden möchten.» Es soll ein Potpourri der verschiedensten kulturellen Sparten entstehen: Pop, Klassik, Kabarett und Tanz, um nur einige zu nennen. Am zweiten Festivaltag werden ausserdem je zwei zusammengeführte Künstler:innen gemeinsame Sache machen, woraus wiederum Neues entstehen wird. Die Zuschauer:innen werden dabei nicht nur in der Konsumentenrolle stehen, sondern sich selbst einbringen können. «Etwa, indem sie den Künstler:innen bei den Vorbereitungen über die Schulter schauen oder selber ein Musikinstrument zur Hand nehmen. Während der ganzen Zeit wird eine Jam-Bühne zur Verfügung stehen», sagt Werder. Das Ganze klingt vielversprechend und gleichermassen kühn.

Dann die Absagen
Eigentlich hatte der Verein PunktZug geplant, das Festival anfangs November durchzuführen. Rund einen Monat vor dem zweitägigen Festival stieg der Verein jedoch aufs Bremspedal; der Anlass wird verschoben. Schuld sind für einmal keine bundesrätlichen Weisungen, keine kulturverhindernden Corona-Massnahmen. Und dennoch hat die Pandemie indirekt sehr wohl damit zu tun.
«Wir hatten verschiedenste Künstlerinnen und Künstler angefragt und 16 Zusagen erhalten», sagt Werder. «Doch dann kamen Absagen. Eine, zwei, dann immer mehr. Als es noch acht Zusagen waren, beschlossen wir, den Anlass zu verschieben», sagt der Mitveranstalter, in dessen Kulturlokal Böschhof das Festival hätte stattfinden sollen.
«Sollte von diesen acht noch eine oder mehrere Personen krank werden oder sonst verhindert sein, wird es irgendwann knapp. Mit nur acht Teilnehmern hätte auch die Diversität des Programms gelitten.» Die Gründe für die kurzfristigen Rückzieher? «Ein paar Leute hatten die ­Absage damit begründet, dass sie in einer Schaffenskrise stecken respektive nichts vorzuweisen hätten. Andere haben überhaupt keine Begründung genannt», sagt Werder.

Viel Energie nötig
Hegglin ergänzt: «Sich zu nichts zu verpflichten, ist leider ein Phänomen unserer Zeit. Für uns Veranstalter führen solche kurzfristigen Absagen zu beträchtlichem Mehraufwand. Das gilt 
es zwar zu akzeptieren. Dennoch fragen wir 
in solchen Fällen nach und versuchen zu motivieren.» Trotzdem hat Hegglin auch Verständnis für die Situation. «Ich nehme um mich herum grosse kreative Ermüdungserscheinungen wahr», so der Zuger Kulturschaffende.
«Es braucht im Moment wahnsinnig viel Energie, die Kolleginnen und Kollegen zu über­zeugen, etwas anzureissen, gerade wenn man 
es schon zweimal versucht hat und dann er-neut verschieben musste. Auch ich selber merke, wie mir diese Tatkraft immer mehr abhandenkommt», konstatiert Hegglin. Werder spürt eine solche Tendenz auch auf Seiten der Technik. «Viele Veranstalter haben das Problem, dass ­ihnen das Personal hinter der Bühne fehlt. Und dies, obwohl es an Aufträgen nicht mangelt.»
Eine weitere Feststellung, die Hegglin gemacht hat: «Ich arbeite mitunter als Moderator. Im Moment kommen die Anfragen der Veranstalter meist extrem kurzfristig. Sie wagen nicht, längerfristig zu planen, da sie nicht wissen, wie die Situation in einigen Monaten aussehen wird. 
Es werden im Moment kaum Verträge oder ­Absichtserklärungen unterzeichnet.»
Doch nicht nur in der Branche selbst stecke derzeit der Wurm drin. Auch die Gäste fehlen. Werder dazu: «Es scheint, als hätten bekannte Bands kein Problem, ganze Arenen zu füllen. Die Kleinkunst hingegen hat Mühe, genügend Publikum zusammenzubringen.»

Weshalb fehlt das Publikum?
Hegglin dazu: «Dieser Punkt wirft bei uns Fragen auf. Was ist es, was das Publikum davon abhält, Kultur live erleben zu wollen? Wurde es in den vergangenen Monaten derart konditioniert, Kultur nur noch vom Sofa aus zu konsumieren?»
Es ist eine sonderbare Entwicklung. Nun, da  also kaum mehr jemand ein besorgtes Auge auf die von Corona gebeutelte Kultur wirft, scheint sich eine Art Burn-out in der Branche, aber auch beim Publikum abzuzeichnen. PunktZug will sich davon nicht beirren lassen.
«Trotz der schwierigen Situation stand nie zur Diskussion, das Festival abzusagen. So war Verschieben die einzige Alternative. Wir hoffen sehr, dass wir das Festival im Frühling in angedachter Form durchführen können», sagt Werder. Im Team von PunktZug sei die Lust darauf nach wie vor sehr gross.

Hoffnung auf den Frühling
Er gibt zu bedenken: «Mit Publikum vor Ort haben wir als Verein noch überhaupt keine Erfahrungen gesammelt. Wir hoffen jedoch, dass 
sich die Situation bis dann verbessert. Die Leute sind sich das Stubenhocken gewohnt. Generell herrscht aktuell eine eher deprimierte Stimmung, gerade auch in Anbetracht des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise. Wir hoffen, dass sich bis Frühling vieles bessern wird.»
Etwas werde man im Hinblick auf das verschobene Festival definitiv anders machen. «Die Anmeldungen der Kulturschaffenden sollen verbindlicher werden, etwa mittels Vertrag. Wir müssen mit den Teilnehmerinnen rechnen können. Sonst wird es schwierig», sagt Hegglin.

(Text: Valeria Wieser)