Atombomben und schweres Wasser
Brauchtum & Geschichte
Serie Zuger Skandale -Teil 12: In den 1980er-Jahren lässt sich in Zug ein Geschäftsmann nieder, der mit hochgefährlichen nuklearen Stoffen handelt. Er nützt eine Gesetzeslücke aus und hilft damit Indien und Südafrika beim Bau von Atombomben.
Zug – Zu Jahresende schickt man sich für gewöhnlich besinnliche Weihnachtspost. Da fällt die Weihnachtskarte von Alfred Hempel der Zuger Firma Orda AG aus dem Jahre 1985 ziemlich aus dem Rahmen: Seine Bekannten erhalten eine Karte mit dem Aufdruck «Frohe Festtage/ Season’s Greetings/ Meilleurs voeux», doch daneben prangt das Bild, das den Absender in jüngeren Jahren zeigt – in einer dunklen Wehrmachtsuniform aus dem Zweiten Weltkrieg, dekoriert mit nationalsozialistischen Verdienstkreuzen und Orden (Bild rechts).
Handelt es sich beim Zuger Geschäftsmann um einen unverbesserlichen Alt-Nazi? Um einen Militaria-Händler? Oder um eine geschmacklose Entgleisung? Alles falsch. Alfred Hempel, 1920 in Pommern geboren und mit deutschem Pass, handelt mit nuklearen Stoffen. Oder er schmuggelt sie. So liefert er beispielsweise schweres Wasser nach Indien, Südafrika oder Argentinien. Dieses so harmlos klingende Wasser braucht man in Atomkraftwerken und ermöglicht theoretisch den Bau von Atomwaffen.
«Industrieerzeugnisse aller Art»
Oder Hempel bietet an, Roh-uran in der Sowjetunion anreichern zu lassen. Schliesslich offeriert er via seiner Zuger Orda AG, hoch radioaktiven Atommüll in der Wüste Gobi zu vergraben. Mit China habe er bereits einen entsprechenden Vorvertrag unterzeichnet. Davon erfährt man in Zug nur wenig, denn die Orda AG handelt sehr international, gemäss Handelsregistereintrag arbeitet sie mit «Rohstoffen und Industrieerzeugnissen aller Art». Darunter kann man vieles verstehen.
Doch dann geht Hempel 1984 zu weit: Als er Nukleartechnologie und Nuklearmaterial auch noch nach Libyen verkauft, kommt ihm der amerikanische Geheimdienst CIA auf die Schliche. Hempel, der seine Geschäfte am liebsten im Dunkeln durchführte, gerät plötzlich ins grelle Rampenlicht. Britische Geheimdienste interessieren sich ebenso für sein Geschäftsgebaren wie deutsche Fernsehstationen, daraufhin auch deutsche Parlamentsausschüsse.
Um die Geschäftsverbindungen besser zu verschleiern, operiert Hempel auch mit der Pomera AG und der Inter-Nuklear AG, die ihm zur Hälfte gehört. Viele internationale Medien berichten über die «Strahlenden Geschäfte», «Urangate», «Prassen mit schwarzen Kassen» und sogar über die «Atom-Gnomen von Zug». Genau in dieser Zeit versendet er seine Weihnachtskarte, die ihn als Nazi zeigt.
«Frei von Kontrollen»
Alfred Hempel, der zuerst im Hotel Ochsen am Zuger Kolinplatz wohnt und dann in einer kleinen Wohnung eines Mehrfamilienhauses an der Binzenmatt in Unterägeri, nutzt die Firma Orda AG an der Baarerstrasse 57 in Zug sehr geschickt für seine weltumspannenden Operationen. Er gilt gemäss der deutschen Tageszeitung TAZ als «wahrer Virtuose der Schlupflöcher». Seine Geschäfte seien in der Schweiz, so der britische Geheimdienst, «frei von Kontrollen», zudem würden ihm «keine peinlichen Fragen gestellt werden».
Dazu muss man wissen: Die Schweiz hatte zwar den Atomwaffensperrvertrag 1969 unterzeichnet, aber der Transit von schwerem Wasser durch die Schweiz ist zu diesem Zeitpunkt nicht bewilligungspflichtig.
Das heisst im Klartext, dass Hempel ausländische Gesetze und UNO-Regelungen umgehen kann, wenn er die Zuger Firma dazwischen schaltet. So kann Hempel etwa das amerikanische Embargo für das damalige Apartheidsregime in Südafrika geschickt aushebeln, indem er Nuklearstoffe über die Schweizer Aktiengesellschaft verdealt.
Dieses Schlupfloch zahlt sich mehrfach aus: Die Embargostaaten kommen doch noch zu den gewünschten atomaren Stoffen. Und Hempels Zuger Orda AG erzielt bei einem Aktienkapital von 100 000 Franken in der Steuerperiode 1981/82 einen Reingewinn von 3,7 Millionen Franken. Alfred Hempel partizipiert am Geschäftserfolg, als er 1985 persönlich ein steuerbares Einkommen von 3,8 Millionen Franken ausweist. Die ganze Firmengruppe von Hempel setzt jährlich rund 300 Millionen Deutsche Mark um.
«Dubios, aber nicht illegal»
Denn Hempels Handeln nutzt schamlos die Lücken der Schweizer Gesetzgebung. Sein Wirken sei «so gut oder böse wie jede entsprechende Tätigkeit in anderen Wirtschaftsbereichen», so ein Verwaltungsrat Hempels. Die «Geschäfte erweisen sich als dubios, aber nicht als illegal», so die «Neue Zürcher Zeitung», was der eigentliche Skandal ist. Wenn ausländische Ermittler in der Schweiz um Rechtshilfe ersuchen, blitzen sie ab, mit Verweis auf die Schweizer Souveränität und das Einhalten der Schweizer Gesetze.
Dass diese Geschäfte dem internationalen Ansehen der Schweiz und des Wirtschaftsstandortes Zug schaden, ist eine andere, politische Angelegenheit. So ist es kein Wunder, dass sich auch Schweizer Parlamente damit befassen.
Zuerst erfolgt eine entsprechende Interpellation im Zuger Stadtparlament: Doch diese wird nicht einmal diskutiert, weil deren Inhalt nicht in den Grossen Gemeinderat gehöre. Auch ein Vorstoss im Kantonsrat verläuft im Sande. Ein Verwaltungsrat der Orda AG weist alle Vorwürfe zurück, welche die Firma «in die Nähe illegaler Machenschaften» rücke.
Immerhin führt eine parlamentarische Anfrage in Bern dazu, dass der Nationalrat über das Wirken der Orda AG debattiert und der Bundesrat Stellung beziehen muss. Daraufhin schliesst Bern die Lücke im Atomsperrvertrag mit dem zuvor erlaubten Transit. Alfred Hempel kümmert das nicht mehr. Er stirbt 1989 in seiner Villa in Nizza, die Zuger Orda AG besteht noch weiter, allerdings ohne eine nennenswerte Geschäftstätigkeit zu entwickeln. Sie wird daraufhin im Jahr 2002 liquidiert. (Text von Michael van Orsouw)
Hinweis Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge 13 geht es um ein bestelltes Theaterstück, das nie aufgeführt wurde.