Linas bewegte Suche nach ihren Wurzeln

Literatur & Gesellschaft

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Der Zuger Autor Andres Brütsch legt mit seinem zweiten Roman «Sein Name Pejdr Vuolp» ein berührendes Porträt mit emotionalen Höhen und Tiefen vor.

Zug – Lina hat es nicht leicht in ihrem Elternhaus in Budapest. Sie fühlt sich unverstanden. Weil sich die sensible 19-Jährige nicht gut ausdrücken kann, malt sie ihre Gedanken. Nach einem Krach mit dem Vater schmeisst sie die Schule und zieht für einige Tage zur Freundin und deren Mutter Anna. Dort findet sie Freude an der handwerklichen Arbeit, Anna legt ihr eine Ausbildung nahe.

Bei der Frage nach dem Kursgeld gerät ihr Vater Bela in Rage. Dabei rutscht ihm heraus, dass sie nicht seine Tochter ist. Sofort will Lina von der Mutter wissen, wer denn ihr biologischer Vater sei. Das sei ein Schreiner aus der Schweiz gewesen und lebe nicht mehr. Sie habe damals dort gearbeitet und plötzlich mit ihr flüchten müssen. Lina ist verwirrt und überfordert.

Ein tagebuchartiger Erzählstrang

Ihr Vater soll in Scuol gelebt haben. Nein, ein Bild von ihm habe sie nicht, so die Mutter, nur alte Fotos von einem Haus und dem Kinderbett, bei dem der Name Lina eingeschnitzt war. Lina will mehr über den Vater erfahren und sich auf die Suche begeben. Nach einer ersten Spur in Wien reist sie mit einem alten Motorrad in das abgelegene Engadin, wo sie ihn vermutet.

Sie ahnt nicht, was ihr alles bevorsteht. Es wird eine abenteuerliche Reise von Ungarn, der Donau und dem Inn entlang nach Scuol, die viel Durchhaltevermögen fordert. Dort stösst Lina jedoch auf eine Mauer des Schweigens. Nicht nur die Sprachschwierigkeiten erschweren die Kontakte, vieles ist mysteriös, und was ist mit Pejdr Vuolp? Fast will sie aufgeben. Aber sie spürt etwas Verbindendes, wie die Kalligrafie und das Wasser, die etwas mit der Landschaft des Vaters zu tun haben. Die Handlung des Romans von Andres Brütsch (71) ist wie ein spannendes Tagebuch zu lesen. Der Autor zeichnet die berührende Suche der jungen Frau nach dem Vater und beschreibt mit grossem Einfühlungsvermögen ihre emotionalen Höhen und Tiefen. Und wie sie durch den schwierigen Weg zu sich selber findet. In atmosphärisch dichten Bildern schildert er die Charaktere zu Hause und die verschlossenen Bergler sowie die Landschaft. Den Text ergänzen die feinen Zeichnungen der Künstlerin Livia Gnos.

Als Auslöser für die Geschichte erklärt Andres Brütsch: «Ich hörte von einem Skandal, und dass dem Hinweisgeber die Kinder weggenommen wurden. Eine furchtbare Sache. Wo sind die Kinder, die Mutter ist weg? Ich habe das Schicksal der Kinder weitergesponnen. Der Roman ist eine fiktive Geschichte.»

Im Mittelpunkt steht mit Lina eine junge Frau mit konfuser Gefühlswelt, die ihren Wurzeln nachspürt. Er sei mit drei Schwestern aufgewachsen und starke Frauen bewundere er. «Ich habe die äussere Figur der Lina zwar nicht beschrieben, trotzdem können sich die Lesenden ein gutes Bild von ihr machen. Es gibt von ihr sogar ein Soziogramm von der Uni Osnabrück.» Ist es für Kinder wichtig zu erfahren, wer ihre genetischen Eltern sind? «Ja», findet Brütsch. Das Verbindende zwischen Tochter und Vater habe er über die Liebe der beiden zur Kalligrafie angedeutet und als Metapher den Fluss gewählt.

«Zwischen den beiden läuft vieles intuitiv. Ich glaube, man spürt mehr als man weiss.» Ist er die Strecke Budapest – Scuol abgefahren? «Nein, aber ich kenne das Engadin sehr gut. Mich interessierte der Gegensatz, das flache Budapest und die Bergwelt, das Verbindende ist das Wasser.»

Längere Zeit für die Realisierung

2018 habe er mit dem Schreiben angefangen. «Ich schreibe gerne und brauche lange, bis die Geschichte stimmig ist. Ich glaube, ich habe schon etwas gelernt. Im ersten Buch lasse ich den Lesenden zu wenig Raum für eigene Vorstellungen, diesmal halte ich sie aktiver.» Gibt es Ideen für eine neue Geschichte? «Ich habe schon damit angefangen, sie aber jetzt verworfen.»

Als Regisseur hätte er den Stoff direkt verfilmen können. Brütsch wehrt ab: «Ein solcher Weg ist schwierig, wenn das Buch vorliegt, ist es einfacher.» Im Moment denke er nicht daran. Zuletzt erzählt er lachend, dass Livia Gnos als junge Frau als erste das Buch des «älteren Mannes» gelesen habe. «Als ich dann nach sechs Wochen ihre feinen Zeichnungen erhielt, war ich so berührt.» (Text von Monika Wegmann)

Andres Brütsch (71) war lange als Autor, Regisseur und Kameramann in der Schweiz und in den USA tätig und unterrichtete Storytelling. Seinen neuen Roman stellt er an der Lesung vom 2. November, 20 Uhr, in der Lakeside Gallery in Zug vor.

Hinweis Das Buch «Sein Name Pejdr Vuolp» von Andres Brütsch ist in der Edition Howeg erschienen: ISBN 978-3-85736-370-2.