Die Handwerkerin und ihre Brüder

Brauchtum & Geschichte

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Es ist nicht so, dass «Starke Zuger Frauen» schweres Handwerk scheuten. Ein gutes Beispiel dafür ist Theresia Brandenberg (1763–1845), eine Glockengiesserin aus der Zuger Vorstadt.

  • Die Selbstdarstellung eines industriellen Betriebs in Dresden: die «Königlich-Sächsische Stück- und Glockengiesserei» von Johann Gotthelf. (Bild Wikicommons)
    Die Selbstdarstellung eines industriellen Betriebs in Dresden: die «Königlich-Sächsische Stück- und Glockengiesserei» von Johann Gotthelf. (Bild Wikicommons)

Zug – Es gibt viele Handwerkssparten, von denen wir heute nur noch wenig Ahnung haben. So gab es noch im 19. Jahrhundert Zuger Orgelbauer, Zuger Grossuhrenmacher und Zuger Glockengiesser. Bei der letztgenannten Sparte muss man präzisieren: Es gab Glockengiesser – und es gab eine einzige Glockengiesserin. Von ihr soll hier die Rede sein.

Theresia Brandenberg kommt 1763 in Zug zur Welt. Ihr Vater ist Anton Brandenberg, der seinerseits schon in der Zuger Vorstadt als Glockengiesser wirkt. Nach dessen Tod 1791 übernimmt Theresia mit ihren älteren Brüdern Joseph Anton und Jakob Philipp die Giesserei. Sie ist damals 28-jährig. Dabei wirkt sie in der Administration, stellt die Berechnungen an, kalkuliert und besorgt die Korrespondenz und die Buchhaltung. Aber Theresia Brandenberg beherrscht auch, wie es ausdrücklich in den Überlieferungen heisst, die Technik des Glockengusses und hilft in der Giesserei tatkräftig mit. Sie gilt als Frau in diesem Gewerbe als «Kuriosum», wie der Glockenforscher Anton Bieler 1949 meinte, und erlangte weit über die Region Zug hinaus «eine gewisse Berühmtheit».

Eine einzigartige Zugerin

Theresia ist zwar nicht die einzige Glockengiesserin in der Schweiz. Zuvor gab es bereits Sara Füssli in Zürich und Anna Weitenauer in Basel, welche das Handwerk ausübten, allerdings als Witwen, die das Gewerbe ihrer Männer weiterführten. So ist Theresia Brandenberg als eine Frau, die selbstständig den Beruf der Glockengiesserin ergreift, einzigartig. Oder wie es das «Zuger Volksblatt» 1898 formulierte: «Es ist diese wahrscheinlich die einzige Frauensperson, welch sich dem seltenen und edlen Berufe der Glockengiesserei gewidmet hat.»

Das Glockengiessen ist eine besondere Tätigkeit, sie steht zwischen Kunstgewerbe und Handwerk. Denn sie erfordert musikalische Kenntnisse, damit hinterher das Geläute harmonisch klingt. Zudem verlangen die Inschriften und Bilder auf den Glocken kunstgewerbliches Geschick und filigrane Fingerarbeit; der Glockengiesser muss die Ornamente in Holz schnitzen, dann in flüssiges Wachs giessen, das hinterher als Schablone beim Glockenguss dient. Unter den handwerklichen Gewerben gilt das Glockengiessen als sehr anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung.

Zwischen den Geschwistern Brandenberg, die alle den Übernamen Glöggeler tragen, stellt sich eine Arbeitsteilung ein. Joseph Anton zieht sich allmählich aus dem Glockengeschäft zurück, er kauft ein Haus an der Vorstadt und betreibt dort eine Gastwirtschaft, die er passenderweise «Zum Glöggli» nennt. Die Werkstatt leitet Jakob Philipp, während Theresia die Buchhaltung und Verwaltung macht und zudem beim Glockenguss assistiert. Vielleicht ist sie es, die die Ornamente gestaltet, schnitzt und anbringt.

Es ist für das Glockenbusiness eine schwierige Zeit. Revolutionen und Kriege behindern den Verkauf, denn die Glockenherstellung ist ein konjunkturempfindliches Gewerbe. Dennoch liefern die Brandenbergs Glocken nach Luthern, Marbach, Beckenried, Hasle, Lauerz, Rohrdorf, Stans, St.Gallenkappel, Fislisbach, Wangen SZ, Lengnau, Bünzen, Eggenwil, Erstfeld, Rifferswil und Unterägeri. Also nicht nur für katholische Kirchen und Kapellen, sondern auch für reformierte Gotteshäuser. Die Glocken sind alle signiert mit dem Namen einer der Brüder Theresias; sie selber hinterlässt auf den Glocken keine sichtbaren Spuren. Das ist damals die traurige und ungerechte Realität, nämlich dass die Frauen eine schlechte gesellschaftliche Stellung aufweisen. Auch bei den 58 weiteren Glocken, die ihr Bruder Jakob Philipp allein mit seinem Namen versieht, dürfte Theresia bei etlichen mitgewirkt haben. Diese Glocken gehen von A wie Albinen im Wallis bis Z wie Zug, als die Brandenbergs 1804 die Glocke für die Schutzengelkapelle liefern. Darauf steht jeweils: «Aus dem Feuer bin geflossen / Jakob Philipp Brandenberg hat mich in Zug gegossen.»

Vielleicht um sich abzusichern, vielleicht um ein Gegengewicht gegen ihre Brüder bilden zu können, vielleicht auch einfach aus Liebe heiratet Theresia Brandenberg im fortgeschrittenen Alter, nämlich mit 46 Jahren; ihr Gatte ist der 67-jährige Johann Peter Landtwing; allerdings stirbt der Ehemann schon fünf Jahre nach der Eheschliessung.

Ein tragisches Ende

Die Brandenbergs liefern im Juli 1829 zwei Glocken für die Pfarrkirche Unterägeri. Diese weisen zusammen ein Gewicht von 1941 Kilogramm auf und kosten 3371 Gulden, wovon Unterägeri 2130 Gulden anzahlt. Die Glocken bekommen die Weihe und werden aufgezogen, alles scheint in bester Ordnung. Doch nach Ablauf der einjährigen Garantiezeit verweigert Unterägeri die Restzahlung, weil die grosse Glocke nicht harmonisch klinge. Die Gebrüder Brandenberg ziehen den Fall an das Kantonsgericht und klagen auf die Bezahlung der Restsumme von 1241 Gulden. Am 25. Oktober 1830 kommt es zur entscheidenden Gerichtsverhandlung: Zwei auswärtige Experten haben die Glocke begutachtet und stellen auf der einen Seite eine grössere Dicke fest als auf der anderen. Zudem stimme die Proportion zwischen Durchmesser und Höhe nicht, weshalb sie nicht mit den anderen Glocken harmoniere. Das Gericht gibt den beklagten Unterägerern recht; die Brandenbergs müssen die Glocke nochmal umarbeiten. Das Pikante an der Sache: Die beanstandete Glocke überarbeiten in der Folge nicht die Zuger Glockengiesser, sondern einer der geladenen Experten selber, nämlich Carl Rosenlächer von Konstanz.

Jakob Philipp, der Werkstattleiter, stirbt kurz darauf; Theresia, die damals 69-jährig ist, und ihr wirtender Bruder Joseph Anton, mittlerweile 80-jährig, beschliessen 1832, den Glockenbetrieb nicht mehr weiterzuführen, und melden Konkurs an. Theresia Landtwing-Brandenberg überlebt ihre Brüder, ihren Ehemann und die Glockengiesserei: Am 23. November 1845 stirbt sie mit 83 Jahren, ein für damalige Zeiten beträchtliches Alter. Das Giessereigebäude in der Vorstadt steht heute nicht mehr: Es versinkt bei der Vorstadtkatastrophe, weil es direkt am Rand der Einbruchstelle steht. Aber die Brandenberg’schen Glocken klingen bis heute. Zum Beispiel in den Kapellen auf der Allmend in Unterägeri oder im Zuger Schutzengel. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Für die Serie «Starke Zuger Frauen» stellt der Historiker und Schriftsteller Dr. Michael van Orsouw bemerkenswerte Frauen aus der Zuger Geschichte dar. In Folge 3 geht es um eine Pionierin im Bildungswesen.