Arbeiten in der Fabrik
Literatur & Gesellschaft
Der einstige Denkmalpfleger Heinz Horat stellte die Zuger Industriegeschichte fundiert recherchiert dar.
Zug – Zu seinem silbernen Jubiläum verpflichtete das Schweizerische Arbeiterhilfswerk Zentralschweiz mit Heinz Horat einen ausgewiesenen Kenner, hatte er doch zu den Promotoren des Industriepfads Lorze gezählt und hat soeben ein stark beachtetes Werk über die L&G veröffentlicht: «Die Fabrik in der Stadt». Kunsthistoriker Horat stuft Zug als den seit Anbeginn am höchsten industrialisierten Kanton der Zentralschweiz ein, wobei er als Gründe die Nähe zum Industrie- und Finanzplatz Zürich, die Lorze und verschiedene Persönlichkeiten nennt. Nacheinander blühten Baumwollspinnereien, Metallunternehmen und Dienstleistungsgewerbe auf.
Doch auch gegenwärtig erblickt er Industrien wie V-Zug, Siemens, OVD Kinegram oder Bossard. Den Weg bereiteten Mühlen, Stampfen, Sägereien, ehe Wolfgang Henggeler 1834 mit den Inneren Spinnereien Unterägeri die erste Fabrik im Kanton mit einem schmalen, hohen Gebäude unter einem einfachen Satteldach als architektonisch typischen Merkmalen errichtete. Er konstruierte selber das Antriebswasserrad, das 1850 durch eine Turbine ersetzt wurde. Von 1905 bis 1908 folgten ein Neubau und ein Hochkamin. Heute gibt es nach Einstellung des Betriebs andere Nutzungen in den geschützten Bauten. Henggeler erstellte mit bewährten Partnern auch 1846 in Neuägeri die Äusseren Spinnereien mit 18000 Spindeln, Kost-, Wohn- und Repräsentationshäusern sowie von 1852 bis 1858 die damals schweizweit grösste Spinnerei an der Lorze Baar – 62140 Spindeln!
Frauen, Fremdarbeiter, Kinder – und Konflikte
Horat verwies auch auf die wenig geläufige Existenz der 1862 gegründeten Spinnerei und Weberei Hagendorn mit zwei 150-PS-Turbinen, 24840 Spindeln und 232 Webstühlen. 1888 brannte die gesamte nicht wieder aufgebaute Fabrik aus – mit 370 Arbeitenden die personell zahlreichste des Kantons! Die Email- und Metallwarenfabrik Zug von 1880 markierte mit ihrer Backsteinfassade einen frischen architektonischen Typ: niedrig, lang, tief wegen der Transmissionsversorgung.
Viel Raum nahm die Entwicklung des 1896 durch Richard Theiler gegründeten Electrotechnischen Instituts zur Produktion von Stromzählern an der 3 Meter schmalen Hofstrasse ein. Nach Eintritt des Chemikers Karl Heinrich Gyr von 1905 hiess die Firma Landis & Gyr. Horat betonte die keineswegs auf Zufall beruhende Angleichung des 1915 bis 1918 erbauten Hochhauses am Mänibach an Uhrenfabriken. 1926 begann die Suche nach einem neuen Fabrikstandort, welchen die Leitung nach heftigen Auseinandersetzungen mit Stadt, Kanton und Korporation sowie starrköpfigen Parteien in der Hertiallmend fand. Die moderne Industriearchitektur prägte die Shedhallen und mächtige unterirdische Gänge und bezeugten ein konsequent-schnörkelloses Fabrikkonzept.
Die Frauenarbeit spielte laut Horat mit einem Anteil von 48 Prozent in der Metalli von 1882 eine wesentliche Rolle. Ihnen oblag zu miserablen Konditionen die Besorgung von Geschicklichkeits- und Ge- duldstätigkeiten, so das Auftragen des Emailüberzugs oder in der Chamer Milchsüdi das Abfüllen der Kondensmilch oder bei der L&G Feinmechanisches. Die Spinnereien stellten selbst Kinder für harte 12½-Stunden-Tage ein! Und in Baar schufteten etwa 500 reformierte zürcherische Fremdarbeiter für 1 Pfund Brot zwei Stunden. Den Zuger Arbeitsbedarf deckten zunehmend auch Italienerinnen ab. Arbeitskonflikte kulminierten in Lohnreduktionen und Streiks, so in der Verzinki, der Metalli und der L&G.
Für SAH Zentralschweiz:
Jürg Johner