Jugendwerke und «Rück-Bearbeitungen»

Musik

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Gemeinsam mit der Oboistin Cécile Moinet schuf die Zuger Sinfonietta in Cham freudige Vorweihnachtsstimmung.

Zug – Ursprünglich war es vor allem ein Ausweichen während des Zuger Casino-Umbaus. Unterdessen hat aber die Zuger Sinfonietta unter der Leitung von Daniel Huppert in Cham definitiv Fuss gefasst. Das Publikum füllte den Lorzensaal bis in die ungünstigsten Plätze der Seitengalerie.

Wie schon Felix Michel in den Einleitungsworten erläuterte, war das Programm streng symmetrisch aufgebaut: am Rand zwei Mendelssohn-Jugendsinfonien, ihnen angeschlossen die beiden Bach-Bearbeitungen und in der Mitte schliesslich die Überarbeitung der Corelli-Variationenfolge durch Francesco Geminiani (1687–1762). Mit genau 20 Mitwirkenden musizierten die Streicher praktisch unter sich. Bei den Barockwerken wurden sie lediglich durch ein Cembalo (Vital Julian Frey) unterstützt, welches teilweise auch solistische Aufgaben übernahm.

Ein weiteres Mal überzeugte das individuelle musikalische Können aller Mitwirkenden, bei welchen es eigentlich keine hinteren Pulte gibt. Häufige solistische Einsätze leisteten vor allem die beiden Geigerinnen Myrtha Spahr und Sari Erni-Ammann, so wie der Cellist Jonas Iten. Aber die Solostellen verschiedener weiterer Leute bis zum Kontrabass (Thierry Roggen) bewiesen, dass dieses Orchester kaum ein Gefälle nach spieltechnischen Voraussetzungen kennt. Eine Schwierigkeit ist allerdings die weite Verteilung der Wohnorte: Daniel Huppert lebt in Deutschland, und auch die Domizile der Mitwirkenden sind breit gefächert. Dies zwingt dazu, das von den Anreisenden spieltechnisch bereits fertig eingeübte Programm in wenigen Intensiv-Probetagen zur Konzertreife zu bringen.

Einwandfreier Oboen-Solopart

Viel musikhistorische Arbeit steckte in der «Rück-Bearbeitung» der nur für Cembalo und Orchester bekannten Bach-­Werke 1053 und 1055 in das für ­Solo-Oboe und Orchester vermutete Original. Nach heutigem ­Geschmack entstand daraus ein vollgültiger Johann Sebastian Bach. Starkes Verdienst dazu hatte vor allem auch die beispielgebende Interpretation des Soloparts durch Céline Moinet. Sowohl mit der Oboe wie mit der Oboe d’Amore wurde sie den Vorschuss-Lorbeeren des Programmheftes mit einem warmen und abrundeten Ton und tadelloser Intonation vollauf gerecht. Gewisse kleinere Ungenauigkeiten durch die kurze gemeinsame Einarbeitungszeit ergaben sich lediglich im dritten Satz von BWV 1053.

Mendelssohn – überraschend anders

Einige Elemente des von der ganzen Familie hoch geschätzten Johann Sebastian Bach zeigten auch die beiden Jugendsinfonien von Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Streichersinfonie Nummer 4 begann mit einer französischen Ouvertüre, welche in einen vielstimmig reichen fugenartigen Satz mündete. Bei der «Neunten» des damals Dreizehnjährigen nach der Pause überraschte eine über weite Strecken solistische Gestaltung durch einzelne Streicher, wie sie bei den spätklassischen und romantischen grossen Sinfonien später kaum mehr vorkommt. Besonderes Vergnügen bereitete das Seitenthema des vierten Satzes, offensichtlich von Älpler-Musik der vorangegangenen Schweizer Reise auf den Rigi inspiriert, was dem Werk auch den Beinamen «Schweizer Sinfonie» beschert hat.

Geminiani «bereichert» Corelli

Ob man Francesco Geminiani bei seinen Variationen «La Follia» nach Arcangelo Corelli als Komponist oder nur als Bearbeiter nennen soll, ist Ermessenssache. Vom Original übernahm er das Thema und die harmonische Grundstruktur. Corelli selber schrieb nicht viel mehr; aber es gilt als sicher, dass er die langen Noten jeweils durch improvisatorische Einschübe aller Art bereicherte. Dies hat Geminiani gewissermassen nachträglich fixiert. Den langen Schlussapplaus verdankten die Ausführenden mit einem unzweifelhaft vollgültigen Corelli, nämlich mit dem G-Dur Pastorale-Satz aus seinem bekannten Weihnachtskonzert. (Jürg Röthlisberger)