Auf der Spur eines «Sonderfalls»

Dies & Das

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Ein ganz besonderer Höhepunkt erwartete die Mitglieder der Kolingesellschaft Zug auf ihrem Mai-Ausflug mit dem Besuch der ehemals kleinsten Republik der Welt.

Zug – Albert Müller – Gersauer mit Herz und Seele, bestens bekannt als alt Stadtschreiber von Zug – empfing die Kolingesellschaft zu einer Dorfführung in seinem Heimatdorf. Er hat seine langjährigen Forschungen, Vorträge und Artikel zu einem Ganzen zusammengefasst, daraus ist eine aktuelle Geschichte des «Freistaates Gersau» in Buchform entstanden.

Beeindruckt vom landschaftlichen Panorama mit den mächtigen Hügel- und Bergzügen ennet dem See ging es schnurstracks zur St.-Marzellus-Kirche (1812 erbaut). Vor den schattenspendenden Kirchenmauern erfolgte die zweite, «offizielle» Begrüssung der Gesellschaft durch Frau Nadja Camenzind. Charmant und eloquent im urchigen Gersauer Dialekt zeigte die Gemeinde-, pardon, Bezirksrätin (Gersau ist Bezirk mit einer Gemeinde) auf, dass die 2300-Seelen-Gemeinde bis heute irgendwie ein Unikum geblieben ist. 

«Werdegang» eines Dorfes

Erstmals 1064 als «Gersouwe» bezeugt, lässt sich auf eine alemannische Besiedlung schliessen. Die isolierte Lage des Dorfes – während Jahrhunderten nur auf schmalen Fusswegen oder über den See erreichbar – begünstigte vor allem durch die Rivalität zwischen Schwyz und Luzern die einzigartige Entwicklung zum winzigen Freistaat. 1390 kauften sich die Gersauer von der österreichisch-habsburgischen Vogtei los. Bis 1798 galt Gersau als kleinste Republik der Welt. Vermutlich ab 1332 stand das Dorf als zugewandter Ort im Bündnis mit der Eidgenossenschaft. Auf die Wirren der napoleonischen Epoche folgte 1814 nochmals die «Unabhängigkeit» als Republik. Diese währte aber nur bis 1817. Die Gemeinde bildet seither einen eigenen Bezirk im Kanton Schwyz.

Die wichtigste Verkehrsbindung war zu der Zeit der Seeweg. Der Anschluss nach Schwyz auf dem Landweg erfolgte erst 1867 mit der Erschliessung einer Fahrstrasse und löste den Saumweg nach Brunnen ab. In die andere Richtung nach Vitznau dauerte die Erschliessung mit einer Fahrstrasse bis 1886/87.

Kirche und Rathaus

Die erste Station der Dorfbesichtigung galt also der Pfarrkirche St. Marzellus. Der Bau der im klassizistischen Stil gehaltenen Pfarrkirche dauerte von 1807 bis 1812. Die grössten Förderer und Wohltäter des Baus waren Landammann Josef Maria Anton Camenzind und der letzte Fürstabt von Einsiedeln, Beat Küttel (notabene Gersauer Bürger; seine Schwester Rosa war mit dem Landammann verheiratet). Der Baumeister und Architekt der Kirche, Bruder Jakob Natter, wurde der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es gab nicht nur die ideelle und materielle Unterstützung, sondern auch die Arbeit der männlichen Bevölkerung zwischen 15 bis 60 Jahren, welche beim Kirchenbau Fronarbeit leistete und selbst Hand anlegte. Und dies bei einer Bevölkerung von rund 800 Leuten zur damaligen Zeit!

Das mächtige Rathaus, 1745 erbaut, lud ein, am historischen Ort den geschichtlichen Ausführungen von Albert Müller seit den Anfängen bis heute zu folgen. Was er uns alles zu erzählen wusste! Und es war keine «trockene» Geschichtsstunde, sondern die Anwesenden kamen oft aus dem Schmunzeln, Lachen und Staunen nicht heraus! Mit dem Bau von drei Spinnereigebäuden ab Mitte des 19. Jahrhunderts und der Einführung von mechanischen Spinnmaschinen wurde Gersau der führende Seidengarn-Fabrikationsort der Innerschweiz.

Als der Tourismus kam

Gersau, auch ein landschaftliches Paradies mit südlich geprägtem Klima. Sogar Palmen, Feigen und Kastanien sowie südländische Pflanzen gedeihen. Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt, dem Bau einer Bahn vom Kaltbad zur Rigi-Scheidegg, dem Bau von Hotels und der Strassenerschliessung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte der Fremdenverkehr mächtig ein. 

Nach der eindrücklichen Führung mit dem bunten Strauss aus politischer, geografischer, wirtschaftlicher und kultureller Geschichte – es hätte noch vieles zu erzählen gegeben – durfte der Abschluss nicht fehlen. Im Restaurant Tübli neben dem Rathaus erfolgte die leibliche Stärkung mit dem traditionellen Gersauer Käsekuchen. Ein erlebnisreicher Tag ging zu Ende, und alle Teilnehmenden waren ob des Ortes Gersau beeindruckt! 

Für die Kolingesellschaft Markus Hauser