Der Waffenhändler kauft auch in Zug ein

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Serie «Zug 1933-1945»: Oppositionelle Kunstschaffende aus dem Ausland fanden während des Zweiten Weltkriegs in Zug wohlwollende Aufnahme. Einer verkaufte seine Kunst dem heute umstrittenen Waffenhändler Emil Georg Bührle.

  • Einblick in die Werkstatt von Fritz Wotruba an der Zuger Weinbergstrasse: Hinten links die Skulptur, welche Waffenhändler Bührle kaufte. (Bild Zuger Neujahrsblatt 1975)
    Einblick in die Werkstatt von Fritz Wotruba an der Zuger Weinbergstrasse: Hinten links die Skulptur, welche Waffenhändler Bührle kaufte. (Bild Zuger Neujahrsblatt 1975)
  • Der Garten Wotrubas voller nackten Skulpturen erregte Aufsehen: Manchmal musste er die Figuren mit Tüchern verhüllen. (Bild Zuger Neujahrsblatt 1975)
    Der Garten Wotrubas voller nackten Skulpturen erregte Aufsehen: Manchmal musste er die Figuren mit Tüchern verhüllen. (Bild Zuger Neujahrsblatt 1975)
  • Fritz Wotruba, der bekannte Bildhauer aus Österreich: Er lebte in Zug im Exil. (Bild Belvedere, Wien)
    Fritz Wotruba, der bekannte Bildhauer aus Österreich: Er lebte in Zug im Exil. (Bild Belvedere, Wien)
  • Der österreichische Dramatiker Fritz Hochwälder wohnte zeitweilig in Zug. (Bild Wikicommons)
    Der österreichische Dramatiker Fritz Hochwälder wohnte zeitweilig in Zug. (Bild Wikicommons)
  • Emil Georg Bührle: Der umstrittene Waffenhändler kaufte auch in Zug Kunst ein. (Bild Photopress)
    Emil Georg Bührle: Der umstrittene Waffenhändler kaufte auch in Zug Kunst ein. (Bild Photopress)
  • Die bekannte Schauspielerin Maria Fein: Sie besuchte Wotruba in Zug. (Bild Wikicommons)
    Die bekannte Schauspielerin Maria Fein: Sie besuchte Wotruba in Zug. (Bild Wikicommons)

Zug – Nicht nur deutschfreundliche Nazisympathisanten tummelten sich in Zug, sondern auch politisch ganz anders Eingestellte kamen nach Zug. Etwa in das kleine, unscheinbare Chalet an der Weinbergstrasse 4. Während des Zweiten Weltkriegs war diese Liegenschaft der Treffpunkt der internationalen Kunstszene und Intelligenzia. Denn dort wohnte ab 1939 der international arrivierte Künstler Fritz Wotruba mit seiner jüdischen Frau Marian Fleck.

Immer wieder kamen berühmte Zeitgenossen zu Gast, zum Beispiel «Weltwoche»-Gründer Manuel Gasser, Schauspielerin und Theaterregisseurin Maria Fein mit Bruder Franz, einem Übersetzer, Zukunftsforscher Robert Jungk, Essayist François Bondy, Geschichtsprofessor Herbert Lüthy sowie der bekannte Publizist, Historiker und Schriftsteller Jean-Rudolf von Salis, der gerade zu dieser Zeit mit seiner «Weltchronik» auf Radio Beromünster eine wichtige Funktion in der Öffentlichkeit innehatte.

Nackte im Garten

Im damaligen Zug dürfte das Wirken des Exil-Künstlers Wotruba wenig Aufsehen erregt haben. Dies auch deshalb, weil auch junge Zuger Kunstschaffende bei den Wotrubas ein- und ausgingen: So etwa der Kunstmaler und Grafiker Hans «Johnny» Potthof, der Fotokünstler Christian Staub, Gestalter und Fotograf Armin Haab, aber auch der spätere Architekt Leo Hafner.

Nur Wotrubas Garten fiel etwas aus dem Rahmen. Denn Wotruba, der vor allem als Erschaffer von grossformatigen Skulpturen wirkte, hatte seine Autogarage zum Bildhaueratelier umfunktioniert; der Garten fungierte als Lager der erstellten Kunstwerke, sodass dieser von Skulpturen bevölkert war, wovon nicht wenige nackte Frauen und Männer zeigten. Weil Zug damals sehr katholisch geprägt war, schwang der Künstler den Nackten gelegentlich Stoffresten um die Hüften.

Wotruba war der Sohn einer Ungarin und eines Tschechen und österreichischer Staatsbürger. Aufgrund seiner sozialdemokratischen Gesinnung und seiner jüdischen Frau war er im austrofaschistischen Österreich unerwünscht, sodass er 1938 in die Schweiz floh. Seine jüdische Frau durfte erst einige Monate später einreisen.

In Zürich bekamen die Wotrubas keine Aufenthaltsbewilligung, in Zug hingegen schon. Dies auch deshalb, weil sich verschiedene Personen für das Künstlerpaar starkgemacht hatten: So der Bildhauer Hermann Haller, der Zuger Bundesrat Philipp Etter, aber auch Pfarrer Robert Lejeune der Kirchgemeinde Neumünster in Zürich, bei dem Wotruba kurze Zeit wohnte.

Als die Wotrubas sich dann 1939 dauerhaft in Zug niederliessen, hatten sie stets ein offenes Haus für Gäste. Sie nahmen zudem auch Leute auf, die sie nicht kannten, aber die ein Obdach benötigten. So kam der österreichische Flüchtling Fritz Hochwälder zu den Wotrubas nach Zug.

Hochwälder, ein linker, jüdischer Dramatiker, war schwimmend durch den Rhein geflohen und von den Schweizer Behörden in ein Arbeitslager im Tessin gesteckt worden. Dort musste er mit anderen die Magadino-Ebene fruchtbar machen. Als Theaterautor war er sich die raue Feldarbeit nicht gewohnt, sodass er Ende 1941 «zwecks schriftstellerischer Tätigkeit» eine Dispens erhielt.

Freunde brachten ihn in einer Holzhütte in Ascona unter, wo er innert zweier Monate das Theaterstück «Das heilige Experiment» verfasste, das später Welterfolge feierte. Aber für Geld arbeiten durfte Hochsträsser in der Schweiz fortan nicht, sodass er in einer kleinen Mansarde in Zürich fror und hungerte.

Warten auf Emil Bührle

Da nannte ihm jemand die Adresse der Wotrubas in Zug: Die gemeinsame Wiener Vergangenheit schuf eine Basis, obwohl sich Hochsträsser, Marian und Fritz Wortruba gar nicht kannten. Hochsträsser war willkommen und durfte an der Zuger Weinbergstrasse dauerhaft wohnen; nur mussten auch die Wotrubas schmal durch. Immerhin zahlte der Winterthurer Industrielle und Kunstmäzen Georg Reinhart monatlich eine Art Stipendium. So herrschte eines Tages im Jahre 1944 grosse Aufregung, als sich auf Vermittlung von Bildhauer Hermann Haller ein vermögender Kunstsammler angekündigt hatte: der Waffenhänder Emil Georg Bührle, damals der reichste Mann der Schweiz – heute im Gerede wegen seiner angeblichen Raubkunst. Fritz Wotruba und Fritz Hochsträsser, beides Söhne von Arbeitern, waren im Hinblick auf Bührle skeptisch; Marian Wotruba, Tochter eines Bankiers, gab sich optimistisch.

An einem Freitag, um 14 Uhr, wurde Bührle erwartet. Wotruba hat sich unüblicherweise eine Krawatte umgebunden und ein Jacket angezogen, Marian hatte das Wohnzimmer extra geheizt, trug Tässchen und feines Gebäck auf. Nach einer halben Stunde Verspätung, um 14.30 Uhr, überprüften die Gastgeber das Funktionieren der Klingel.

Weil die Zeit weiter voranschritt, ersetzte Marian die Tässchen durch Schnapsgläser. Endlich schrillte die Klingel. Hochsträsser entschwand in sein Zimmer, Wotruba rückt die Krawatte zurecht, um feierlich den möglichen Kunstkäufer zu begrüssen. Doch es war nur der Zuger Künstler Johnny Potthof, der gerade in der Nähe war und kurz vorbeischauen wollte. Diesem machte man schnell klar, dass man hohen Besuch erwarte und er das Feld räumen solle, er könne am Abend wiederkommen.

Später am Abend dann, als das frustrierte Trio Schalenkartoffeln mit Kümmel ass, klingelte es wieder. Das wird gewiss wieder Potthof sein, meinte Wotruba und schlurfte in Pantoffeln zur Tür. Doch dort stand, hünenhaft, Kunstsammler Bührle in der Tür, den Wotruba in seiner Überraschung mit einem flapsigen «Was, jetzt kommen’s daher?» begrüsste.

Bührle hatte sich verspätet, weil er in einer Kirschwasserfabrik aufgehalten worden war. Bei künstlichem Licht begutachtete er in der Folge Wotrubas Werke. Dabei gefiel ihm ein Frauentorso von 1943; er kaufte ihn gleich und platzierte ihn später auf dem Werkgelände in Zürich-Oerlikon. Zu welchem Preis der Kauf zustande kam, ist nicht überliefert. Auch wenn heute die Diskussion über die Rechtmässigkeit von Bührles Kunstkäufen entbrannt ist: In Zug war man für den Kauf der Skulptur sehr dankbar. Von der ersten Rate des Kaufpreises erhielt Hochsträsser 200 Franken Taschengeld, und Marian Wotruba kaufte ihrem Mann, was er schon lange sich gewünscht hatte: neue schwarze, bequeme Lackpantoffeln. (Text von Michael van Orsouw)

Hinweis
Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet die bewegte Zeit von 1933 bis 1945. In Folge 9 geht es um Mussolinis Weggefährten, der sich in Zug und Menzingen versteckte.
www.geschichte-texte.ch.