Die Schweiz war Sisis Zufluchtsort

Literatur & Gesellschaft

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Wer denkt, er kenne Kaiserin Elisabeth und ihre Biografie in- und auswendig, könnte nun eines Besseren belehrt werden: Der Zuger Historiker und Autor Michael van Orsouw beleuchtet einen wenig beachteten Bereich in Sisis Leben.

  • Der Autor Michael van Orsouw ist der Kaiserin von Österreich durch seine Recherchen sprichwörtlich nähergekommen. Bild: zvg/Judith Stadlin
    Der Autor Michael van Orsouw ist der Kaiserin von Österreich durch seine Recherchen sprichwörtlich nähergekommen. Bild: zvg/Judith Stadlin

Zug – Die gewaltsame Ermordung der österreichischen Kaiserin Elisabeth anno 1898 in Genf ist wohl einer der unrühmlichsten Punkte in der Schweizer Geschichtsschreibung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Und es ist genau dieser Vorfall, welcher gemeinhin angeführt wird, wenn von Elisabeth im Kontext mit der Schweiz die Rede ist.

Weit weniger weiss man bisher vom wahren Verhältnis der Monarchin zur Alpenrepublik. Die zahllosen Biografien, historischen Romane und Filmdokumente über «Sisi», welche in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, zeigen eine mehrheitlich österreichisch geprägte Sichtweise, machen das von Elisabeth so ungeliebte Wien zum Zentrum ihres Lebens und Wirkens. Präsent hat man vorderhand die vor allem durch die romantisch-verklärend überzuckerten Marischka-Filme populär gewordenen Aufenthaltsorte der rastlosen Kaiserin in Ungarn, auf Madeira, Korfu oder in ihrer bayerischen Heimat.

Gibt es überhaupt genug Material?

Wie eng Sisis persönliches Verhältnis mit der demokratischen Schweiz jedoch tatsächlich war, damit hat sich bisher kaum jemand eingehender beschäftigt. Der Zuger Historiker und Autor Michael van Orsouw hat nun diese eine Lücke geschlossen, mit seinem neusten Buch «Sisis Zuflucht – Kaiserin Elisabeth und die Schweiz», welches in dieser Zeitung bereits vorgestellt worden ist (Ausgabe vom 12. August 2023).

Ideengebend für das aufwendige Buchprojekt waren van Orsouws Recherchen zu seiner 2019 erschienenen Publikation «Blaues Blut – Royale Geschichten aus der Schweiz». Van Orsouw erinnert sich: «Im Zuge dessen fiel mir auf, dass es offenbar weit mehr Archivmaterial zu Elisabeth und ihren Reisen in die Schweiz gibt, als die verfügbare Literatur annehmen lässt.» Der Zuger Historiker vermutete einen kaum beachteten Nischenbereich in der Elisabeth-Forschung und machte die Probe aufs Exempel. Sprich, er entschloss sich auszuloten, ob das vorhandene Material in unterschiedlichen Archiven ausreichend Stoff hergibt für eine Erschliessung in Buchform. Seine Erwartungen sind bald übertroffen worden. «Das Bundesarchiv, die Nationalbibliothek und mehrere städtische und kantonale Archive horten Dokumente und Unterlagen über Sisis Besuche, mit denen sich bislang offenbar niemand näher auseinandergesetzt hat», führt van Orsouw aus. Selbst in Wien stiess der Zuger auf zwei umfangreiche Fotoalben, welche die Kaiserin während ihrer Reisen an den Genfersee und ins Tessin zusammenstellen liess. «Diese aufschlussreichen Bände scheinen bislang ebenfalls kaum beachtet worden zu sein.»

Eine weitere wichtige Quelle seien die Schweizer, Österreicher und deutschen Zeitungen von einst, welche ausführlich über jede Sichtung der Kaiserin berichteten. Ebenso die Tagebücher von Sisis jüngster Tochter Marie Valerie und erst recht diejenigen ihrer vertrauten Hofdamen Marie Festetics und Irma Sztáray. «Darin finden sich wertvolle Hinweise, von denen ausgehend sich weiterrecherchieren liess», so van Orsouw.

Steigbügel für die Metageschichte

Über zwei Jahre hinweg hat er eine Fülle an Material zusammengetragen, welche letztendlich mehr als ergiebig genug war, das persönliche Verhältnis der zweitletzten Habsburgerkaiserin zur Schweiz nachzuzeichnen. «Auch zahlreiche scheinbar unbedeutende Ereignisse dienten mir als Steigbügel für die spannende Weltgeschichte dahinter», erklärt der Autor. So erhält der Lesende denn auch wertvolles Hintergrundwissen vermittelt, beispielsweise über wichtige politische und geschichtliche Ereignisse der Zeit, ohne dass dabei der Fokus auf Elisabeth abhandenkommt.

Um die gesamte Recherche in eine leicht zu konsumierende Form zu bringen, hat sich van Orsouw entschieden, die unterschiedlichen Episoden in kurzen Kapiteln abzuhandeln, die chronologisch angeordnet miteinander verflochten sind und stellenweise aufeinander aufbauen – flüssig und gut verständlich zu lesen.

Elisabeth und die Widersprüchlichkeiten

«Nach all diesen Recherchearbeiten habe ich ein noch differenziertes Bild von Kaiserin Elisabeth erhalten», zieht Michael van Orsouw Fazit. Die Widersprüchlichkeiten um ihre Person kämen nun noch deutlicher zum Ausdruck. Damit spielt van Orsouw vor allem auf die Tatsache an, dass Elisabeth viel mehr Sympathien für die Demokratie als Staatsform hegte als für eine Monarchie – dies als Kaiserin! «Und sie genoss die Freiheiten in einer Demokratie wie der Schweiz, verzichtete aber dennoch nicht auf den ungeheuren Luxus, den man sich als Frau ihres Status leisten konnte.»

Das 208-seitige Buch wirft also ein Licht auf denjenigen Bereich in Sisis bewegtem Leben, der bisher weitgehend vernachlässigt worden ist. Es ist ab sofort im Handel erhältlich. Die offizielle Zuger Buchpräsentation durch den Autor findet am Donnerstag, 24. August, um 19.30 Uhr im «Oswalds Eleven» an der St.-Oswalds-Gasse 11 in Zug statt. Reservation/Vorverkauf telefonisch (041 711 15 20) oder per Mail (booking@le­sebuehne.ch). Die Platzzahl ist beschränkt. (Text von Andreas Faessler)