Zum Schluss fuhr das Pferd Ferrari

Musik

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Die Hoffnung auf neue Coronaformate in klassischen Konzerten hat sich bisher wenig erfüllt. Gründe dafür zeigte das Sofa-Konzert im Theater Casino Zug mit der Begegnung zwischen Bandoneon und Schwyzerörgeli.

  • Der Bandoneonist Michael Zisman (vorne links) spielt mit der Camerata Schweiz unter der Leitung von Howard Griffiths (Mitte) im alten Saal des Theater Casino Zug. (Bild Eva Laniado/PD)
    Der Bandoneonist Michael Zisman (vorne links) spielt mit der Camerata Schweiz unter der Leitung von Howard Griffiths (Mitte) im alten Saal des Theater Casino Zug. (Bild Eva Laniado/PD)

Zug – Während des ersten Lockdown war auch in der Klassik viel die Rede von neuen Konzertformaten, auf die Musiker und Ensembles ausweichen könnten. Rasch und breit durchgesetzt hatten sich digitale Kanäle und alle Arten von Hinterhofkonzerten. Aber neue Formate, die Aufführungen auch in Konzertsälen wieder möglich machen könnten, fanden sich nur am Rande.

Wie zum Beispiel das Singen mit Maske Auftritten von Chören eine zusätzliche existenzielle Dimension verleihen kann, hatten früh gespenstische Youtube-Videos des Barockensembles Collegium 1704 gezeigt. Und die Cantori Contenti Zug übertrugen das im Oktober mit Rossinis «Missa solemnis» in den Konzertalltag der Region.

«Intime Atmosphäre» erzwungen und erschwert

Dass umgekehrt neue Formate von Corona beeinträchtigt werden können, zeigte am Mittwoch das jüngste Sofa-Konzert im Theater Casino Zug. Das ist kein Zufall, weil sich dieses Haus auf neue Formate spezialisiert hat – aktuell in Reihen wie «Next Generation Talents» oder den «Tea-Time»-Begegnungen, die wie die Sofa-Konzerte Kunst und Gespräch verbinden.

Das aktuelle Sofa-Konzert zeigte, was unter dem Corona-Aspekt neue Formate problematisch macht. Diese zielen nämlich auf Nähe und Austausch mit dem Publikum. In der letzten Ausgabe vor Corona etwa sassen ein Alphorn- und ein Didgeridoospieler mit Dirigent Howard Griffiths Schulter an Schulter auf dem Sofa. Die Pause verlängerte den Talk hinein ins Publikum, das sich mit seinen Fragen auch direkt ins Programm einmischen konnte.

Wegen der Hygiene- und Distanzregeln gab es jetzt kein Sofa für die Solisten, die Schwyzerörgeli-Spielerin Kristina Brunner und den Bandoneonisten Michael Zisman. Dass nur 50 Besucher zugelassen waren, suggerierte zwar die «intime Atmosphäre», mit der das Haus gegenwärtig für seine Veranstaltungen wirbt. Aber die Separierung der Besucher im Parkett und der Verzicht auf eine Pause machten diese so wenig erlebbar wie die Fragerunde, für die sich nur eine Besucherin ans Mikrofon wagte.

Mit dem Schwyzerörgeli aufgewachsen

Dirigent Howard Griffths rettete zwar mit umgänglichem Small Talk über solche Einschränkungen hinweg. Aber dass er das Bandoneon mit einem «Ferrari» und das Schwyzerörgeli mit einem «Pferd» verglich, machte klar: Hier wurde bewusst niederschwellig und unterhaltsam, aber auch etwas oberflächlich über die «heile» Welt des Schwyzerörgeli (Programmankündigung) und den urbanen Tango aus Buenos Aires gesprochen.

Brunner gab frisch von der Leber weg über ihre drei Örgelis Auskunft, die sie wie Getränkeharassen auf die Bühne schleppte. Und sie tat das mit der Selbstverständlichkeit einer «Schwyzerörgeli-Spielerin» – ja, so kann man sagen, bestätigte sie eine Frage von Griffiths –, die aus einer Volksmusikfamilie stammt und das Instrument ab dem Kindergarten gelernt hat. Dass sie zu einer jungen Generation von neuen Schweizer Volksmusikern gehört, verriet schon ihr Solo, das Bluenote-Melancholie hinreissend mit polyrhythmischem Drive verband.

Die Schweizer Volksmusik hat sich eben längst zur Weltmusik geöffnet, aus der heraus der Tango vor über 100 Jahren entstanden ist. Das bestätigte ein Werk für Schwyzerörgeli und Streicher von Kristina Brunners Lehrer Markus Flückiger. Dieses erschloss dem Schwyzerörgeli neue Möglichkeiten im wunderbaren Dialog mit dem Cello oder gegen Schluss, wo sich das Soloinstrument in die ruhigen Linien des Streichquartetts integriert. Da entlockte Brunner dem Örgeli lang gezogene Sehnsuchtstöne, wie sie später Michael Zisman in den Piazzolla-Klassikern «Oblivion» und «Adios Nonino» (ebenfalls mit dem griffig mitgestaltenden Camerata-Orchester) zum Mysterium erhob.

Ein starkes Format selbst mit Einschränkungen

Selbst mit Einschränkungen das Bandoneon sei ein typisch argentinisches Instrument, weil es – wie Millionen von Einwanderer – nicht aus Argentinien stamme, wehrte der Schweizer Bandoneonist mit argentinischen Wurzeln Tango-Klischees ab. Spätestens danach hätte man sich ein Sofa gewünscht, auf dem die sympathischen Musiker sich sicher bestens unterhalten hätten.

Die Stärke dieses Formats offenbarte sich aber darin, dass ihr – coronabedingt kurzes – Zusammenspiel zum Schluss doch zum spannenden musikalischen Gespräch wurde. Da waren zum einen die verblüffenden klanglichen Ähnlichkeiten der beiden Handorgeln, die unterschiedlich Schärfe mit Melancholie vermischen. In einem kurzen Medley passte sich einmal das Schwyzerörgeli mit freier Ornamentik den weit gespreizten Klangfächern des Bandoneon an. Dann unterstützte Zisman mit akkordischen Impulsen Brunners repetitiven Örgeligroove. Nicht auf dem Sofa, aber musikalisch waren da, wo das Pferd Ferrari fuhr, die beiden Welten wunderbar vereint. (Urs Mattenberger)

Hinweis
Nächstes Gesprächskonzert im Theater Casino Zug: Sonntag, 15. November, 17.00, «Tea Time – Oper & Pop» mit Sarah Maria Sun und Stefka Perifanova.
www.theatercasino.ch